Die vielen bunten Pillen und Tabletten in der kleinen Dose klackerten laut, als Martín sie aus dem obersten Regal in der Küche holte.
Für einen Moment schloss er die Augen und dachte nach.
Natürlich wollte Martín ihm diese Überdosis nicht geben, aber der Arzt hatte gesagt, dass es nötig wäre, wenn Andrés zu sehr leiden würde, also musste er es tun.
Er schüttete die Tabletten in ein Glas und löste sie mit Wasser auf.
Drei Schlucke davon reichten schon, damit man starb.
Während er zurück ins Schlafzimmer ging, dachte Martín an die schöne Zeit:
Vor dem Überfall und kurz danach, als Andrés die ganze Zeit über gelacht und getanzt hatte und man kaum glauben konnte, dass er sterben würde, doch die Realität hatte die beiden schnell eingeholt.Vorsichtig öffnete Martín die Tür.
Andrés lag im Bett, blass, zitternd und so zugedröhnt mit Morphium, dass er kaum noch wirklich etwas von der Außenwelt mitbekam.
"Martín...", flüsterte er leise.
Dieser antwortete nicht, sondern stellte das Glas auf dem Nachtisch ab und legte sich zu ihm ins Bett.
"Martín, ich will nicht."
"Ich weiß."
Er nahm Andrés in den Arm, der plötzlich so stark zu weinen begann, dass Martíns Hemd von Tränen nass wurde, doch das störte ihn gar nicht.
"Martín, ich will nicht", sagte Andrés nochmal, aber dieses Mal lauter und bestimmter.
"Andrés, sieh mich an."
Sein Freund löste sich langsam von ihm, um Martín in die Augen zu schauen.
Andrés' Anblick zerstörte ihn.
Seine dunkeln Augen, das einzige, was noch wirklich an den alten Andrés erinnerte, waren wässrig, sein Gesicht glich schon fast einem Totenkopf, so eingefallen war die blasse Haut und die Hand, die nach seiner eigenen griff, zitterte so stark wie nie zuvor.
Es dauerte einige Sekunden, bis Martín sich zusammenriss und mit fester Stimme weitersprach."Ich will nicht, dass du leidest. Wegen mir."
Eigentlich hatte Martín sich geschworen, dass er bis zuletzt sich zusammenreißen würde, um Andrés nicht zu verunsichern und ihn zu ermutigen, wenn der die Dosis nehmen musste, aber er spürte, wie die Tränen ihm über die Wange liefen, ohne dass er sie aufhalten konnte.
"Ich will ... bei dir ... bleiben."
Er hatte kaum noch die Kraft zu sprechen.
"Das weiß ich, cariño. Ich werde dich nie verlassen. Du mich auch nie. Und irgendwann sind wir dann wieder zusammen, dann kann uns nichts mehr trennen, nicht mal der Tod."
"Nicht mal ... der Tod", wiederholte Andrés schwach und lächelte.
Es war ein abwesendes und entferntes Lächeln.
"Komm", meinte Martín, half ihm, sich aufzurichten, und nahm ihn wieder in den Arm.
Vom Nachtisch nahm er das Glas.
"Nein", weinte Andrés. "Bitte nicht. Bitte."
Aber Andrés trank, als Martín ihm das Glas an die Lippen setzte.
Beruhigt atmete er durch, auch wenn er langsam immer mehr weinte. Er gab Andrés einen Kuss auf die Stirn.
"Martín ... ich liebe ... dich."
"Ich dich doch auch", sagte er und weinte jetzt noch mehr als sein Freund.
"Erzähle mir eine ... Geschichte", bat Andrés ihn und lächelte wieder.
Martín überlegte kurz.
"Weißt du noch damals, in Buenos Aires? Als ich es fast geschafft hätte, deine Diamanten zu stehlen? Du hast mich bedroht. Mit einer falschen Pistole. Oh Gott haben wir damals gelacht, als du es mir später erzählt hast."
Andrés Atem wurde zuerst gleichmäßiger und dann schließlich immer schwacher, doch Martín erzählte weiter und weiter, auch wenn es keine sonderlich gute Geschichte war.
"Ich habe mich sofort in dich verliebt."
Martín spürte den Atem nicht mehr, also suchte er nach dem Puls, doch auch den fand er nicht.
Andrés de Fonollosa war tot.
Verzweifelt stand er auf und deckte seinen Freund sanft zu, so als wäre er nur kurz eingeschlafen, bevor er langsam wieder nach unten ging.
"Es ist besser so. Es ist besser so", redete er sich immer wieder ein, während er nach dem Notfalltelefon suchte, um Sergio zu erreichen.
Aber er wartete noch einen Augenblick, bevor er ihn anrief.
Er hatte Andrés vor ein paar Monaten einmal etwas versprochen.
Er sollte sich nichts antun, sobald dieser gestorben war.
Und auch wenn das scharfe Küchenmesser oder die Kiste mit den Pistolen so verlockend waren, hielt er sich an das Versprechen.
Vielleicht würde er eines Tages ganz unerwartet jemanden auf der Straße oder im Café treffen, und dann war es plötzlich wieder Liebe.Und früher oder später wäre er wieder bei Andrés. Ganz sicher.