"Wie sehe ich aus?", fragte Andrés, während er sein neues Jackett im Spiegel betrachtete.
Im Spiegelbild sah er, wie sein Freund von seinen Notizen aufschaute.
"Schön", antwortete Martín knapp und versuchte, sich wieder auf die Gleichungen zu konzentrieren, doch Andrés beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er ihn immer wieder schnell anschaute.
"Ach Martín", begann Andrés, doch er bereute diese Worte sofort. "Seit Jahren drehst du dich im Kreis. Mit deinen Gefühlen. Vielleicht solltest du endlich darüber hinwegkommen."
Er ging ein paar Schritte auf seinen Freund zu.
"Willst du?", meinte Martín und wollte ihm gerade ein Glas Wein einschenken, aber Andrés unterbrach ihn.
"Nein, ich trinke nicht mir dir. Ich gehe Abendessen, mit Tatiana."
"Vale."
"Du wirst an mich denken, aber ich nicht an dich."
Martín legte seinen Füller weg und schloss das Notizbuch.
"Du musst es mir nicht buchstabieren. Ich verstehe es schon."
"Oh Martín! Denkst du wirklich, ich würde dich nicht lieben? Ich spüre auch, dass etwas zwischen uns ist. Etwas außergewöhnliches, einzigartiges, wunderbares. Ich habe für keine meiner Frauen so etwas gefühlt. Nicht mal ansatzweise."
Sein Freund stand auf und kam ein wenig auf ihn zu.
"Wir sind Seelenverwandte. Aber nur zu 99%."
Verdammt. Am liebsten hätte er sich ohrfeigen können, doch die Worte waren einfach so aus ihm herausgesprudelt.
Sergio hatten ihm zu oft erklärt, wie unnatürlich diese Beziehung zwischen ihm und Martín war, doch irgendwie brachte er es nicht übers Herz, seinen besten Freund weg zu schicken, doch jetzt war es wohl schon zu spät."Aber was ist ein Prozent gegen 99?", fragte Martín. "Du bist wohl nicht mutig genug, um es auszuprobieren, oder?"
"Dieser 1 Prozent ist ein kleines Mitochondrion, aber es definiert das Verlangen."
"Mitochondrion...", wiederholte Martín und jetzt konnte Andrés dessen Atem auf seinem Gesicht spüren, so nah waren sie sich. "Wo ist das Verlangen, hm?"
Er strich ihm über das Gesicht.
"Wo ist es...?"
Andrés war wie gelähmt. Sein Körper wollte sich kein Stück bewegen, und dass einzige, was er noch konnte, war leicht zu lächeln.
"Hab keine Angst", flüsterte sein Freund und küsste ihn, doch Andrés war zu überfordert, und erwiederte ihn nicht.
"Bist du ein Feigling, hm?"
Feigling. Als ob er ein Feigling wäre.
Schnell küsste Andrés ihn und drückte ihn an dir nächstbeste Wand, ohne den Kuss zu unterbrechen.
Es fühlte sich so richtig an, doch auf einmal fiel ihm wieder ein, dass Tatiana, seine Frau, draußen vor der Kapelle wartete.
"Martín, ich würde alles geben, um das hier auch zu fühlen, aber es ist unmöglich."
Er löste sich, packte seinen Mantel, drehte sich um und verließ den Raum, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen.
❤
"Alles in Ordnung, mi amor?"
Andrés sah von seinem Essen, in dem er bis gerade eben lustlos herumgestochert hatte, auf.
Tatiana sah ihm besorgt an und sein Blick auf ihren leeren Teller fiel, wurde ihm bewusst, dass er die letzte halbe Stunde nur nachgedacht hatte. Über Martín.
Auf dem Weg zum Restaurant in der Innenstadt von Florenz hatte er sich alle Mühe gegeben, sich abzulenken, an seine Frau zu denken, doch es war einfach unmöglich.
Martín war sicher schon abgehauen, vermutlich nach Sizilien, denn von dieser Insel hatte er die ganzen letzten Monate gesprochen.
Andrés musste sich entscheiden.
Entweder Tatiana, eine Frau, die er erst seit einem Jahr kannte und schon geheiratet hatte, oder Martín, für den er vielleicht doch ein wenig mehr empfand, als er zugeben wollte."Hör zu, Tatiana. Du bist wirklich eine wunderbare Frau, du bist schön, schlau, nett, aber es ist vorbei."
Bevor sie antworten konnte, sprang Andrés auf und verließ das Restaurant.
So schnell wie er nur konnte sprintete er zu seinem Auto und raste zurück zum Kloster.
Es war unheimlich still hier, nicht mal die Mönche sangen in der Kirche.
Andrés riss die Tür zur Kapelle auf.
"Martín!"
Er war nicht mehr da.
Andrés sank vor dem Tisch mit ihrem Modell von der Bank von Spanien zusammen.
"Joder, Martín!", schrie er verzweifelt.
"Andrés...?"
"Martín, Gott sei Dank!", rief er und umarmte seinen Freund, der sich vor ihn gekniet hatte, so stürmisch, dass er mit ihm auf den Boden fiel.
"Martín, es tut mir so unglaublich leid. Ich ... hätte von Anfang an ehrlich sein sollen. Ich liebe dich."Andrés schaute ihm in seine grünen Augen, dann beugte er sich wieder zu ihm herunter, um ihn zu küssen.
"Ich liebe dich bis zum Ende meines Lebens, Martín."