Seit Tagen war er nicht mehr an der frischen Luft gewesen, obwohl draußen gerade der Sommer, seine Lieblingsjahreszeit, begann.
Die Zitronenbäume blühten wieder, ein warmer, angenehmer Wind wehte durch die engen Gassen der Stadt, der den salzigen Geruch des Meeres herüber trug, und auf dem Wasser fuhren wieder mehr Segelboote, deren weiße Segel im Sonnenlicht wie Perlen glänzten.
All das hatte Martín fasziniert, als er vor ein paar Jahren nach Sizilien gezogen war, doch dieses Jahr konnte - nein wollte - er das alles nicht mehr genießen.
Er saß in seiner abgedunkelten, kleinen Wohnung am Stadtrand von Palermo, weit weg von dem ganzen Trubel unten am Hafen oder in der Stadt.
Wusste überhaupt jemand, dass er hier lebte?
Wohl kaum, außer vielleicht seine direkten Nachbarn, aber die interessierten sich nicht für ihn. Besser so.
Es war jetzt etwas mehr als zwei Jahre her, als er mit seinem Leben offiziell abgeschlossen hatte. Zwar hatte Martín auch versucht, sich zu töten, doch er war zu Feige gewesen, den Abzug zu drücken und jetzt war er eben nur noch ein Häufchen Elend.
Sein Leben hatte sich immer nur um zwei Dinge gedreht: Andrés und den Plan.
Andrés war tot, gestorben in der spanischen Banknotendruckerei, weit weg von Martín, seinem besten Freund, den er zum Schluss so alleine und verzweifelt zurück gelassen hatte.
Und der Plan? Den konnte Martín nicht ausführen, denn er hielt es für zu riskant, einfach irgendwelchen Verbrechern so ein Meisterwerk des Verbrechens anzuvertrauen.
Wie so oft saß Martín wütend in einer Ecke seiner Wohnung und drehte an einer leeren Tequilaflasche, die er gerade ausgetrunken hatte.
Früher hatte er Alkohol verabscheut (abgesehen von dem Wein, den er immer mit Andrés getrunken hatte), doch heute war es wohl das einzige Mittel, das irgendwie diese Leere in seinem Inneren füllen konnte.
Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, geschweige denn welcher Wochentag heute war, aber das interessierte ihn nicht mehr, denn ihm kreiste die ganze Zeit nur ein Gedanke durch den Kopf.
Warum ist er tot? Warum?
Um ehrlich zu sein wollte er es gar nicht realisieren, dass der einzige Mensch in seinem Leben, der ihm je ebenbürtig war, dem er vertraut und geliebt hatte, einfach so erschossen worden war.
Andrés hatte ihm versprochen, dass sie sich wiedersehen würden, doch er hatte es nicht einhalten können.
Für eine kurze Zeit nach dem Überfall hatte er es nicht wahr haben wollen, dass sein Freund tot war. Er hatte gehofft, dass Andrés jeden Moment vor seiner Tür stehen könnte und ihn mit in die Südsee holen würde, wie es sie sich immer erträumt hatten, doch natürlich konnte kein Toter einfach so bei ihm auftauchen.
Martín stand genervt auf und lief hinüber in seine Küche, um sich ein neues Glas Alkohol einzuschenken, doch gerade, als er die Flasche Gin öffnete, klopfte es an einer Tür.
Verwundert hielt er inne.
Wer war das?
Er nahm sich eines der scharfen Messer aus der Küche.
"Ich komme!", rief er wütend (denn er hätte jetzt am liebsten seinen Alkohol getrunken und dabei Musik gehört).
Er öffnete die Tür.
Schnell steckte er das Messer weg, als er seinen Besucher erkannte.
Was wollte dieser verdammte Mistkerl Sergio jetzt aufeinmal, nach zwei Jahren und dem Tod des wichtigsten Menschen in ihrem Leben, von ihm?