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Eins, zwei, drei Tage lang hatte die Erde sich an ihre Regeln gehalten. Am vierten war Louis verschwunden. Und nicht nur Louis; auch all die anderen Menschen.
Es war die gleiche Zeit, derselbe Ort, aber heute lag der Tempel, der keiner war, in friedlichem Schweigen. Erst hatte ich angenommen, die Menschen müssten sich versteckt haben. Oder vielleicht gab es ein weiteres Problem im Hörsaal und dieses Mal war nicht nur das Personal dorthin geordert worden, sondern auch jeder andere Mensch im Gebäude. Ich war durch die leeren Flure gewandelt, hatte mich auf Geräusche und Wärme konzentriert, aber da war nichts. Letztendlich hatte ich die Augen geschlossen, die Fingerspitzen an meine Schläfe geführt und die hohen, tiefen Steinwände nach menschlichem Leben abgesucht. Kein einziger Mensch in den langen Gängen. Das hatte ich davon, wenn ich mich von meinem eigenen Wissen auf die Erde führen ließ, nicht von meinem Band zu Louis. Sonst wäre ich direkt bei ihm aufgetaucht. Wo auch immer er war, und warum auch immer dieses Gebäude von jedem einzelnen Menschen verlassen worden war.
Ohne Eile machte ich mich auf die Suche nach einem offenen Fenster. Die hohen Türen, die ich vor drei Tagen zum Betreten und gestern mit Louis zum Verlassen der Universität benutzt hatte, waren verschlossen. Eine Vorliebe der Menschen. Dinge erschaffen, um sie zu verbieten.
Vielleicht war Louis noch bei Johannah. In Leeds, hatte er gesagt. Aber ich bezweifelte, dass auch der Rest der Menschenmassen der vorherigen Tage geschlossen in Leeds war, um Louis' Mutter zu besuchen. Es sei denn, sie wollten ihr eine Freude machen. Manchmal machten Menschen solche Dinge. Wir hatten in unserer Grundbildung nicht viel über menschliche Traditionen gelernt, aber der Tag, an dem Menschen so taten, als würden sie älter werden, obwohl sie jeden einzelnen Tag ihres Lebens älter wurden, hatten wir besprochen, weil er fast weltweit gefeiert wird. Die wichtigsten Feste der Menschen waren die unsinnigsten. Aber wahrscheinlich wussten sie das selber.
Außerdem war es nicht Johannah Tomlinsons fälschlicher Alterwechsel-Tag. Deswegen schien es keine sinnvolle Erklärung dafür zu sein, dass hunderte von Menschen sich gemeinsam auf den Weg gemacht hatten, um sie zu sehen. Aber bei den Menschen waren eine Menge Dinge möglich.
Dinge wie Handys. Als Louis gestern nach der Nummer, die ich besaß, gefragt hatte, war ich für eine Weile überfordert gewesen. Denn es hatte einfach keinen Sinn ergeben. Menschen hatten keine Nummern. Nicht mal in den himmlischen Archiven wurden Menschen durchnummeriert! Menschen hatten Namen, sie hatten Herzen und ein Bewusstsein. Aber keine Nummern. Mensch 1, Mensch 2, Mensch 3. Ich hatte trotzdem geprüft. Hätten Menschen Nummern, wäre Louis Mensch 1003628859. Er war der 1003628859. Mensch, der jemals geboren worden war. Wie langweilig; Zahlen.
Doch selbst wenn Menschen Nummern tragen würden, wäre die Frage nach meiner kompliziert gewesen. Ich war kein Mensch. Und in diesem Fall hätte ich nicht lügen können, denn eine Lüge wäre Diebstahl einer menschlichen Identität gewesen.
Engel durften eine Menge tun. Aber menschliche Identitäten stehlen durften sie nicht.
Wie gut, dass es nur um Handys gegangen war. Liam hatte mir geholfen auf meiner Suche nach Wissen – denn Handys waren anscheinend mit einer Menge, Menge, Menge Risiken verbunden. Nach verwirrender Recherche hatte ich diese Dinge verstanden:
1. Handys waren Geräte, um dem menschlichen Gehör zu verhelfen. Wenn dieses nicht ausreichen sollte, einen anderen Menschen weiter weg zu hören.
2. Ein Handy zu besitzen war lebensgefährlicher, als bei einem Gewitter schwimmen zu gehen.
3. England war mit 86,727% der Menschen das Land, das weltweit die höchste prozentuelle Nutzung an Handys vorwies.
4. Louis war einer von ihnen. Und ich hatte ihn nicht aufgehalten. Wunderbarer Engel.
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wait for me in the sky
FanfictionHarry ist Louis' Schutzengel. Die Erde ist nicht der richtige Ort, um gegen die Regeln des Himmels zu verstoßen. Oder vielleicht doch?