𝐗𝐕𝐈𝐈𝐈

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𝐋 ⋆

Schwärze verkündete mein Urteil. »Akku leer.«

Ich sah ihn aus dem Profil, aber ich wusste, dass Zayn nur das linke Auge öffnete. Er verhielt sich manchmal asymmetrisch. »Hm.«, brummte er als Antwort. Schwarze Wimpern senkten sich zurück zu ihren Schatten.

»Kannst du bitte empörter sein?«, fragte ich mit der Empörung, die ich verlangte. »Jetzt kann ich keine Musik mehr hören.«

Zayn grinste mit geschlossenen Augen. »Du Armer.«

»Hey.« Ich stupste ihn sanft von der Seite an. »Nicht zynisch sein.«

Das Grinsen wurde noch breiter. »Du bist so scheinheilig, Louis.«

»Ich habe nur einen weichen Kern unter der harten Schale.«, verkündete ich mit einem zarten Hauch von Ironie – doch gerade jetzt war es zu nah an der Wahrheit. Zayns geschlossene Augen gaben meinen Emotionen eine Freiheit, die ich gerade nicht besitzen wollte. Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange.

Der Bus fuhr über eine Bremsschwelle und ein metallischer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Vorsichtig tastete ich die Wärme mit meinem kleinen Finger aus. Er war rot von verwaschenem Blut. Kraftlos sank mein Kopf gegen Zayns Schulter. Es war zu viel heute.

»Du kannst mein Handy haben, wenn du willst.«, murmelte Zayn. »Für Musik.«

»Danke.«, flüsterte ich, aber jetzt hatte ich auch keine Energie mehr für Jeff Mangums Wortmysterien. Eine weitere Unebenheit in der Straße schüttelte uns durch; unsere Köpfe gegeneinander. »Au«, ich zuckte hoch. Das Braun von Zayns Augen offenbarte sich müde.

»So kurz vor dem Ziel müssen sie uns nochmal so foltern?«, fragte er mürrisch und rieb sich bedacht auf seine Haare die Seite seines Kopfes. Als er mich anblinzelte, tanzte Schrecken über die Haut seiner warmen Wangen. »Louis. Alles okay?«

Ich brauchte Luft, und Dunkelheit, aber hier drin gab es nichts von beidem. Bevor Zayn mein Gesicht durchanalysieren konnte, griff ich hektisch nach dem Rucksack zu meinen Füßen und kramte nach der halbvollen Wasserflasche. Das Blut in meinem Mund wurde sauer. Nicht weinen.

Zittrig nahm ich einen Schluck des fahlen Leitungswassers vom Leeds Busbahnhof. Es machte nichts besser. Zayn setzte sich mit geradem Rücken auf. Ich starrte aus dem Fenster. Farblose Randviertel Manchesters wachten kalt über die schwindende Sonne, die schon viel zu früh unterging. Es wurde Winter.

Die Wasserflasche wand sich aus meinen Fingern. Mit metallischem Quietschen drehte Zayn sie zu. Ich hörte, wie sie dumpf auf den Boden meines Rucksacks zurückkehrte. Zayns Finger schlossen sich um meine. Ich starrte so fest ich konnte auf den mürben Backstein hinter den Fingerabdruck-Mustern der Scheibe.

»Lou.«, flüsterte Zayn. Der Bus war voller, als er an einem Sonntagabend sein sollte. Ich versuchte, alles Blut aus meiner Wange zu saugen. Vielleicht würde es die Welt ein bisschen besser machen, wenn es nicht aufhören würde, meine Zähne zu benetzen. Ihre Augen ein bisschen heller. »Alles wird gut.«

Wahrscheinlichkeiten waren nichts als Folter durch Zeit. Unklarheit der Zukunft die hübscheste Lüge.
Konnte Wahrheit jemals grausamer als Unwissen sein?
Ich bezweifelte es stark.

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt