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»Ist dir schon mal aufgefallen, dass Calprain aussieht wie Ezra Pound?«, fragte ich in die löchrige Stelle von Zayns kleinen, mechanischen Seufzern hinein, die meine Hände ihm entlockten.

Er antwortete nicht direkt und ich massierte stumm weiter. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, sein Kopf hing lose nach vorne, fast mit Kinn auf der Brust. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Haltung meine Massage weniger gesund machte, aber das war Zayns Entscheidung. Ich war sowieso kein Physiotherapeut. Vielleicht machte ich auch gerade irreversibel seine Schultern kaputt.

»Ich weiß gar nicht, wie Ezra Pound aussah, glaube ich.«, steuerte er schließlich bei, Stimme in ungewohntem Vibrato, als könnten meine Finger auch seine Stimme verformen. Als wäre er im Halbschlaf.

»Doch.«, widersprach ich, gutwillig. »Wie Calprain.« Vielleicht bildete ich es mir auch ein. Es wäre nur witzig, wenn Professor Calprain von Modernismus ausgerechnet Pound ähnlich sehen würde. »Dieses eine Foto, das kennst du. Da ist er jung. Mit dem Schal. Oder Pelzkragen oder irgendwie sowas, um den Hals. Mit der Frisur.«

»Ach ja.«, raunte Zayn ironisch. »Die Frisur. Jetzt weiß ich direkt Bescheid.«

»Na, die Ezra-Pound-Frisur. Voluminös. Mit so...den Haaren.«

»Du bist wirklich unglaublich gut mit Worten, Louis.«

»Ich hab's mit den Augen vorgemacht!«, protestierte ich. »Die Haare. Guck mich an. So!« Dieses Mal benutzte ich meine Hände, um meine Haare auf die Weise aus meiner Stirn zu nehmen und auf meinem Kopf zu wellen, dass sie dem Bild aus meiner Erinnerung ähneln mussten.

»Nicht aufhören.«, quengelte Zayn sofort, als meine Hände seine Schultern verlassen hatten. Meiner guten Demonstration schenkte er, immer noch mit spannungslosem Kopf, keine Aufmerksamkeit.

»Hemingway war der größte Schock für mich.«, fuhr ich fort, mit meinen Worten und meinen Händen. »Das weiß ich noch. Als ich zum ersten Mal ein Foto von ihm gesehen habe. Das war so surreal für mich. Dass es Fotos von Ernest Hemingway gibt. Das lässt sich in meinem Kopf immer noch nicht so richtig miteinander vereinbaren.«

»Deswegen bin ich der Geschichtsstudent von uns beiden.«

»Du kannst mir nicht erzählen, dass es für dich Sinn macht, dass es Fotos von Hemingway gibt. Von all den Modernisten wahrscheinlich.«

»Du kannst so selbstgefällig sein, manchmal.«

»Keine Selbstgefälligkeit.«, verteidigte ich mich direkt und grub meine Daumen tiefer in Zayns Nacken. Ich war neidisch auf meine eigene Massage. »Ich habe nur keine Ahnung von Technik.«

»Das hat nichts mit Technik zu tun.«, grätschte Zayn ein. »Hemingway ist in den Siebzigern gestorben oder so.«

»Das ist mir zu komplexes Wissensverknüpfen gerade. Zu hohe Anforderungen.«

»Du hast damit angefangen.«

Ich seufzte – affektiert. »Ich fühle mich nicht wertgeschätzt. Dafür, dass ich dich massiere. Mitten im Focus E.«

»Dafür nominiere ich dich für die Bester-Bester-Freund-Auszeichnung.«

»Das will ich auch hoffen.«

In Wahrheit machte es mir gar nichts aus. Auch wenn mein linkes Handgelenk langsam ein bisschen zu brennen anfing, war es das wert. Ich war sogar ganz glücklich. Im Sommer, als wir 12 waren, hatten wir regelmäßig ›Massagestudio‹ gespielt und auch wenn sich diese Routine wohl nicht grundlos aufgelöst hatte, fühlte es sich gut an, hiermit unserer Vergangenheit ein bisschen Respekt zu erweisen. Ich knetete weiter fleißig Zayns oberen Rücken durch und fühlte mich nicht mal beobachtet durch die ganzen anderen Leute im Focus E. Auf dem Tisch, an dem Zayn saß, lagen die beiden Teile seiner getrennten Ausgabe von ›Angels in America‹. Wir warteten auf den Rest der Gruppe, damit die Arbeit weitergehen konnte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 09 ⏰

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