Kapitel 36

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Pov Amy
"Was bitte machst du hier nachts alleine im Regen?", fragt er geschockt.
Ich trete von einem Fuß auf den anderen, zucke die Schultern und sehe dann zu Boden. Meine Lippen presse ich fest aufeinander, ohne Marlon zu antworten. Diese plötzliche, unerwartete Begegnung mit ihm überfordert mich. Als keine Reaktion von mir kommt, seufzt er auf.
"Gut, egal. Steig ein, ich bringe dich nach Hause", legt er fest, in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. Und der mich gleichzeitig wütend macht, sodass ich ihn wieder ansehe. Gerade als ich mich zum wiederholten Mal in der letzten Zeit darüber beschweren will, dass er schon wieder über mich zu bestimmen versucht, legt sich ein entschuldigender Ausdruck in seine Augen und lässt mich doch weiterschweigen.
"Falsch formuliert", erkennt er betreten und fährt ein wenig sanfter fort. "Ich kann dich nach Hause fahren, wenn du möchtest."
Das aufgebrachte Gefühl in mir nimmt bei seinen Worten ab und wird durch ein wohliges ersetzt. Anscheinend habe nicht nur ich mir in der letzten Woche Gedanken gemacht und zu merken, dass Marlon seine Fehler einsieht und sich bemüht, tut unglaublich gut. Trotzdem weiß ich nicht, was ich antworten soll, was zur Folge hat, dass ich unsicher im Regen stehen bleibe.
Nach einem Moment Überlegen, treffe ich allerdings eine Entscheidung.
"Alles gut, ich kann auch den Bus nehmen", lege ich zögerlich fest und streiche mir die nassen, klebenden Haare aus dem Gesicht. 
Marlon schüttelt sofort den Kopf.
"Okay, pass auf", beginnt er seufzend.
"Ich habe mich jetzt lange genug an diesen Abstand gehalten. Ich habe mich wirklich bemüht, dir den Raum zu geben, den du brauchst, aber das werde ich nicht weiterhin tun, während du hier zitternd vor Kälte vor mir im Regen stehst. Egal was zwischen uns los ist Amy, ich lasse dich jetzt mit Sicherheit nicht allein."
Er spricht seine Worte mit einer solchen Nachdrücklichkeit aus, dass ich schlucken muss. Doch ohne das ich es verhindern kann, schleicht sich auch ein winziges, unscheinbares Lächeln auf meine Lippen. Ich sehe ihm in die Augen und nicke dann langsam. "Okay."
"Das heißt ich bringe dich nach Hause?", fragt er hoffnungsvoll und spätestens jetzt gebe ich mich geschlagen. "Das wäre lieb."
Realistisch gesehen ist es auch nur sinnvoll. Warum sollte ich mir auch die Chance entgehen lassen, jetzt schon im warmen Auto mitzufahren, statt im kalten Regen noch minutenlang auf den Bus zu warten? Auch wenn das heißt, dass ich ein paar Minuten mit Marlon auf engstem Raum zusammensitze und mir schon allein beim Gedanken daran ein wenig mulmig zumute wird. Andererseits will ich nicht, dass es ewig so verkrampft zwischen uns weitergeht und folge daher seiner Aufforderung, einzusteigen.
Während ich mich auf den Beifahrersitz fallen lasse und die Autotür hinter mir zuziehe, spüre ich seinen intensiven Blick auf mir liegen. Er mustert mich genau, als hätten wir uns jahrelang nicht mehr aus der Nähe gesehen, obwohl es nur eine Woche war.
Eine Woche, in der wir sogar in manchen Kursen in der Schule nebeneinander saßen, unsere gegenseitigen Blicke dort allerdings stets gemieden haben. Von daher verstehe ich ihn. Und auch ich kann meine Neugierde in diesem Moment nicht länger zurückhalten und drehe den Kopf zu ihm rüber.
Mein Blick huscht über seine leicht unordentlich verwuschelten Haare, die ihm ein Stück zu lang in die Stirn hängen, über seine besorgten Augen bis hin zu seinen vollen Lippen, auf denen nun der Ansatz eines Lächelns zu erkennen ist.
Ungewollt überkommt mich die Erinnerung daran, wie sie sich auf meinen anfühlen und erneut holen mich die Gedanken, die ich schon eben im Club hatte, ein. Die Gedanken daran, wie sehr ich Marlons Berührungen, aber vorallem ihn als Menschen in meinem Leben, als Freund, vermisse. Ihn gerade wieder bei mir zu haben bestätigt mich bloß noch in meiner Denkweise.
"Wo kommst du überhaupt so spät noch her?", will er in diesem Moment wissen.
Ich zucke die Schultern.
"Ich war mit den Mädels feiern."
Er nickt verstehend und öffnet den Mund, als wolle er noch etwas sagen, schließt ihn aber im nächsten Augenblick wieder.
"Und wo warst du?"
"Bei Juli", antwortet er.
"Wart ihr alle da oder nur du?", frage ich und versuche möglichst unbeteiligt zu klingen. Hätte die ganze Mannschaft sich nämlich getroffen und allein Fabi wäre nicht da gewesen, weil er feiern war, hätte Marlon möglicherweise Schlüsse daraus ziehen können. "Nur ich."
Ich nicke und hoffe, dass er meine Erleichterung nicht bemerkt.
Anscheinend hat er genauso wie ich nichts mehr zu sagen und schon herrscht wieder betretene Stille. Eine unangenehme Spannung liegt in der Luft und ich bin froh, als er den Motor starten und den Wagen in Bewegung setzt. Die Autofahrt gibt mir die Möglichkeit mich abzuwenden, um dem Schweigen zwischen uns auszuweichen, was mir recht gelegen kommt.
Es ist einfacher, Problemen aus dem Weg zu gehen, anstatt darüber zu reden und anscheinend ist Marlon der selben Ansicht. Offensichtlich sind wir beide nicht dazu bereit, uns mit unsererer aktuellen gemeinsamen Situation auseinanderzusetzen und lassen sie lieber unangesprochen wie eine riesige, schwere Mauer zwischen uns stehen, anstatt diese Mauer überwinden zu wollen. Krampfhaft starre ich aus dem Fenster und beobachte die vorbeiziehenden, in der Dunkelheit und dem Regen relativ dunkel aussehenden Häuser.
Nach einer Weile räuspert Marlon sich. "Warum warst du alleine auf dem Heimweg?", erkundigt er sich leise.
Seine Stimme klingt heiser, so als hätte er sich dazu durchdringen müssen, zu sprechen.
"Ich brauchte kurz Zeit für mich", murmele ich als schwammige Erklärung. Ich kann ihm wohl kaum sagen, dass das Chaos in meinem Kopf bezüglich ihm und Fabi mich überfordert hat und ich daher allein sein wollte...
Ich wage einen Blick zu ihm rüber und vernehme, wie seine Stirn sich leicht in Falten legt, während er sich auf die Straße vor ihm konzentriert. "Und das musste unbedingt nachts allein im Dunkeln sein? Dir hätte sonst was passieren können!"
"Marlon", unterbreche ich seinen Vorwurf schneidend. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Er versteht und presst die Lippen aufeinander. "Sorry."
"Schon okay. War vielleicht wirklich nicht so schlau von mir", gebe ich widerwillig zurück. Er gibt ein zustimmendes Brummen von sich, bevor er seine nächste, beschützerische Frage stellt. "Wie viel hast du denn getrunken?"
Ich stoße ein leises, frustriertes Stöhnen aus und muss mich stark kontrollieren, um meine Atmung regelmäßig zu halten.
Vielleicht bin ich auch ein wenig zu empfindlich was diese behütende Art angeht, da er es mit Sichereit nur gut meint, aber trotzdem kann ich nicht verhindern, dass in diesen Momenten immer wieder tiefe Erinnerungen hochgeholt werden, über die ich schon seit so langer Zeit versuche, hinwegzukommen.
"Nicht allzu viel, aber ist doch auch egal", hauche ich erschöpft. "Warum interessiert dich das überhaupt so sehr?"
Marlon holt tief Luft und hält den Blick weiter starr nach vorne gerichtet.
"Weil ich will, dass es dir gut geht."
Seine Worte sind extrem leise und trotzdem höre ich sie nur zu deutlich. Ich fühle sie bis tief in die Knochen. Sie lösen ein warmes Kribbeln in meinem Inneren aus, doch gleichzeitig überkommt mich ein kalter Schauer. Es ist als könne mein Herz sich nicht entscheiden, was ich in diesem Moment fühle und wählt letzendlich den leichteren Weg - die Kälte und das Unwohlsein.
Plötzlich nehme ich die nassen, kalten Klamotten an meinem Körper wieder allzu deutlich war, die Wärme des Autos verschwindet aus meinen Gliedmaßen und ich schlinge fröstelnd die Arme um meinen Oberkörper. Meinen Blick wende ich überfordert ab, ohne etwas zu antworten. Marlon neben mir greift ohne ein weiteres Wort über die Mittelkonsole ins Hinterere des Wagens. Er zieht einen Pulli von der Rückbank und legt ihn mit einem flüchtigen Blick zu mir rüber in meinen Schoß, bevor er sich wieder der Straße widmet.
"Zieh die nassen Sachen aus und den an, dann ist dir nicht so kalt", meint er.
Erst will ich denn Mund öffnen, um zu protestieren, frage mich einen Moment später aber dann, wieso überhaupt. Seine Fürsorge macht mich irgendwo auch glücklich.
Also streife ich mir ohne groß weiter darüber nachzudenken mein Oberteil vom Kopf, stocke allerdings als ich daraufhin nur noch im BH dasitze. Zum Glück ist es schon so spät, dass kaum mehr Leute draußen unterwegs sind und gerade niemand in der Nähe ist, der sieht, wie ich mich im Auto ausziehe.
Die einzige Person, die das sehen kann, ist Marlon und auch wenn er es versucht unauffällig zu halten, spüre ich doch ganz genau, wie sein Blick immer wieder verstohlen zu mir rüberhuscht.
Eigentlich würde ich auch gerne meinen ebenfalls ziemlich nassen BH loswerden, zögere aber, als ich mit meinen Händen am Verschluss von diesem angekommen bin. Auch wenn ich sonst das absolute Gegenteil von prüde bin, erscheint es mir jetzt in dieser Situation doch komisch, mich komplett vor Marlon zu entblößen.
Und auch ihm scheint meine leichte Unsicherheit aufzufallen.
"Es ist nicht das erste Mal, dass ich deinen Oberkörper nackt sehe, Amy", schmunzelt er. "Auch was", erwidere ich augenverdrehend und harke dann kurzerhand den Verschluss meines BH's auseinander. Während ich ihn mir von den  Schultern streife, spüre ich Malons flüchtige Blicke auf meiner Haut lodern und muss mich bemühen, ein Lächeln zu unterdrücken.
So schnell wie möglich schlüpfe ich in seinen kuscheligen Pulli und vergrabe mich vollständig darin. Als ich mir die viel zu langen Ärmel über die Hände ziehe, werde ich vollständig von Marlons Geruch eingelullt.
Er ist so vertraut, dass er eine seltsame Ruhe in mir weckt und ich kurz die Augen schließe. Ich lehne mich in meinem Sitz zurück und atme tief ein, um dieses kurze, entspannende Gefühl einzufangen. Am liebsten für immer.
"Du hattest mit irgendjemandem ziemlichen Spaß diese Nacht, nicht wahr?", reißt Marlon mich fragend aus meiner Ruhe und mein Herz beginnt sofort, schneller zu schlagen.
"Was? Wie kommst du darauf?", frage ich ertappt.
"Die Knutschflecke. In deinem Dekolleté, auf deinen Brüsten und einer an deinem Hals."
Während seiner Feststellung ist sein Kiefer zwar ein wenig angespannt, ansonsten klingt seine Stimme aber sehr gelassen, was mich widerum unruhig macht.
Unauffällig ziehe ich den Pulli ein Stück vor und wage einen flüchtigen Blick an meinem Oberkörper hinunter - und tatsächlich. Mehrere rot-blaue Verfärbungen zieren meine Haut. So intensiv wie Fabi jeden Zentimeter dieser geküsst und beabeitet hat, hätte ich mir das auch denken können...
"Oh", entweicht es mir, woraufhin Marlon belustigt schnaubt. "Oh ist gut."
Die triefende Ironie in seinem Kommentar ist zwar nicht zu überhören, aber ansonsten bleibt er still, was mich verwundert.
So wie ich ihn kenne, müsste er schon längst ausgerastet sein.
"Und? Willst du nicht wissen von wem sie kommen?", frage ich langsam. Er zuckt die Schultern und dreht das Lenkrad, um in meine Straße einzubiegen. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell wir angekommen sind.
"Doch, am liebsten schon", gibt er murmelnd zu. "Aber andererseits geht es mich nichts an und du musst es mir nicht erzählen."
Genau in diesem Moment lässt er den Wagen vor meiner Einfahrt zum Stehen kommen und mir bleibt wortwörtlich der Mund offen stehen. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er sich meine Kritik an seinem Verhalten so sehr zu Herzen nimmt. Es ist fast, als würde er versuchen, seine besitzergreifende Art abzulegen, obwohl ihm das sichtlich schwerfällt. Wahrscheinlich sehe ich auch sehr verblüfft aus, denn als er seinen Kopf zu mir rüberdreht, zucken seine Mundwinkel verdächtig.
"Was? Dachtest du, dass ich mein Verhalten in der letzten Woche nicht überdacht habe?" "Keine Ahnung was ich dachte", gebe ich ein wenig kleinlaut zu. "Aber ich finde es schön, dass du das getan hast."
"Das hatte ich gehofft", meint er und schenkt mir ein kleines, unsicheres Lächeln.
Es ist komplett anders als das überhebliche, welches ich sonst von ihm gewohnt bin. Sanfter, schüchterner und irgendwie bedeutsamer. Seine braunen Augen funkeln leicht fragend, in stiller Erwartung auf meine Reaktion und augenblicklich verfange ich mich in ihnen. Für den Bruchteil einer Sekude sehen wir uns bloß an, bevor auch ich mich endlich überwinde, vorsichtig die Mundwinkel hochzuziehen.
"Okay, ich glaube die Zeit des Smalltalks ist jetzt vorbei", haucht er nach einer Weile und lässt das Blut in meinen Adern durch diese Worte schneller, aufgeregter pumpen.
"Wie soll es jetzt bei uns weitergehen?"

An Marlons Einstellung erkennt man wohl tatsächlich ein paar Veränderungen... was denkt ihr, wie Amy damit jetzt im weiteren Verlauf des Gesprächs umgehen wird? Und was sagt ihr zum Umgang der beiden miteinander in diesem Kapitel generell?
Lasst gerne Feedback & einen Stern da, wenn es euch gefallen hat, würde mich freuen❤❤

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