Sein ganzes Leben hatte sich immer nur um zwei Dinge gedreht. Die einzigen zwei Dinge, die Martín irgendetwas bedeuteten.
Andrés und der Plan.
Andrés war seit über zwei Jahren tot und Plan fast vorbei.
Was sollte ihn dann noch am Leben halten?
In der Bande hatte er sich unbeliebt gemacht, indem er Gandía frei gelassen hatte. Anfangs hatte er nur wieder das Komando zurückgewinnen wollen, doch als er die Nachricht des Professors von Lissabons Gefangenschaft im Polizeizelt vor der Bank bekommen hatte, sah er Freiheit des Sicherheitschefs als einzige Möglichkeit zu ihrer Rettung.In ein oder zwei Tagen wären sie draußen, doch was würde Martín dann tun?
Zwei Mal hatte er versucht, sich das Leben zu nehmen, doch er hatte es nie geschafft.
Ich bin eben doch ein Feigling, dachte er sich, als er abends auf dem Sofa im Büro des Gobernadors lag, um sich auszuruhen.
Es war ruhig in der Bank, seit sie Gandía wieder gefangen hatten, nur die große Standuhr in der Ecke tickte und von draußen hörte er Polizeisirenen.
"Andrés", wisperte er. "Andrés."
Er fing wieder an zu weinen, wie so oft in den letzten Jahren nach seinem Tod.
Ihm war es gerade egal, ob Helsinki, der im Panikraum für den Professor die Kameras überwachte, ihn beobachten würde, oder ob Sergio vielleicht über das Funkgerät mithörte.
Martín stand auf und ging rüber zum Schreibtisch des Gobernadors.
Er öffnete einmal alle Schubladen, bis er ein Briefmesser fand.
Alle guten Dinge sind drei, schoss ihm durch den Kopf.
Er drehte das Messer in seiner Hand und betrachtete es näher.
Vorsichtig setzte er es an seinen Pulsadern an.
Doch bevor er es tun konnte, spürte er, wie ihm jemand von hinten packte und ihm das spitze Messer schnell aus der Hand gerissen wurde.
"Was soll das?", schrie er Helsinki weinend an.
Bevor der Serbe antwortete, steckte er schnell das Messer weg, sodass Martín es nicht nochmal versuchen konnte.
"Du hast gerade versucht, dich umzubringen, verdammt!"
"Ja, und? Was hält mich denn noch am Leben? Die meisten hier geben mir die Chance an Nairobis Tod, der Plan ist vorbei und-"
Er brach mitten im Satz ab.
"Und?", hakte Helsinki nach.
"Andrés ist tot", flüsterte Martín. "Ich habe hier nichts mehr!"
"Du - du hast mich", wisperte Helsinki leise.
Geh und heile deine Wunden.
Vielleicht werde ich doch deinen letzten Wunsch an mich erfüllen, Andrés, dachte er.Trotz der vielen Tränen in seinem Gesicht versuchte Martín, zu lächeln.
Helsinki war zu gut für ihn.
Er hatte ihn ausgenutzt, auf seinen Gefühlen herumgetrampelt und nichts vom ihn gewollt, doch Helsinki hatte nie aufgehört, an ihn zu glauben."Ich habe dich", flüsterte Martín und für einen kurzen Augenblick spürte er dieses Flattern in seinem Herzen, das vor zwei Jahren endgültig erloschen war, wie er geglaubt hatte.
Helsinki nahm ihn in den Arm ohne ein Wort zu sagen, während Martín schluchzend da stand, die Tränen liefen ihm übers Gesicht, doch nicht mehr um Trauer für Andrés, sondern weil er das erste Mal seit langem wieder so etwas wie Hoffnung verspürte. Naja, und vielleicht auch Liebe.