𝐗𝐗𝐈𝐗

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Frohe Ostern, falls ihr feiert :) Wenn schon auf nichts anderes von meiner Seite; auf diese Kapitel könnt ihr zählen.

𝐇

Louis zeigte mir den Weg. Er nahm sein Fahrrad nicht mit. Für 4 Minuten und 20 Sekunden schwieg er. Sichtbar in seiner Gegenwart hatte ich ihn nie so lange schweigend erlebt. Er war in Gedanken, da war ich mir sicher. Denn der einzige Grund, der mir einfiel, wieso die Worte nicht aus ihm heraussprudelten, war, dass sie in ihm als Gedanken kochten.

Es war ungewohnt. Schon als Louis nicht mal fünf Jahre alt gewesen war, hatte er mich im Schall seiner Stimme eingehüllt. Ich zählte die Sekunden, die ich mit ihm verbrachte, nicht mehr. Stille war nichts Schlechtes. Sie verlängerte meine Erdentoleranz und schonte Louis' Stimmlippen. Aber es fühlte sich zu sehr an, als hätte Louis vergessen, wer er war. Als hätte ich ihm in Hemsworth nicht nur die Finger aufgelegt, sondern mein Vorhaben auch ausgeführt. Und als wäre ich dabei in seinem Frontallappen tiefer als in sein Kurzzeitgedächtnis vorgedrungen.

Bedrückender wurde seine Stille durch die Hintergründe. Was auch immer meine Worte in Hemsworth in ihm ausgelöst hatten, es war genug, um ihn zu geschlossenem Schweigen zu bringen. Es verunsicherte mich. Ich konnte das Haus mit dem Turm schon am Ende unserer Straße sehen. So groß meine Autoritäten über Louis' Körper in einigen Hinsichten sein mochten; seine Gedanken konnte ich nicht lesen.

Es war zu menschlich, aber ich hielt die Stille nicht mehr aus. »Es ist ein großes Haus.«, bemerkte ich behutsam.

Louis sah auf von dem Boden unter meinen Füßen und seinen Füßen, Socken, Schuhen. »Ja.« Sein Herz schlug weniger schnell als vor fünf Minuten. »Alan Turing hat dort gearbeitet, glaube ich. Nein, das müsste das andere Coupland Gebäude sein. Das erste. Hier rechts.« Er zeigte auf das Haus direkt neben uns. Es streckte sich in die Länge.

»Alan Turing?«

»Ja, die Tests zu künstlichen Intelligenzen hat er hier gemacht, wenn ich mich richtig erinnere. Großes Erbe. Aber in Manchester wurde er auch verhaftet, also stehen wir wieder neutral da.« Er verzog das Gesicht. Ich sah ihn nicht an, aber meine Wangen verrieten es mir. »›Wir.‹ Keine Ahnung, wieso ich mich gerade zu Manchester dazugezählt habe.«

Ich wollte meine letzte Frage wiederholen, aber ich wusste, dass es keine gute Idee wäre. Außerdem konnte ich es später selbst überprüfen. Mir war sehr bewusst, dass ich mir überlegen sollte, wie ich meine Worte in Hemsworth richten konnte, aber dafür musste ich wissen, wovon Louis ausging. Was er ahnte. Ich durfte nicht als erstes reden. Was würde ich tun, wenn er mir zölestisches Sein unterstellte? Mit welchen Lügen konnte ich eine Wahrheit vernichten? Die wievielte Lüge war zu viel?

»Naja, auf jeden Fall bin ich in der Hinsicht ganz froh, im 21. Jahrhundert zu leben.«, fuhr Louis fort. Wind schien seine Haare lebendig werden zu lassen. »Und wahrscheinlich auch in ungefähr allen anderen Hinsichten.«

»Einundzwanzigstes Jahrhundert?« Gedankenlesen wäre doch eine lohnenswerte Fähigkeit. Einundzwanzigstes Jahrhundert wovon? Nach welchen Maßstäben war das hier ein Einundzwanzigstes Jahrhundert? Es war Louis' erstes und gerade mal mein zweites. Das 45436382. der Erdgeschichte.

»Ja. Die Iron Lady liegt in der Vergangenheit. Und alle vor ihr. Auch wenn sie natürlich nicht Alan Turing umgebracht hat. Oder? Nicht, dass ich mich jetzt blamiere. Nein, das muss ja noch in den Vierzigern gewesen sein. Fünfziger? Vor ihrer Zeit, hoffe ich auf jeden Fall.« Louis' Augen waren zusammengekniffen, dann spannten sich seine Schultern an. »Stopp, wieso rede ich über Margaret Thatcher?«

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