Andrés ließ sich müde auf das Sofa fallen.
Er schloss die Augen, um sich darauf zu konzentrieren, dass sich sein Atem wieder normalisierte.Vielleicht war dieser spontane Überfall auf den Juwelier zwei Straßen weiter doch keine so gute Idee gewesen.
Zwar war er geflohen, bevor die Polizei hätte auftauchen können und er hatte auch ordentlich Gold und Diamanten erbeutet, aber trotzdem dachte er daran, dass es unprofessionell war, einen Juwelier in unmittelbarer Nähe zu überfallen.
So nah an seinem Versteck...Andrés öffnete wieder die Augen.
In der kleinen Wohnung, in der er seit einigen Wochen lebte, war es dunkel und still, nur die Straßenbeleuchtung erhellte das Wohnzimmer etwas.
Er wollte in einer besseren Gegend in einem besseren Haus wohnen, irgendwann, wenn er endlich das nötige Geld zusammen bekommen hatte, um sich etwas anderes, etwas exquisiteres, zu leisten, anstatt die heruntergekommenen Mehrfamilienhäuser am Stadtrand von Madrid.
Aus seinem Rucksack schüttete er seine Beute auf dem Wohnzimmertisch aus.
Es war einer der besten Raubzüge diesen Sommer gewesen.Mehrere Colliers mit wertvollen Edelsteinen, Diamanten, die selbst im Dunkeln noch hell glitzerten, Saphire, Rubine, Smaragde und auch Gold.
Das würde sicherlich reichen, um irgendwie über die Grenze nach Frankreich und dann nach Italien zu kommen, ohne aufzufliegen, und sich anschließend ein Haus dort zu kaufen.Wenn er Glück hatte, würde er es vielleicht schaffen, morgen unterzutauchen, ohne den spanischen Geheimdienst und die Polizei auf den Fersen zu haben.
Er stand auf, um die heutige Ausbeute zusammen mit den Ketten von vorletzter Woche unter seinen Kleidern im bereits gepackten Koffer verschwinden zu lassen.
Es klopfte an der Tür.
Sein Herz setzte aus. War das die Polizei? Würden sie jeden in der Nähe befragen?
Andrés hielt inne. Durch seinen Kopf rauschten tausende von Gedanken, von Ausreden, wie er ihnen entkommen könnte, bis hin zu Gebeten, dass sie die Beute nicht finden würden.
"Andrés? Ich bin's."
Ein riesengroßer Stein fiel ihm vom Herzen, bevor er die Tür öffnete.
"Ich dachte schon, sie hätten mich bekommen", begrüßte Andrés seinen besten Freund.
"Du warst das? Ich dachte, du würdest, naja, inzwischen eher größere Dinge abziehen", antwortete Martín.
"Ich brauche das Geld."
"Darf ich reinkommen?"
"Äh, ja klar", sagte Andrés, und trat zur Seite, damit Martín eintreten konnte. "Warum bist du hier?"
Als Antwort warf er ihm eine Mappe hin, die Andrés geschickt auffing.
"Was ist das?"
"Deine Fahndung bei Interpol."
"Woher-"
"Frag nicht, du würdest es sowieso nicht nicht glauben."
Andrés öffnete die Mappe.
Eigentlich hatte er immer geglaubt, dass er bei dem Überfall an der Champs-Elysee alles sauber hinterlassen hatte, aber irgendwie hatten sie ihn doch identifizieren können.
Er blätterte um.Eine Zeugin konnte die Spur bestätigen, stand ganz unten auf dem Blatt.
"Verdammt!", schrie Andrés und warf die Mappe gegen die nächstbeste Wand.
"Deine supertolle, liebenswürdige, vertrauensvolle Frau hat geplaudert. Wärst du in den nächsten Tagen sie holen gegangen, hätte wohl die Polizei auf dich gewartet."
Andrés fuhr sich durch seine braunen Haare. Für heute hatte er definitiv genug Ärger.
"Da ist noch etwas", versuchte Martín seinen besten Freund abzulenken, welcher dankbar aufsah."Der Finanzminister lässt die Goldreserven erhöhen und in die Nationalbank bringen."
"Auf wie viel?"
"90."
"90 Barren Gold, davon lässt es sich eine Weile aushalten."
"Nicht Barren, du Idiot. Tonnen."
Andrés begann ungläubig zu lachen.
"Du ermutigst mich gerade dazu, die Nationalbank von Spanien zu überfallen. Und weißt du was? Das ist die beste Idee, die du seit langem hattest. Aber ich mach das nur, wenn du mitmachst."
Martín überlegte. Sein Freund wusste, dass Martín beim spanischen Militär als Ingenieur arbeitete und seit Jahren nicht mehr kriminell war und eigentlich auch nicht mehr sein altes Leben in Buenos Aires zurückhaben wollte, aber er spürte auch, dass er es tun würde. Wegen ihm.
Andrés wusste, dass Martín glaubte, er würde es nicht mitbekommen: Die Art wie er ihn anschaute, wie er sich um ihn kümmerte, wie er ihm nach gelaufen kam wie ein Hündchen.Er ging etwas näher auf ihn zu.
Martíns Nervosität belustigte ihn, als ihre Gesichter ganz nah beieinander waren.
Schon früh hatte Andrés seine wichtigste Fähigkeit erkannt und gelernt zu nutzen: Er konnte jeden von seinen Plänen überzeugen, jeden manipulieren, kontrollieren und überhaupt wusste er einfach, wie man mit Menschen spielte.
Und es klappte bei jedem. Bei jedem außer Martín. Dieser tat es von selbst, ohne dass Andrés nachhelfen musste.
Martín war ein Genie, stark und nahezu unfehlbar, aber doch hatte er eine Schwachstelle: Andrés.Vorsichtig küsste Andrés seinen besten Freund.
Naja, ob Martín wirklich nur sein bester Freund war, wusste er nicht.
Sie hatten eine viel engere Bindung, als er je zu allen seinen Frauen gehabt hatte und eine engere, die beste Freunde je haben konnten. Es war einfach besonders. Und zumindest für diese Nacht wollte Andrés dieses Gefühl spüren. Das Gefühl, einmal richtig geliebt zu werden.