𝐗𝐗𝐗

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Harry stand in absoluter Dunkelheit da. Es musste einer dieser Momente sein, in dem das Treppenhauslicht im entscheidenden Augenblick ausgegangen war. Hätte ich ihn nicht erwartet, und würde er im sekundären Schein meiner Deckenlampe nicht blass schimmern, hätte ich ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Er sah fast angsteinflößend aus – Silhoutte mit der Dunkelheit verschmelzend, Haut milchig ohne warmes Licht, sein Kleid verheerendes Quecksilber. Alle Gedichte, die jemals über den Mond geschrieben worden waren; in diesem Moment hätten sie Harry beschreiben können. Der Mond, ein Geist, Wasserleiche Harry. Auf meiner Fußmatte.

Egal, wie sehr sein Aussehen einen Tim-Burton-Film heraufbeschwören wollte; ich war so erleichtert, dass mir übel wurde. Scharf benetzten verräterische Magensäuren das Ende meines Mundes. Ich schluckte hart und unangenehm. Harry war hier.

»Hey!«, begrüßte ich ihn schnell, und viel zu laut. »Hey, Harry.«, sagte ich leiser und immer noch zu laut. Es war 19 Uhr. Punkt. Was ich so genau wusste, weil ich die letzten zwei Stunden damit verbracht hatte, auf meinen kleinen Digitalwecker zu starren, den ich sonst nur für Prüfungen und überlebenswichtige Termine als zuverlässigen Alarm herausholte. Falls heute Abend wirklich überlebenswichtig war, hoffte ich, dass sich das auf mich bezog.

»Hallo Louis.«, sagte Harry und wahrscheinlich war es falsche Hoffnung oder Projektion, aber er klang nervös. Ein bisschen zumindest, vielleicht.

»Komm rein!«, fiel mir das Wichtigste ein und ich stolperte ein paar Schritte zurück. Harry folgte meiner Aufforderung. Es war ein längst gelernter Fakt, aber als er nichts hatte, das er an die Garderobe hängen oder zu meinen Schuhen hätte stellen können, war es dieses Mal wie ein Schlag vor die Brust. Wie hatte ich so lange nicht ersthaft hinterfragen können, dass Harry bis auf die stets gleiche Kleidung an seinem Körper keine Besitztümer zu haben schien? Wieder musste ich dem Bedürfnis nachkommen, trocken zu schlucken. Über Geld hatte ich natürlich schon nachgedacht, aber...besaß Harry so etwas wie Ausweisdokumente? Wieso trug er nichts bei sich? Es war eine der grausamsten Vorstellungen, die ich je in meinen Kopf gelassen hatte. Auf der Straße leben mit vielleicht einer Handvoll wichtiger Gegenstände, und dann bestohlen werden. Aber was wusste ich schon?

Ich quälte ein Lächeln auf mein Gesicht. Auf keinen Fall durfte ich mich von meinen Gedanken betäuben lassen. Es ging um ihn. Für ihn war das hier sicher schwierig, und ich sollte mich einfach an meinen vorläufigen Entschluss halten; ihn so gut zu unterstützen, wie ich konnte.

Stumm ermahnend hielt ich mich selbst davon ab, mich wieder bei ihm zu bedanken, dass er hier war. Heute Morgen hatte er nicht mit meinen Dankesaussprechungen umgehen können und es stimmte; wahrscheinlich sagte ich sie mehr für mich als für ihn. Aber ich war ihm dankbar. Ich war so dankbar, dass er meine Hilfe annahm.

Zayn war grauenhaft darin, Hilfe anzunehmen wenn er nicht das Gefühl hatte, dass es irgendeine Art von Symbiose geben konnte. Aber auch er war nicht schlimmer als meine Mum. Ich hatte meine Sturheit leider von ihr, egal, was sie sagte, und wenn meine Mum nicht bemitleidet werden wollte, dann wollte sie nicht bemitleidet werden. Kein Diskussionsspielraum. Meine Mum half sich selbst.
Wenn es nur jemals so einfach wäre.

»Du hattest lange Uni.«, bemerkte ich, nur, um mir direkt auf die Zunge zu beißen. Woher wollte ich wissen, dass er bis jetzt Uni gehabt hatte? Ich hatte nicht den blassesten Schimmer von Harrys Leben.

Aber Harry nickte – glaubhaft oder nicht, ich war mir nicht sicher. »Ja.«

»Wenigstens regnet es nicht mehr.«, lächelte ich. Dämlich. So schnell war ich abgerutscht, über das Wetter zu reden.

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt