𝐗𝐗𝐕𝐈𝐈

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𝐋 ⋆

»Es hat mich überrascht, dass du ›Harry‹ gesagt hast.«, berichtete Harry, als könnte er das einfach so. Menschen bei ihren Telefonaten belauschen. Lächeln wie ein Ahnungsloser. Und aussehen, als könnte er mit der Sonne untergehen. Fragil und schön wie Licht. War er alle verbotenen Kontraste?

Mir blieb nichts anderes übrig, als ernst auszusehen. »Ähm...woher... Wie lange warst du hinter mir? Wieso bist du..?« Ich verlor die Frage, als ich mich umsah. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Also konnte Harry aus allen Gründen hier sein. Nur sagen musste er es mir.

»26 Sekunden.«, erklärte er, und die Antwort war so perfekt, dass ich sie erst nicht zuordnen konnte. »Deine Fragen habe ich nicht alle verstanden. Darf ich auch noch eine stellen? Das war schon eine Frage. Aber noch eine? Das war auch wieder eine. Darf ich eine Frage stellen, die ich bis jetzt noch nicht gestellt habe und auch nicht die ist, die ich gerade stelle?«

Wie konnte jemand so nichtsahnend sein? Aber vielleicht war es gut. Er sollte seine Fragen stellen. Dann würde er mich hoffentlich auch nicht stoppen. Ich verdiente Antworten. Und war das nicht immer Zayns Rat gewesen? Einfach nachfragen. Nicht zulassen, dass er ein Mysterium bleiben konnte. »Frag.«

»Wer ist die BBC?«

Fuck.

Es musste Ironie sein. Oder eine Fassade. Oder meine Ignoranz. »Der Sender. Das Unternehmen.«, berichtete ich trocken, um alle Möglichkeiten abzudecken. Und nicht hängenzubleiben. »Wenn wir schon beim Fragenstellen sind...darf ich dir auch welche stellen? Ich habe ein paar. Zu dir. Und so weiter. Ich habe einige Sachen nie so richtig verstanden.« Ich gab mir Mühe, sanft zu klingen. Und nicht bedrohlich, nicht mal neugierig. Ich wollte nur endlich ein paar Fakten.

»Das mit der BBC habe ich auch nicht so richtig verstanden.«, gab Harry zu. Kurz schob seine Unterlippe sich nach vorne. Wie konnte er real sein? »Ist das schlimm? Das war schon wieder eine Frage, aber du darfst gerne auch deine stellen. Das ist nur fair. Ich habe heute schon sechs an dich gestellt. Oh!« Seine Augen wurden rund, runder. »Gibt es ein Limit?«

Ich blinzelte und zwang mich zum Stoppen. »Wofür..?« Fragen?

»Fragen. Die ich stellen darf. Die ein Mensch stellen darf. Gibt es ein maximales Limit?«

Ich schüttelte schnell den Kopf. Vielleicht würde es uns helfen, uns darauf einzulassen. Fragen zu stellen. Bedingungslos. Auch wenn das Wort wie das Konzept ›Fragen‹ längst meinen Verstand verdrehte. fragenfragenfragenfragenfragenfragenfragenfragenfragen.
Sollten wir uns hinsetzen? Irgendwo? War Harry bewusst, dass ich ernsthafte Antworten wollte?

»Das ist gut, kein Limit.« Er sank in den Anflug eines Lächelns. Es zupfte an den Rändern meines Bewusstseins, in der Spitze meines Herzens. Puls wie der einer Maus. Würde ich Harry genauso mysteriös finden, wenn er nicht wie eine Marmorstatue aussähe?

Ich hatte mir eine andere Frage zurechtgelegt, Kälte, aber sie wurde verdrängt. Er würde niemals Schuhe oder Jacke tragen.
Also wichtiger: Wie oft gab es sein Gesicht auf der Welt? Und womöglich seine Eigenheiten? »Hast du Geschwister, Harry?«

Hatte ich das schon gefragt? Als er antwortete, mit munterem Kopfschütteln, hatte ich die Antwort bereits gekannt. »Nein.« Oder war es nur, weil ich mir unmöglich kleine Klone seiner vorstellen konnte? Er war ein Buch aus Fragen.

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