𝐗𝐗𝐈𝐕

98 15 47
                                    

𝐋 ⋆

Überforderung ließ meinen Verstand erblinden. Für einen Moment war ich mir sicher, dass ich träumte. Es musste ein Traum sein. Harry im Bus nach Hemsworth, im Gang stehend, als hätte er dort auch die letzten zwei Stunden gestanden. Hilfe.

»Louis.«, redete er weiter wie das Normalste auf der Welt, »ich will mich hinsetzen.« Er sah auf den Platz neben mir und irgendwie gelang es mir, meinen Rucksack vom Sitz zu hieven. Etwas in meinem Oberkörper hatte sich verkrampft. Harry rutschte ohne weiteres Zögern auf den freien Platz neben mir. Plötzlich war er mir näher als der hämmernde Regen auf der anderen Seite der Scheibe.

»Ich will mich jetzt zum ersten Mal hinsetzen.«, bemerkte Harry, verwirrt, erleichtert. »Aber ich habe mich auch noch nie so schnell auf der Erde bewegt.« Mit einer Hand deutete er aus dem Fenster. Fast streifte sein Handrücken meine Brust. Hinter der Scheibe, auf die er ganz selbstverständlich zeigte, erkannte man nichts bis auf den schweren Vorhang aus Wasser.

Ich scheiterte jämmerlich an der Entzifferung seiner Worte. Aber ich wollte es auch nicht versuchen.
Harry. saß. neben. mir. im. Bus. zu. meiner. Großmutter. Was war hier los?

»Harry«, zwang ich meine Zunge zur Handlung. Er zog seinen Arm zurück. »Du bist hier..?« Genial, ganz toll. Das konnte nicht so weitergehen. Harry konnte im selben Bus sein wie ich. England gehörte nicht mir.
Der einzige Grund, wieso seine Anwesenheit mich so verstörte, war, dass ich den ganzen Tag damit verbracht hatte, sein Gesicht in meinem Kopf zu zerbrechen.

»Wann bist du eingestiegen?«, versuchte ich es neu. Kurz massierte ich mein Brustbein, um mich wenigstens ein bisschen zu lockern. Harry saß neben mir. Das war genau, was ich mir eigentlich gewünscht hatte. Eine Möglichkeit zur Entschuldigung.

Harry sah mich an, seine Schultern hafteten weiter am Sitz. Nur der Kopf war in einem irren Winkel zu mir gedreht. »Gerade eben.«

Seine Locken waren staubtrocken. Genau wie sein Kleid, das sogar im schwachen Buslicht irgendwie strahlte. Keine Jacke weit und breit, wie immer.
Trotzdem wusste ich sofort, dass ich nichts sagen würde. Das hatte ich vor einer Weile aufgegeben, oder nicht? Es fühlte sich absurd an, ihn in Frage zu stellen, wenn ich genau wusste, dass ich nichts an ihm verstand.

»Wo fährst du hin, Harry?« Was war die Endstation des Busses? Upton?

Wieder sah er aus dem Fenster. »Wir sind so schnell.«, sagte er mit einer Ehrfurcht, die ich nicht deuten konnte. Er redete über den Bus?

Ein anderer Tag, ein anderer Freitag, schob sich vor mein inneres Auge.
›Warst du vorher schon mal in einem Bus, Louis?‹

Fuhr Harry gerade zum ersten Mal Bus? Unmöglich.

»Wo fährst du hin, Harry?«, fragte ich wieder. Der Bildschirm vorne im Bus schien nicht zu funktionieren. Die digitale Uhr darüber zeigte falsche Ziffern für Stunden und Minuten.

»Wo du hinfährst.«

Ich hätte es nicht mehr verstecken können, wenn ich gewollt hätte. »Nach Hemsworth?« Vielleicht sollte ich doch anfangen, ein paar Fragen zu stellen. Ich war mir zu 200% sicher, dass wir in unseren kurzen Gesprächen gestern nicht darüber gesprochen hatten, dass ich heute zu meiner Großmutter fahren würde.
Oder?
Und selbst wenn, dann hätte Harry erwähnen müssen, dass er auch nach Hemsworth wollte. Richtig? Richtig?!
Ich brauchte Zayn.

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt