Kapitel 26

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Die Mitternacht konnte einiges in einem hervorrufen. Seien es romantische Gefühle für den Partner, seien es Lust auf die wilde Nacht oder wie in deren Fall, der Durst nach neue Beute, an der sie sich laben konnten. Andreas und Francesco saßen auf dem Dach des Hotels und beobachteten den Mond, wie er weiter wanderte und ihr weißes Licht strahlte über ganz Marseille und überall, wo die Strahlen sonst noch trafen.

Francesco sah traurig zum dunkelblauen Himmel empor und musste noch immer an Ariana denken und an das, was sie ihm vor Tagen entgegengeworfen hatte. Dass er wieder zurück zu Verona gehen sollte, da sie ja seine Freundin war. Doch das stimmte nicht, zwischen ihnen war nie mehr als eine Affäre gewesen, die er schnellstmöglich beendet hatte, als es für sie ausgerechnet dann mehr wurde und auch mehr wollte.

Er musste Ariana aufklären, was wirklich der Wahrheit entsprach, dass da nichts mehr zwischen ihm und Verona lief und dass er nur sie wollte. Ariana war anders, anders als all die Frauen, die er im Bett hatte und ihm war erst kürzlich klar geworden, dass noch was anderes dahinter steckte. Sie erwachte in ihm alte, vergessene Erinnerungen aus seiner Vergangenheit, die er einst als Mensch noch gehabt hatte. Er hörte noch die Stimme, die ihm sagte, dass alles wieder gut werden würde, doch wer sagte das zu ihm? Und woher kannte er die?

„Was ist los, Bruder?", fragte Andreas in die Nachtstille, die von einigen Motorengeräuschen und Gelächter unterbrochen wurde, hinein. „Du wirkst seit Tagen nicht ganz bei dir." Er hatte gehofft, dass Francesco von selbst sprach, doch es schien ein Thema zu sein, dass ihn sehr belastete.

Francesco hörte die Worte seines Bruder, reagierte aber nicht wirklich darauf, da er noch zu sehr in Gedanken war und überlegte. „ Andreas", fing er dann endlich mit den Reden an, „Hattest du manchmal an die Vergangenheit zurück gedacht? An etwas, was du nicht mehr weiß oder dich nicht mehr erinnern willst?"

Hm", erklang Andreas nachdenkliche Antwort und überlegte. Seine langen Beine baumelten über dem Rand des Daches und es würde für die Menschen so aussehen, als würde er springen wollen. Zum Glück konnten sie das nicht sehen. „Bisher noch nicht. Du etwa?"

Sein italienischer Bruder richtete sich etwas auf und sah ihn an. Seine Knie umschlang er mit seinen Armen und er wirkte irgendwie verwirrt und zugleich auch etwas traurig. „Weißt du, es passiert erst seit vergangener Woche, dass irgendwelche Erinnerungsfetzen ins Leben kommen und mich quälen. Ich hörte letztens eine Frauenstimme zu mir sagen, dass alles wieder in Ordnung sein würde. Diese Stimme, sie kommt mir so bekannt vor, doch ich kann sie nicht zuordnen."

„Das ist ... ungewöhnlich", gestand Andreas. Einer der Vampire hatte mal darüber gesprochen, doch noch nie hatten sie herausbekommen, was es damit auf sich hatte. Und nun war es ausgerechnet Francesco, der mit so etwas konfrontiert wurde. Was hatte das Ganze zu bedeuten? „In welcher Situation ist es denn passiert?"

„Als ich bei Ariana war", sagte Francesco und dachte an ihr kränkliches Gesicht zurück und daran, wie kratzig ihre Stimme sich angehört hatte. „Sie hatte sich in ihrer Arbeit vergraben und eine Computerkonferenz geführt, obwohl sie nicht bei bester Gesundheit war. Sie behauptete, ich sei mit Verona zusammen, was keinesfalls stimmt. Als ich ihr in die Augen gesehen habe, da ist diese Stimme in meinen Kopf aufgetaucht. Seitdem denke ich nur noch daran."

„Verona", meinte Andreas säuerlich. „Die Frau stiftet nur Unruhe. Was hat sie Ariana nur in den Kopf gesetzt, dass sie das glaubt?", schnaubte er verächtlich. Francescos Affäre war manipulativ und verbreitete gerne Lügen und Intrigen, um an ihr Ziel zu gelangen. „Ariana scheint ... ich weiß nicht, empfindlich zu sein. Vielleicht hat sie etwas missverstanden und interpretiert sich etwas zusammen?"

„Sie hat kein Vertrauen mehr zu dem männlichen Geschlecht und das alles nur wegen ihres Exfreundes Juler." Wenn Francesco nur an diesen Fremdgeher dachte, kamen Mord- und Foltergedanken in ihm hoch, die er gerne an diesen Juler anwenden würde, bis dieser um Gnade bettelte. „Und Verona, ganz sicher hatte sie versucht, ihr Revier zu markieren, damit ihr niemand mehr im Wege steht." Er knurrte wütend wie ein wildes Tier. Diese Frau, sie hatte wirklich Nerven!

Frustriert seufzte Andreas. Von Verona hatte er nichts anderes erwartet. Ausgerechnet so jemand Schüchternen hatte Francesco sich ausgesucht. Er wusste aber auch, dass die Gefühle manchmal nicht kontrolliert werden konnten. „Dieser ... Juler muss wirklich ein mieses Schwein sein. Hat er ihr weh getan?"

Einen kurzen Moment schwieg Francesco. „Er war ihr fremdgegangen. Sie war nicht bereit für ihn und das fand er anscheinend unverschämt und boom, dann passierte das." Nur ob sie ihm dabei erwischt oder er es ihr gestanden hatte, wusste er nicht. Er wollte das herausfinden. Und so, wie er Juler erlebt hatte, da war ihm auf der Stelle klar, er wollte immer noch das eine von ihr, damit er sie aus der Liste durchstreichen konnte. Möglicherweise sammelte er jungfräulicher Eroberungen, nur um sie dann wegzuwerfen, wenn er sie erst mal hatte. „Sie muss vor Männer wie ihn beschützt werden!", knurrte er und ein besitzergreifendes Gefühl kochte in seinen Adern hoch.

Verwirrt sah Andreas ihn an. „Moment mal, willst du damit etwa sagen, dass Ariana noch Jungf...", begann er, wurde jedoch von seinem Handy unterbrochen. Ausgerechnet jetzt musste es klingeln.

Genervt, aber mit einem kleinen Lächeln, als er Torins Namen auf dem Display sah, hob er ab. „Torin, alter Freund! Wie gehts dir?", begrüßte er den jungen Vampir.

Francesco hörte mit einem Ohr zu, was Torin zusagen hatte. Der schottische Highlander aus Edinburgh war ihr Informant und immer auf Reisen, doch sie freuten sich immer, von ihm zu hören, wenn es was Neues zu berichten gab. Und heute schien der Schotte was wichtiges zu berichten, denn Francesco konnte Dank seines Vampirgehöres selbst vernehmen, was der Schotte da sagte.

„Andreas, es gibt einige Schwierigkeiten hier im Rom", nahm Francesco den Akzent seines Freundes war, der mit Andreas telefonierte.

„Was für Probleme?", wollte Andreas ernst und atemlos wissen. Sein besorgter Blick glitt zu Francesco und er hielt das Handy zwischen ihm und sich, damit sie beide besser zuhören konnten.

„In Rom gibt's mehrere Mordfälle und Vermisstenanzeigen von jungen Frauen, einige sogar wurden blutleer gefunden", berichtete Torin und klang mehr als nur außer sich und unruhig. „Ich und die anderen tun, was wir können, doch wir brauchen dringend deine Hilfe, Andreas. Du musst auf der Stelle zurück nach Rom kommen." Aus Torins Ton war sofort rauszuhören, dass Widerworte nicht geduldet wurde. Die Brüder sahen sich beunruhigt an.

„Ich komme", sagte Andreas und sah auf seine Uhr. „Ich bin in acht Stunden dort." Damit legte er auf und erhob sich. „Tut mir leid, Francesco. Du hast gehört, wie wichtig es ist. Wirst du mir alles erzählen, was dich und Ariana betrifft?" fragte er und streckte sich, um sich für die Reise vorzubereiten.

Er nickte und sagte, dass er es bald tun würde. „Zuerst aber müssen wir beide uns endlich vertragen, damit ich sie verstehen kann." Es wäre wirklich toll, wenn zwischen ihm und Ariana endlich Frieden und gegenseitiges Vertrauen herrschte. Nur so könne er ihr weiterhelfen: und damit sich selbst.

„Pass auf dich auf, Bruder."

„Mach ich", versprach er Francesco und umarmte ihn kurz. „Sag Manon Grüße von mir, solltest du sie sehen." Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, sprang er mit einem mächtigen Satz vom Dach und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

Ja, das würde er tun, versprach sich das Francesco, obwohl es nicht seine Aufgabe war, die dunkelhaarige Schönheit Grüße von Andreas auszurichten. Seit Andreas Manon innig geküsst hatte, konnte er nicht mehr aufhören, daran zu denken und er war deswegen noch so verwirrt und verärgert über sich selbst, dass er überhaupt Gedanken an sie verschwendete.

Francesco beobachtete von oben und aus der Ferne aus, wie sein Bruder sich mehr mit der Dunkelheit verband und sich in Luft auflöste. Kaum war Andreas nicht mehr zusehen, sprang er selber vom Dach und ging ein wenig spazieren, damit er wieder klaren Gedanken fassen konnte. Nur eines kam ihm in Gedanken.

Ariana.

Und an den morgigen Tag, wo er sie nach langen Tagen endlich wiedersehen würde.

Der Hunger nach Dir [Luna Rossa - Reihe Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt