𝐗𝐗𝐗𝐕

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𝐇

Louis hatte dem Melatonin widerstanden. Ich hatte ihn einschlafen lassen wollen, Liam würde mich erwarten, und ich hatte erwartet, dass Louis einschlief. So funktionierte die Biologie seiner gehorsamen Zellen. Serotonin mit überraschender Wendung, aber Louis hatte sich geweigert. Dabei brauchte er es gerade heute Abend so dringend. Sein Blut war toxisch und wollte ihn wach halten, aber das änderte nichts daran, dass er dringend Schlaf benötigte. Schon letzte Nacht hatte das schrille Geräusch aus seinem Handy ihn geweckt, bevor er sich ausreichend ausgeruht hatte. Er sabotierte sich selbst.

Und die momentane Sabotage; Louis über mir, vor mir, als er auf die Knie sank. Die schwere Decke stürzte unter seinem Gewicht ein, die Matratze knisterte. Nur seine rechte Gesichtshälfte fing Licht der kleinen Lampe wie der Mond das der Sonne auf. Zunehmender Halbmond, zwei Krater als Augen, die einen abnehmenden Mond sehen mussten, wenn sie mich ansahen. Ob Louis den Mond in mir sah? Es wäre eine der seltenen Ironien des Universums. Louis hatte das Ebenbild des Himmelskörpers erschaffen, der Anfang und Ende all meines Bewusstseins war.

Seine Knie fielen seitlich auseinander, die Fußknöchel überkreuzten sich. So sah ich ihn nicht zum ersten Mal sitzen, aber zum ersten Mal bemühte ich mich, die Haltung zu imitieren. Es konnte nicht schaden. Louis stand unter dem Einfluss psychotroper Substanzen, hatte sich als stärker als mein hormoneller Schlafanstoß bewiesen und initiierte jetzt ein Gespräch, vor dem er mich nicht gewarnt hatte. Seine Spiegelneuronen ein bisschen zu befriedigen, war sicherlich keine schlechte Idee.

Ich sammelte, was Mut sein musste, und wagte es, zu sprechen. »Geht es dir gut, Louis?« Die Antwort war natürlich Nein, aber komplexer als das. Ethanol und seine Schatten schwammen durch Louis' Blut und er hatte Glück, dass er keine tödliche Konzentration erreicht hatte. Seine Leber arbeitete und hatte, was er als jahrelangen Alkoholkonsum eingestuft hatte, bisher gut genug überstanden. Aber es könnte nicht unbegreiflicher für mich sein; was bewegte Louis dazu, Gift zu schlucken?

Sein Herz hämmerte und auch, wenn ich das nicht gerne hörte, beruhigte es mich, dass er nervös war. So unfehlbar sein Brechen meines Hormonwillens und das ungefragte Platzieren direkt vor mir auf meiner menschlichen Schlafvorrichtung auch schienen, er hatte noch Zweifel. In seinem Zustand künstlicher Selbstüberschätzung war ich dankbar dafür.

»Ich, es... Ja. Darum... Ich wollte über etwas anderes reden, Harry.« Er zupfte den Stoff seiner gemusterten Hose zurecht. Bisher hatte er sie ohne Ausnahme jede Nacht getragen. »Ich weiß, es ist kein guter Moment, für dich, für mich, für keinen von uns, aber ich weiß nicht; gibt es gute Momente? Jemals?«

Gute Momente wofür? »Ich weiß es nicht.«, versuchte ich.

»Ich auch nicht. Und es ist nicht nur ein schlechter Moment, es ist auch...unfair. Ich wollte nicht...mit dir über solche Dinge reden. Noch nicht. Ich habe versprochen, keine Fragen zu stellen, weil ich...ja, weil du mir das nicht schuldest. Und es geht auch nicht um Schuld jetzt, oder... Ich weiß nicht, worum es geht oder ob es gerechtfertigt ist. Aber ich glaube, ich brauche das für mein Gewissen. Kommunikation. Ehrlichkeit. Ich will dich nicht... Bitte fühl dich nicht...bedrängt oder gezwungen oder.... Es geht mehr um mich. Ich muss das ansprechen. Ist es okay? Können wir reden, Harry?«

Was er für meinen Namen hielt am Ende einer Reihe von Worten, die so unklar waren, als wären sie in einer Sprache, die ich nicht gelernt hatte. Das war etwas, das Louis mir über Kommunikation beigebracht hatte. Je besser ein Mensch eine Sprache kannte – und Louis studierte seine eigene – desto unverständlicher konnte er sie nutzen. Er verstand die Regeln von dem Chaos, das mir unergründlich blieb.
Louis wollte mit mir reden.
Worüber?
Er sehnte sich nach Ehrlichkeit.

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