𝐗𝐋

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Es war mehr als ein kleines Zittern, das bei meiner Materialisierung einschlug, ich wusste es in meiner Brust und jeder einzelner meiner Federn. Für eine Picosekunde überwältigte mich die Angst, dass Louis es gespürt haben könnte, aber dann wusste ich es besser. Es spielte keine Rolle mehr, ob er den Himmel in seinem Herzen wahrnahm.

Vor nur 116 Stunden hätte ich es wissen sollen. Als Louis mir mit unfehlbarem Schall bewiesen hatte, dass er endgültig über das Wissen verfügte, dass ich kein Student war. Die Liste, die mich verraten hatte, hätte mir auch den unumgänglichen finalen Verrat verraten sollen.

Ich hatte mich an die himmlischen Archive gerichtet. Die Geschichte zwischen Engeln und Menschen war das intensivst studierte Gebiet der Ausbildung, doch damals war es für mich nicht mehr als Basis aller Realitäten gewesen, Lernstoff, aber mit Louis' gefährlichem Wissen war es zu Lehrstoff geworden. Die Konsequenz, die ich nach ausführlichem Selbststudium gezogen hatte; Regeln.

Keine Fragen.
Kein Essen oder Trinken.
Keine Berührungen.
Keine weiteren Probleme für Himmel oder Erde und Himmel und Erde.

Ich hatte die Menschen unterschätzt. Louis musste Fragen nicht phonetisch ausformulieren, um sie sich trotzdem zu stellen – und Antworten zu finden.

Ich hatte angenommen, 100 Jahre Vorsprung würden genügen, um Louis' irdische Logik abzuhängen. Stellte sich heraus, dass ich Louis zwar 100 Jahre, er mir aber immer einen Gedanken voraus zu sein schien. Und ich hatte nicht mal die Ahnung einer Ahnung gehabt.

Schon bevor seine Moleküle wirklich hier waren, spürte ich Liams Ankunft. Seine Flügel bebten, als er vor mir stand. Ich sah es in seinen Augen, es war dort, in seinem Blick. Andere Engel hatten mich vor ihm erreicht, ein Summen, die Wärme, sie alle waren hier. Liams Finger lagen an meiner Schläfe, bevor all seine Zehen hier waren. Meine Hände umfassten sein Gesicht und schon riss er mich mit sich.

Goldene Mitte, goldenes Haupt. Wir kamen gemeinsam an, immer noch im Himmel, auf einer anderen Ebene, höher, allein. Wir waren hoch genug, dass Liam eine Aura trug. Sie sagte mir nur, was ich längst gewusst hatte. Kurz sah Liam an sich hinab, er spürte das Licht, das ihm entfloh. Ich musste ihn nicht imitieren; mir war bewusst, dass ich an mir keine Aura finden würde.

»Hara, was ist passiert?« Er erzwang Ruhe und es gelang ihm nicht.

Mein Körper war erleichtert, im Himmel zu sein, mein Rücken seufzte, und es tat gut, Liam in die Augen zu sehen, aber was jetzt gefordert war, war die Wahrheit. Und die hatte er von mir nicht mehr bekommen, seit ich den Fehler begangen hatte, Louis zu gestehen, dass ich auf der Erde keinen materiellen Wohnort hatte. Seit Liams und meinem Aufenthalt in Leeds hatte ich ihn daran gehindert, seine Position als Mentor wirklich einzunehmen – aus Angst, die Wahrheit der Geschehnisse auf der Erde würden nur eine einzige mögliche Konsequenz mit sich ziehen; Kontaktabbruch zu Louis, vielleicht sogar komplettes Erden-Verbot.

Jetzt musste Liam die Wahrheit erfahren, denn es war eingetreten, was wahrscheinlich von Anfang an hätte verhindert werden können – wäre ich nicht meinen egoistischen Bedürfnissen nachgegangen.

Aber wo sollte ich anfangen? Auf welche Weise würde es am wenigsten unverantwortlich klingen? »Liam.«, begann ich, und hörte auch wieder auf, denn weiter wusste ich nicht. Fokus auf mein Bewusstsein, das nicht hoch genug war, um meinem Körper zu entfliehen. »Du bist nicht im Besitz des vollen Wissensstandes.«

wait for me in the skyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt