Epilog

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Pov Amy
"Danke, dass du mit mir hier bist", lächele ich Jette schwach zu. Sie erwidert mein Lächeln sanft. "Das ist doch selbstverständlich."
Am liebsten würde ich ihr meinen tiefen Dank stärker zum Ausdruck bringen, kann aber bloß nicken. Meine innere Anspannung ist zu groß. Sie zerreißt mich fast und durch den Kloß in meinem Hals spüre ich leichte Übelkeit in mir aufkommen.
Ich trete nervös von einem Fuß auf den anderen, immer und immer wieder, während mein Blick suchend die Straße entlanghuscht. Marlon müsste jeden Augenblick vom Training zurückkommen. Meine Finger sind fest in das weiche Stück Stoff in meinen Händen gekrallt. Ich drücke es mir fest gegen die Brust und senke den Kopf ein wenig, um den vertrauten Geruch ein letztes Mal einzufangen. Den Geruch nach Marlon.
Er strömt mir in die Nase und von dort aus durch jede Faser meines Körpers, bis tief in mein Herz. Er setzt sich dort fest, verankert sich bis in alle Ewigkeit und löst noch dazu einen schmerzerfüllten Stich in mir aus.
"Irgendwie fühlt es sich jetzt wie ein endgültiger Abschied an", murmele ich leise. Mehr zu mir selbst als zu Jette, doch trotzdem legt sich ein unglaublich verständnisvoller Ausdruck in ihre Augen.
"Das muss es aber gar nicht sein. Sieh es eher als Tat, um mit der Sache abschließen zu können. So hast du es doch selbst gesagt", erinnert sie mich. Der Klang ihrer Stimme hat etwas bedächtiges, ruhiges, was mich tief durchatmen lässt.
"Stimmt", hauche ich und streiche gedankenverloren über den Pulli in meinem Arm. Den, den Marlon mir in der Nacht gegeben hat, in der ich fröstelnd und vom Regen durchnässt in sein Auto gestiegen bin und er mich ohne zu Zögern nach Hause gefahren hat. In der Nacht, in der er mir zum ersten Mal gestanden hat, dass er mehr als Freundschaft für mich empfindet.
In der Nacht, die alles zwischen uns verändert hat. Damals schien es allerdings noch als würde diese Veränderung etwas positives sein. Dass dem nicht so war, haben wir spätestens in der zweiten regendurchnässten Nacht bemerkt.
Die Nacht vor einer knappen Woche.
Die Nacht, in dem ich uns die Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft als Paar genommen habe. Nachdem ich in dieser Nacht nach unserem bitteren, herzzerreißenden Gespräch zuhause ankam, habe ich Marlons Pulli noch immer über meinem Schreibtischstuhl hängen sehen.
Nie habe ich ihn ihm zurückgegeben und in den letzten Tagen konnte ich mich noch weniger dazu überwinden.
Stattdessen habe ich mich mehrfach dabei erwischt, wie ich mich in schlaflosen Nächten in diesen Pulli gekuschelt und mich von seinem Geruch habe einlullen lassen.
Marlons Geruch immer greifbar zu haben war seltsam tröstend, doch gleichzeitig extrem qualvoll. Er war wie eine mich dauerhaft umhüllende Wolke, die mich bloß daran erinnert hat, was wir hätten haben können, hätte ich das mit uns nicht beendet.
Den Pulli regelmäßig zu tragen hat mich daran gehindert, vollständig mit dem Gedanken an Marlon und mich in einer Beziehung abschließen zu können.
Immer und immer wieder haben ich mir die Fragen gestellt, ob es nicht doch hätte klappen können und ob meine Entscheidung die richtige war und da ich mich nicht mehr mit meinen eigenen Gedanken quälen möchte, habe ich beschlossen, Marlon seinen Pulli heute zurückzugeben. Da ich jedoch erahnen konnte, wie schwer mir dies fallen wird, habe ich Jette gebeten dabei zu sein. Allerdings wollte ich es nicht in der Schule machen, weswegen wir nun gemeinsam auf der Straße vor seinem Haus stehen und darauf warten, dass er kommt.
"Ich bin stolz auf dich", holt Jette mich mit einem Lob in die Realität zurück. Ich sehe sie fragend an und hebe verständnislos eine Augenbraue. "Warum?"
"Wegen deiner Entscheidung", meint sie stumpf, als würde mir dies als Erklärung reichen. Jedoch verwirrt es mich bloß noch mehr. "Aber du hast doch gesagt, dass du denkst, dass Marlon mir gut tun würde? Warum bist du dann stolz auf mich, weil ich mich entschieden habe ihn abzuweisen?"
Jette verdreht lachend die Augen und schüttelt dann den Kopf leicht.
"Ja, das mag ich gesagt haben", beginnt sie. Dann wird ihr Blick wieder ein wenig ernster. "Aber in erster Linie habe ich dir immer gesagt, dass du das tun musst, was für dich selbst am Besten ist. Und ich bin einfach stolz darauf, dass du genau das getan hast.
Auch wenn es schwer war."
Ihre Worte lassen mein aufgezwungenes Lächeln ein Stück ehrlicher und den erdrückenden Knoten in meinem Bauch etwas lockerer werden. "Danke", hauche ich und verstehe in diesem Moment, was sie immer damit meinte. Wäre das mit Marlon so weitergegangen, wie es war, wäre es nicht das Beste für mich gewesen. Auch wenn ich es in vielen Zeitpunkten verdrängen konnte, vollständig wohl habe ich mich nie bei dem Gedanken daran gefühlt, Marlon eines Tages als meinen festen Freund zu betiteln. Dennoch habe ich versucht mich darauf einzulassen. Und auch wenn es kurzzeitig gut aussah, in den Momenten, in denen es ernst wurde, habe ich dann doch immer wieder gezögert. So lange, bis die gute Zeit zu Ende ging und meine Unsicherheit gesiegt hat.
Und auch wenn ich schon länger mit dem Gedanken gespielt habe, die mehr als freundschaftliche Sache zwischen uns zu beenden, hat es doch gedauert, bis ich es letztendlich getan habe.
Ich habe uns beiden mehr Hoffnung gemacht als gut gewesen wäre, einfach weil ich Marlon nicht verletzten wollte.
Allerdings habe ich gemerkt, dass Rücksicht nehmen nichts bringt, wenn ich dabei keine Rücksicht mehr auf mich selber nehme. 
Durch meine Entscheidung habe ich dies allerdings wieder getan und so gesehen war sie also wirklich die richtige.
"Geht es denn?", fragt Jette behutsam.
Ich verstehe sofort, dass sie auf mein Wohlbefinden bezüglich der gesamten Situation anspielt und kann bloß seufzend die Schultern zucken. "Es tut noch immer weh. Aber langsam komme ich damit klar", erkläre ich leise. Und es ist die Wahrheit. Im Laufe der letzten Tage habe ich begonnen, mich mit meiner Entscheidung und den daraus folgenden Konsequenzen abzufinden.
"Das freut mich", nickt meine beste Freundin lächelnd. Sie sieht mir aufrichtig in die Augen, doch nach einer Weile wirkt ihr Blick abweisend. Als würden ihre Gedanken an einen anderen Ort schweifen. Und genau diesen Moment muss ich nutzen, weswegen ich tief durchatme. "Und bei dir?", frage ich dann vorsichtig. "Hm?" "Wie geht es dir?"
"Gut", antwortet sie sofort. So schnell, dass es absolut unglaubwürdig klingt.
Doch bevor ich dazu komme, nachhaken zu können, lenkt mich das Knattern von sich nähernden Motorrädern ab. Ich drehe den Kopf und mein Herz legt wieder an Schlaggeschwindigkeit zu, als ich vier dieser Fahrzeuge auf uns zufahren sehe.
Als die Jungs vor uns zum Stehen kommen und ihre Motorradhelme ausziehen, nachdem sie ihre Maschinen zur Seite gestellt haben, steht in jedem ihrer Gesichter Überraschung geschrieben. "Was macht ihr denn hier?", fragt Marlon zögerlich.
Allerdings gilt sein Blick nur mir. Ich beiße mir unschlüssig auf der Unterlippe herum und lasse den Blick zögernd durch die Runde schweifen. Hätte ich damit gerechnet, dass Marlon und Leon Maxi und Markus nach ihrem Training noch mit zu sich nach Hause bringen, wäre ich an einem anderen Tag aufgetaucht. Mir entgeht der kurze, neugierige Blick, den Maxi dem Mädchen neben mir zuwirft, weil meine Augen in dieser Sekunde wieder auf Marlons treffen. "Ich.. wollte kurz mit dir reden", erkläre ich ihm leicht stammelnd und sehe genau, wie er schluckt. "Klar", meint er dann.
Er wirft seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu, woraufhin dieser versteht und auf sich, Markus und Maxi deutet. "Wir sind dann schonmal drinnen", bestimmt er. Die beiden folgen Leon und sobald sie den Garten betreten und außer Hörweite sind, zieht auch Jette sich zurück. Nicht, ohne mir ein letztes, aufmunterndes Lächeln geschenkt zu haben.

Intuitiv, attraktiv? - DWKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt