𝐗𝐗𝐕𝐈

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Obwohl ich spät aufgestanden war und tagsüber vier Stunden geschlafen hatte, war gestern ein unglaublich langer Tag gewesen. Halloween hatte seinen einzigen Job der Schreckensvertreibung nicht besonders gut erledigt und gestern zu meiner persönlichen Hölle gemacht. Nicht, dass vage Post-Party-Kopfschmerzen, Schuldgefühle wegen eines leichtsinnigen One-Night-Stands und eine Reise zu meiner Nan das Schlimmste waren, das ich je erlebt hatte. Egal, was Zayn sagte; es mussten nicht immer die Superlative sein. Vielleicht war Mittelmäßigkeit härter als alles andere. In echtem, dunklen Leid konnte ich friedlich ertrinken. Aber nicht sinken zu können, sich nur manchmal zu verschlucken; das raubte mir die Kraft.

Sogar jetzt wusste ich, wie kritisch und ganz und gar nicht produktiv diese Ansicht war. Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren.

Vielleicht wollte ich mich auch nur für das echte, dunkle, nie erlebte Leid wappnen. Vielleicht könnte ich es mir jetzt schon schön reden, wenn ich es nur stark genug versuchte.

Heute war bisher ein wenig besser verlaufen. Am 2. November traute die Sonne sich schon in Sekundenerscheinungen heraus. Manchmal hielt ihr Licht nicht länger an als von einem Blinzeln bis zum nächsten, eine Fata Morgana, aber der Regen blieb fern. Noch.

Wieder hatte eine heiße Dusche die größten Wunder vollbracht und meinem Leben zumindest die Illusion eines unbeschriebenen Blattes verliehen. Ich hatte überraschend gut geschlafen, in einem Bett, das schon zur zweiten Nacht in Folge nicht mein eigenes gewesen war. Aller guten Dinge sind drei.
Es war wie ein kleines Wunder; Hemsworth schien mich mit der Atmosphäre meiner Kindheit zumindest mit der Angst vor meinen Albträumen zu verfolgen, aber dazu war es nicht gekommen.

Das Frühstück war zu dem Tsunami geworden, den ich gestern erwartet hatte. Harmloses Verschieben von den Haw-Park-Woods-Plänen auf morgen, Herausforderung des Wetters. Tee mit Milch, endlich. Tränen meiner Nan. Sie hatte meine Hand gehalten, als wäre ich Abwender alles geschehenen und bevorstehenden Unglücks. Als könnte mein junges Herz Kraft an alle schwachen spenden. Als wäre ich nicht ihr Enkel.

Ich hatte geschafft, tränenfrei zu bleiben. Alles andere wäre fatal gewesen. Rettungsthema wieder; Fußball. Heute 15 Uhr. Sicherlich ein Sieg für uns. Aber was waren schon Wahrscheinlichkeiten?

Wir hatten noch ein bisschen oben aufgeräumt. Freiwillig waren Fotos tabu gewesen. Ich hatte mich nicht mal auf die Bücher eingelassen. Philip Larkin ruhte an der Spitze eines flachen Turmes, unberührt. Dann waren wir in den kleinen Garten gegangen. Es gab keinen Baum, dessen Laub wir hätten harken können. Also betrieben wir Frostschutz, was auch immer das bedeutete. Meine Nan erklärte es mir, wir waren so spät dran, ich verstand trotzdem nichts. Das Wetter blieb gnädig.

Wir hatten die Reste des Abendessens zum Mittag. Fast wünschte ich, der Effekt des Rotweins würde nicht verkochen. Dann schämte ich mich dafür.

Ich schaltete den Fernseher zwei Stunden zu früh ein. Untätig ließ ich mich von inhaltslosen Sendungen überschwemmen, bis es zu viel wurde. Das Vorprogramm zum Spiel stellte ich auf stumm und las, nicht Philip Larkin, nicht Pearl Poet, nicht Tony Kushner. John Gower, das Mittelenglisch mein Sicherheitsabstand.

Meine Nan setzte sich zu mir, las über meine Schulter hinweg, bis sie empört den Kopf schüttelnd ein Rätselheft herausholte und auf den freien Sessel umzog.

Erst zum Anpfiff erlaubte ich der Vertonung ihre Rückkehr. Meine Nan rätselte weiter. Ich verfolgte das Spiel, kleine rote gegen weiße Trikots. Drei Tore für Manchester in 13 Minuten. Sogar meine Nan erklärte Anerkennung. Das Gegentor in der zweiten Spielhälfte war national irrelevant. Am Ende des Spiels fühlte ich mich zumindest besser als davor.

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt