Kapitel 67

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Viel zu laut für meinen Geschmack hallten meine Schritte in den Gefängnisgängen wider. Ich blieb schließlich vor Vivianas Zelle stehen und beobachtete sie, wie sie ihre letzten beiden Liegestützte machte, ehe sie aufstand.

„Caelia?", fragte sie verwundert.

„Ich bin hier, weil ich dir sagen möchte, dass ich vorhabe, dich in ein angenehmeres Gefängnis zu verlegen."

„Warum?", fragte sie verwirrt. „Ich bin schuld am Tod deines Kindes. Du bist mir nichts schuldig."

Ich seufzte und wandte den Blick von ihr ab. „Es bringt nichts, die Vergangenheit so nah bei sich zu halten oder seinen Schmerz durch den Schmerz anderer auszugleichen. Es verschafft mir keine Genugtuung, dich hier unten zu wissen, also kann ich dich auch in ein höherständisches Gefängnis verlegen lassen. Abgesehen davon, dass ich einfach nur damit abschließen möchte, und das kann ich nicht, solange du noch hier bist."

Ich sah sie wieder an. Viviana hatte nicht auf meine Antwort reagiert. „Wie geht es dir, nachdem du deinen Bruder umgebracht hast?"

Sie zuckte mit den Schultern.

Fassungslos schaute ich sie an. Es schien ihr schlichtweg nichts auszumachen. „Hast du eigentlich je jemanden geliebt?"

Viviana lächelte traurig. „Für meine Liebe ist in dieser Welt kein Platz. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf, Caelia. Letztendlich wird die einzige Person, die dich dein Leben lang begleitet, du selbst sein."

Mit diesen Worten drehte sie sich von mir weg und setzte sich an die Zellenwand. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also nickte ich ihr einfach zu und ging.


„Verion, ich habe einen Auftrag an dich", rief ich ihm zu, noch bevor ich den Speisesaal erreichte. „Kannst du Viviana in ein höherständisches Gefängnis verlegen lassen?"

Er sah mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. „Du weißt schon, was sie getan hat, oder? Also, wir reden doch von derselben Viviana?"

Ich nickte. „Tu's einfach, okay? Bitte."

Zögerlich nickte er. „Wenn du es unbedingt willst."

„Danke." Ich setzte mich an den Tisch und wartete mit Verion auf Ian, damit wir essen konnten.


Am nächsten Morgen ging ich runter zu Viviana, um ihr die Nachricht zu überbringen.

„Königin, verzeiht, Sie wollen zu Prinzessin Viviana, nicht wahr?", hielt mich eine der Wachen am Eingang zum Kerker auf.

„Ja", antwortete ich, und wartete auf ihre Reaktionen.

„Es ist nur so..." Der Wache schien die Situation unangenehm zu werden. „Sie ist weg."

„Geflohen-weg?", fragte ich.

Der Wachmann nickte beschämt. „Ja."

„Na gut", meinte ich. „Dann hat sich das wohl erledigt."

Ich drehte mich um und stieg die Treppen wieder nach oben. Warum auch immer fand ich ihr Entkommen nicht so schlimm, wie ich es finden sollte. Vielleicht hatte ich auch innerlich die ganze Zeit über gewusst, dass man Viviana nicht bis in alle Ewigkeiten würde einsperren können. Und dennoch machte ich mir keine Sorgen um mich. Ich hatte gesehen, zu was sie in der Lage war. Hätte sie mich damals wirklich töten wollen, hätte sie es geschafft. Aber sie hatte es nicht gewollt, auch wenn ich nicht wusste, weshalb. Vielleicht steckte doch irgendwo tief in ihr verborgen ein Fünkchen Zuneigung.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt