Kapitel 37

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Pov Marlon
Mit klopfendem Herzen warte ich auf Amys Antwort. Jetzt, nachdem ich im Auto wieder ein paar Minuten Zeit mit ihr verbracht habe, ist mir klargeworden, dass ich diesen Abstand zu ihr keinen Tag länger aushalten kann. Von daher muss ich einfach wissen, wie es zwischen uns weitergeht. 
Doch Amy wirkt unsicher und ihr Blick huscht zu ihrem Haus rüber, als könne sie nicht erwarten von mir wegzukommen. "Müssen wir das wirklich jetzt besprechen?", fragt sie ausweichend.
"Was spricht denn dagegen?"
"Ich habe getrunken."
Fast verdehe ich die Augen, halte mich in der letzten Sekunde dann aber doch noch davon ab. Ich bin mir sicher, dass sie sich einfach genauso wenig wie ich zum Reden bereit fühlt und den Alkohol in ihrem Blut nur als Vorwand nutzt.
"Aber nicht so viel hast du eben gesagt. Klares Denken sollte also kein Problem sein", gebe ich also schlagartig zurück.
Meine Stimme klingt forsch und schnell lege ich einen sanfteren, bittenden Ausdruck in mein Gesicht.
"Bitte Amy", flehe ich leise. "Ich kann diese Ungewissheit nicht mehr ertragen."
Ich kann es wirklich nicht mehr. Es tut weh, verdammt weh, sie jeden Tag zu sehen und doch nicht zu wissen, wann ich ihr wieder näherkommen kann und darf.
Es muss nichtmal körperlich sein.
"Okay", seufzt sie, lässt sich tief in den Autositz sinken und wendet mir dann ihr Gesicht zu. Ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell nachgibt und mustere sie deswegen leicht kritisch. Ihre Haare kleben nass und unordentlich an ihre Haut, ihre Wangen sind vor Kälte leicht gerötet und der Knutschfleck an ihrem Hals lenkt mich für kurze Zeit ab. Leichte Wut steigt beim Anblick der dunklen Verfärbung in mir auf, doch ich schlucke sie wieder runter.
Zwar hat es mich schon eben große Beherrschung gekostet, nicht weiter darauf einzugehen und nicht zu fragen, mit wem sie geschlafen hat, aber ihr zuliebe habe ich es geschafft, mich zurückzuhalten und tue es jetzt wieder. Mittlerweile habe ich nämlich eingesehen, dass meine Vorwürfe tatsächlich ziemlich kontraproduktiv sind und ich Amy wahrscheinlich komplett verlieren würde, würde ich mir noch einen weiteren Kommentar in diese besitzergreifende Richtung erlauben. Meine Eifersucht hat uns schließlich überhaupt erst in diese beschissene Situation reingeritten.
Obwohl mir bei dem Gedanken daran, dass eine andere Person als ich sie erneut berührt hat, dennoch übel wird.
"Was genau erwartest du jetzt von mir?", will sie wissen, bevor meine Gedanken in eine noch üblere Richtung gehen können und sieht mich prüfend an.
"Ich kann nicht alleine entscheiden, wie es bei uns weitergeht." 
"Das habe ich auch nie verlangt", stelle ich vorsichtig klar. "Aber ich möchte, dass du vor mir die Möglichkeit bekommst, deine Ansicht zu erklären. Ich bin nunmal derjenige, der die Scheiße gebaut hat."
Sie schnaubt verächtlich.
"Damit hast du wohl recht", murmelt sie, doch das leichte Lächeln auf ihren Lippen signalisiert mir, das trotzdem noch nicht alles verloren ist. Generell bin ich unglaublich froh darüber, dass sie sich in meiner Nähe nicht allzu unwohl zu fühlen scheint. Als sie eingestiegen ist, war die Stimmung zwischen uns zwar extrem angespannnt, doch mit der Zeit haben wir uns entkrampft. Zwar ist unser Umgang miteinander noch lange nicht wieder so entspannt wie im Normalfall, aber Amy wirkt auch nicht mehr so abweisend wie auf und nach meiner Geburtstagsparty.
Es sind kleine Fortschritte, die mir aber umso größer erscheinen, da ihre Bedeutung alles verändern kann.
"Also?", dränge ich, doch sie schüttelt unentschlossen den Kopf.
"Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung", seufzt sie. "Was schlägst du denn vor?"
Ihre Augen sind interessiert geweitet und augenblicklich fühle ich mich unter Druck gesetzt, weil ich nichts falsches sagen, aber dennoch bei der Wahrheit bleiben möchte. "Ich fänd es schön, wenn wir uns nicht mehr aus dem Weg gehen würden", fange ich daher zögerlich an und muss schlucken, bevor ich mich traue, leise meine nächsten Worte auszusprechen.
"Ich vermisse dich nämlich."
Ein aufgeregter Schauer durchfährt meine Adern, während ich auf ihre Reaktion warte. Es ist, als würden sie unter Strom stehen. Diese Spannung löst sich erst wieder, als ein leicht erfreutes Funkeln in Amys Augen tritt.
"Ich vermisse dich auch", haucht sie lächelnd. Erleichtert lächele ich zurück und bevor ich darüber nachdenken kann, hat meine Intuition auch schon meine nächste Handlung für mich entschieden.
Ich greife über die Mittelkonsole nach ihrer Hand und schließe vorsichtig ihre kalten Finger in meine. An den Stellen, an denen ich sie berühre, kribbelt meine Haut augenblicklich. Und auch an Amy scheint die Berührung nicht spurlos vorbeizugehen. Sie atmet überrascht zischend ein, entzieht sich meinem Griff aber nicht, was ich als gutes Zeichen deute.
"Also ist die Zeit, die du brauchtest, jetzt um?", erkundige ich mich hoffnungsvoll.
Sie beißt sich auf die Unterlippe und wendet nachdenklich den Blick auf unsere ineinander verschlungenen Hände.
Die Sekunden ziehen sich in die Länge, während ich warte. Und warte. Und warte. Schon zu oft in meinem Leben habe ich mir einen Zeitumkehrer gewünscht, doch gerade ist das erste Mal, in dem ich mir einen Zeitbeschleuniger wünsche.
Innerlich frisst mich meine Ungeduld auf, während ich nach außen hin versuche, geduldig zu wirken, um Amy genügend Zeit zu geben, in der sie über meine Frage nachdenken und möglicherweise sogar eine Entscheidung treffen kann.
Und irgendwann, nach gefühlten Stunden, obwohl es sich nur um wenige Sekunden gehandelt haben kann, nickt sie langsam. Das Nicken ist kaum erkennbar, aber für mich komplett ausreichend.
"Ja", flüstert sie schließlich und wendet ihren Blick wieder nach oben, in meine Augen.
"Ich denke schon."
Mit jedem ihrer Worte fühle ich mich ein Stück befreiter. Ich fühle mich wie in einem dieser kitschigen Liebesromane, in denen beschrieben wird, wie einem nach der Klärung eines Streits leichter ums Herz wird. Und dummerweise passt diese Beschreibung ziemlich gut.
"Danke", hauche ich, mir wohl bewusst darüber, dass Amy mir gerade indirekt verziehen hat. Sie nickt erneut.
"Ich sage aber nur ja, weil ich merke, dass du dich wirklich bemühst. Das habe ich gesagt als du letzes Wochenende bei mir warst, erinnerst du dich?"
"Ja, tue ich." Ich erinnere mich an alles, was sie gesagt hat. Ausnahmslos.
So lange bis du verstanden hast, dass ich theoretisch auch mit anderen Leuten etwas haben kann und darf. Genauso wie du ja auch. Genau das hat sie gesagt. 
"Du meintest, dass wir uns wieder näher kommen können, sobald ich verstanden habe, dass du nicht mir gehörst", fasse ich also zusammen, woraufhin sie einen zustimmenden Laut von sich gibt.
"Genau. Und, hast du?"
Ich runzele die Strin.
"Was?"
"Das verstanden", meint sie schulternzuckend, während ich unter ihrem erwartungsvollen Blick schrumpfe.
Am liebsten würde ich hastig nicken und ihr ohne zu zögern zustimmen, doch etwas in meinem Inneren hält mich davon ab.
Tief in mir weiß ich, dass ich lügen würde, wenn ich zustimemn würde. Ich habe zwar verstanden, dass wir in einem Verhältnis zueinander stehen, in dem sie mir wirklich nicht gehört, aber ob ich mich auch dementsprechend verhalten kann, weiß ich nicht. Möglicherweise schaffe ich es phasenweise, meine Eifersucht im Zaum zu halten, aber mit Sicherheit nicht dauerhaft. Auch wenn ich logisch denkend weiß, dass dies absolut falsch ist, spielen meine Gefühle trotzdem verrückt. Sie dominieren und ich schaffe es nicht mehr, sie zurückzuhalten.
Wenn ich ihr allerdings widersprechen und dementsprechend die bittere Wahrheit zugeben würde, würde ich riskieren, Amy gänzlich zu verlieren. Wir würden uns nicht wieder annähern und ich würde erneut zu einer Person werden, die alle Menschen um sich herum schlecht behandelt, bloß weil sie selbst nicht mehr klarkommt. Und diese Seite an mir fand ich schon die letzte Woche lang unerträglich.
Von daher atme ich zitternd aus.
"Ja, natürlich habe ich das verstanden", krächtze ich mit belegter Stimme.
Wäre die Situation nicht so bedeutend, würde ich selbst darüber lachen wie unüberzeugt ich klinge, doch so kritisch wie Amy mich ansieht, kann ich das nicht.
Sie glaubt mir nicht, das erkenne ich sofort. "Sicher?"
Ich nicke bloß, da ihr meine Lüge beim Sprechen wahrscheinlich bloß noch deutlicher auffallen würde.
"Marlon, ganz blöd bin ich auch nicht", lacht sie matt und ich senke ertappt den Blick in meinen Schoß. "Ich merke doch, das du mich am liebsten für dich allein hättest. Dich stört es, wenn ich mit anderen Leuten rummache und dich stört es sogar teilweise auch schon, wenn ich nur mit ihnen rede."
Amy drückt meine Hand sanft und ich sehe wieder zu ihr hoch. Direkt in ihre Augen, die mich so verständnisvoll leuchtend empfangen, wie ich es nie erwartet hätte. "Weißt du, ich möchte es nur verstehen", fährt sie fort. "Es könnte dir doch egal sein. Warum interessiert es dich so sehr, was ich mit anderen habe? Warum stört es dich so extrem?" Ich muss trocken schlucken.
Ihre Stimme und auch ihr Blick ist so behutsam und eindringlich zugleich, dass es mich nur noch verunsichert. Am liebsten würde ich auf der Stelle aus meinem eigenen Auto springen und davonrennen, aber ich weiß, dass das nicht hilfreich wäre.
Ich war mir die ganze Zeit bewusst darüber, dass dieses Thema früher oder später zur Sprache kommt, habe aber gehofft, dass ich ihm heute trotzdem noch ein letztes Mal ausweichen kann. Offensichtlich vergeblich. Mein Kopf beginnt zu rauschen und meine Antwort überfordert mich vollständig. Einerseits weiß ich, dass ich sie nicht länger anlügen und ihrer Frage ausweichen kann, andererseits macht mir genau das Angst. Wenn ich ihr jetzt keine vernünftige Erklärung gebe, wird es vorbei sein.
Wir werden uns weder auf körperlicher, noch auf emotionaler Ebene jemals wieder nah so sein, wie vor unserem Streit. Und das möchte ich unter keinen Umständen.
Von daher muss ich ehrlich sein, das wird mir in diesem Moment bewusst. Auch wenn das bedeutet, dass ich alles riskiere.
Alles, was wir jemals hatten und alles, was wir in der Zukunft haben könnten.
Mit den Fingern der Hand, die nicht Amys umschließen, trommele ich nervös auf dem Lenkrad herum, während ich versuche, eine Entscheidung zu treffen. Ich zerdenke meine Gedanken und bevor ich weiter habe nachdenken können, spreche ich auch schon. Intuitiv. "Weil...", beginne ich kleinlaut, straffe dann aber die Schultern, um mir selbst Mut zu machen.
"Weil ich eifersüchtig war",gebe ich zu. "Bin."
Als hätte Amy die ganze Zeit über die Luft angehalten, atmet sie nun stockend aus.
Ihr Blick verschleiert sich ein wenig und sie nickt, als würde sie meine Antwort nicht sonderlich überraschen. Ich spüre mein Herz in rasendem Tempo gegen meine Rippen schlagen. "Und warum?", haucht sie leise.
In ihrem intensiven Blick kann ich lesen, dass sie es sich schon selbst erschlossen hat, doch dennoch zwingt sie mich, es auszusprechen. Und spätestens jetzt wird mir vollständig klar, dass mir nicht anderes übrig bleibt, wenn ich sie nicht verlieren will.
Für eine Millisekunde schließe ich die Augen und atme tief durch, bevor ich jegliche Verschlossenheit aus meinem Blick lege.
"Ich weiß, wir haben immer gesagt, dass es nie passiert", stammele ich.
"Und es tut mir leid. Aber es könnte sein, dass..." Ich stocke.
"...dass meine Gefühle für dich über die freundschaftliche Ebene hinausgegangen sind."

Oh well, allmählich wirds ernst hier...
Bin mir tatsächlich super unsicher was das Kapitel angeht bzw. ob ich Marlons Gedankengänge verständlich rübergebracht habe, also sagt mir gerne was ihr darüber denkt :) Und natürlich auch generell zum Gespräch der beiden...
Lasst gerne Feedback & einen Stern da, wenn es euch gefallen hat, würde mich freuen❤❤

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