Martín Berrote hatte viele schlechte Eigenschaften. Er war ab und zu zu kalt und arrogant, was er gerne die anderen zu spüren ließ, und manchmal nutzte er sogar Menschen zu seinen Vorteilen aus, verletzte sie. Und ihm war es egal.
Doch wenn es eine Sache gab, die all diese Eigenschaften übertraf, dann war es sicher die Tatsache, dass er zu viel sprach.
Er sprach oft und gerne, er liebte es, auf andere so lange einzureden, bis er sie so verwirrt hatte, dass sie ihm alles mögliche erzählten.Aber ein Problem gab es dabei.
Denn obwohl er oft log oder seine eigene Meinung so herablassend erklärte, dass einige schon wieder dachten, dass er lügen würde, begann Martín immer irgendwann, die Wahrheit zu sagen.Normalerweise dauerte es immer etwas, bis er sich die Menschen öffnete, bis er ihnen vertraute, doch wenn er Alkohol trank, dann passierte es schneller. Viel schneller, als ihm lieb war.
Und deshalb war ihm Sergios Anwesenheit in diesem Moment auch so angenehm.
Sergio sprach nie mit ihm, es sei denn, Andrés war ebenfalls am Gespräch beteiligt.
Aber es machte Martín nichts aus. Sollte er doch über ihn denken, was er wollte, denn die Meinung von anderen interessierte Martín sowieso nicht. Außer die einer bestimmten Person.
Andrés. Andrés de Fonollosa. Sein bester Freund. Sein Seelenverwandter. Die Liebe seines Lebens.
Er würde alles für ihn tun, sogar sterben.
Doch trotzdem wusste er nicht, was Andrés dachte. Was er für ihn tun würde.
Und es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Es gab nur eine Person, die alles über ihn wusste.
Und die saß direkt neben Martín.Ohne von dem Glas mit Whiskey in seiner Hand aufzuschauen, sprach er Sergio an.
"Warum bist du so nervös, hm?"
"Ich bin nicht nervös", entgegnete Sergio, woraufhin Martín nur kurz auflachte, denn er hatte natürlich bemerkt, wie aufgeregt und dennoch fast schon unauffällig er sich vorhin in der Bar umgeschaut hatte.
"Doch bist du."
Jetzt starrte Sergio ihn direkt an, das konnte er förmlich spüren.
"Andrés ist schon viel zu lange weg."
"Oh, er macht den Fetten ganz schön fertig, oder?", antwortete Martín nur.
Er nahm noch einen Schluck Whisky, bevor er weiterredete.
"Warum misstraust du mir eigentlich?"
Sergio antwortete nicht.
"Du vertraust nur Andrés. Und Andrés vertraut mir. Also warum solltest du mir nicht vertrauen?"
Wieder sagte er nichts, doch gerade als Martín seinen Mund öffnen wollte, um wieder etwas hinzuzufügen, entgegnete Sergio endlich etwas.
"Ich vertraue keinem von euch."
Diese Antwort machte jetzt sogar Martín sprachlos.
"Andrés denkt inzwischen nur noch, dass das Leben ein einziges Spiel ist, das er verloren hat und deshalb jetzt alles machen kann, was er will. Und du ... du bist noch viel gefährlicher als er."
Martín stellte sein Glas ab und drehte sich zu ihm. Na das konnte ja noch ziemlich interessant werden.
"Du bist nämlich blind vor Liebe. Du kannst nicht mehr klar denken."
Was sollte er jetzt darauf antworten?
Die Wahrheit? Hatte er vielleicht Glück, dass, wenn er sie etwas zu sarkastisch und gespielt sagen würde, Sergio es als Lüge hinnahm?"Du bist verrückt, Sergio. Ich meine, du musst wirklich endlich mal wissen, was Liebe überhaupt bedeutet, bevor du so leichtsinnig über andere urteilen kannst."
Und sobald er diese Worte gesagt hatte, wusste Martín, dass Sergio sofort wusste, dass er ihn gerade angelogen hatte.
Sergio war der mit Abstand intelligenteste Mensch, den er kannte, das musste Martín sich eingestehen, und eben weil er so unemotional war, konnte er die Situation von anderen so gut einschätzen. Leider."Ich bin nicht blind, Martín."
Er schloss kurz die Augen, um einen klaren Kopf zu behalten.
"Die Art, wie du mit ihm sprichst, wie du von ihm sprichst ... als wäre er perfekt."
Er ist perfekt, wollte er Sergio anschreien, perfekt für mich.
"Es ist wahr, oder?", murmelte Sergio leise, als er ihm nicht antwortete.
"Du verstehst es nicht, Sergio."
"Doch, du liebst nicht nur euren Plan, sondern auch meinen Bruder."
Für einen Moment war seine Stimme nicht monoton, sondern klang hoffungsvoll und triumphierend, doch im nächsten Augenblick war alle Hoffnung wieder zerstört.
"Aber er liebt dich nicht, Martín."
Er schluckte.
Mit der Wahrheit, die er inzwischen seit Jahren versuchte zu verdrängen und zu überspielen, wurde er plötzlich konfrontiert, dass es sich anfühlte, als würde sich alles um ihn herum drehen.
"Ja, Martín. Fang endlich damit an, es zu akzeptieren."
Er hatte bis zu diesem Tag nie bemerkt, wie direkt und kaltherzig Sergio doch sein konnte.
"Aber er macht den Fetten für mich fertig, er-"
"Er macht das nur, um seine eigene Ehre zu verteidigen."
"Nein."
"Doch."
"Das werden wir ja sehen", flüsterte Martín leise, während ihm auffiel, dass Andrés gerade wieder zurückkam.
Mit jedem Meter, mit dem sich sein Freund näherte begann Martín noch mehr zu zittern, noch mehr Angst zu bekommen, obwohl er normal immer so gefasst und ruhig bleiben konnte.
Doch jetzt, in diesem Moment, fühlte er sich, als würde er gleich zusammenbrechen.
Ihm war heiß und kalt zugleich, ihm war plötzlich schwindelig, er-
"Martín?"
Bevor er weiter drüber nachdenken konnte, wurde er von Andrés aus seinen Gedanken gerissen.
"Ist alles in Ordnung?"
Sein Blick huschte panisch zwischen Sergio und Andrés hin und her, und es kostete ihn alles mit und alle Überwindung, etwas zu antworten.
"Natürlich."
Das war das einzige, was er herausbrachte.
Sergio schien, seinem Blick nach zu urteilen, wohl gehofft zu haben, dass er irgendetwas zu Andrés sagen würde, doch Martín schaffte es einfach nicht, etwas zu sagen.
Er hatte wieder eine weiter Chance verpasst. Er hatte es wieder verpasst, Andrés endlich die Wahrheit zu sagen."Dann können wir ja gehen", flüsterte Sergio und leerte sein Glas.
Martín stand auch auf und folgte den beiden aus der Bar.
Während sie sich durch die Türe drängten, spürte Martín, wie Andrés' Hand plötzlich an seiner eigenen streifte.
Er zog sie natürlich schnell weg, aber drehte sich kurz zu seinem Freund.
Da war etwas in seinen Augen: Ein begieriges Funkeln, doch bevor Martín weiter darüber nachdenken konnte, war es bereits wieder verschwunden.
Vielleicht liebt er mich ja doch, dachte er sich, auch wenn er tief in seinem Herzen wusste, dass es eine Lüge war.