𝐗𝐋𝐕𝐈

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Mittwoch vergessen, Ostern stattdessen...

☽ ⋆ 𝐋 ⋆ ☾

Ich blinzelte. »Du atmest nicht?«

»Ich muss nicht atmen. Ich habe in deiner Gegenwart geatmet, bis du wusstest, dass ich ein Engel bin. Damit du mich für einen Menschen hältst. Aber ich bin kein besonders guter Atmer.«

Kein besonders guter Atmer. Offensichtlich war ich kein besonders guter Atemdetektor, denn mir war nie aufgefallen, dass Harry nicht geatmet hatte. Seltsam und gleichzeitig überhaupt nicht. Ich konnte mir keinen einzigen Menschen vorstellen, dem es auffallen würde, dass Harry nicht atmete, wenn er sonst normal funktionierte und redete. Aber vielleicht war ich das schwache Glied in der Gleichung.

»Aber wie... Du brauchst keinen Sauerstoff?« Ich versuchte, mir Dinge vorzustellen, aber ich hatte keine Ahnung, was ich mir vorstellte, und es gelang auch nicht.

»Nein.«

»Und du musst nicht blinzeln.«

»Nein.«

Auch das war mir nicht aufgefallen. Obwohl ich gemerkt hatte, dass Harry manchmal seltsam blinzelte. »Werden deine Augen nicht trocken?«

»Nein.«

»Beneidenswert.« Mir fiel nichts anderes ein. »Habe ich beides nicht bemerkt.«

»Wirklich nicht?«, fragte Harry und schien ehrlich überrascht. »Es ist trotzdem essentiell, dass ich es um andere Menschen herum tue.« Zur Bestätigung seiner Worte nahm er einen tiefen Atemzug und blinzelte synchron. Was für ein Betrüger. Er sah aus wie ein Fünfjähriger, der sich vor laufender Kamera ganz normal benehmen sollte. »Ich muss es mir wieder angewöhnen. Und die anderen Manierismen, mit denen ich aufgehört habe, seit du die Wahrheit weißt.«

»Die da wären?«

»Mimik, Gestik. Nicken.« Er nickte, wie ein Roboter. »Oder Kopfschütteln.« Überraschung; er schüttelte den Kopf. »Oder andere Sachen, die du häufig machst. Das hier.« Er zuckte mit großen Augen die Schultern. »Oder das.« Seine Stirn legte sich in feine Falten, aber es sah ein bisschen angestrengt aus.

Ich konnte das Grinsen nicht unterdrücken, auch wenn es ein ungutes Gefühl auslöste, länger darüber nachzudenken, wie genau er anscheinend jede einzelne meiner Bewegungen beobachtet hatte. Und das würde unter seiner offiziellen Supervision wahrscheinlich kaum besser werden. Trotzdem war es amüsant, ihm zuzusehen. »Was mache ich sonst noch so?«

»Das.« Harry legte sich den rechten Zeigefinger auf die Lippen wie gestern im Bus. »Leise sein.«, erinnerte er mich. »Oder das.« Er presste die Lippen in einer nachdenklichen Grimasse zusammen.

Dieses Mal musste ich lachen.

»Und das.«, sagte er lauter, bestätigt. Er signalisierte mit seinem Zeigefinger. »Lachen.«

Ich war ein bisschen enttäuscht, dass er mein Lachen nicht imitierte und noch enttäuschter, dass er nicht sein eigenes, echtes Lachen lachte. Ich würde eine Menge tun, um dieses Geräusch nochmal zu hören. »Aber du lachst auch. Es ist nicht nur etwas menschliches.«

»Nein. Aber für uns ist Mimik nicht kulturell bedingt. Von manchen wird sie verachtet. Ich kann lachen. Alle Engel können es, rein physisch. Aber es gibt nicht viele Anlässe.«

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt