Kapitel 41

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Er nickte und ging raus. Kaum war er weg, beugte sich Ian zu mir und küsste mich. Ich erwiderte den Kuss leidenschaftlich und verlor mich darin. Ich hatte während meinem Weg zurück mir verboten, zu viel an ihn zu denken, damit ich ihn weniger vermisste, aber jetzt stürmten diese ganzen Gefühle auf mich ein und legte alles in diesen einen, nicht enden wollenden Kuss.

„Ich habe – Holla! Stör ich?"

Ian und ich trennten uns voneinander und sahen Verion an, der im Türrahmen stand.

„Ich habe Suppe und Kekse mitgebracht, mit den besten Grüßen der Köchin, sie scheint dich zu mögen." Er balancierte das Tablett zu mir, während Ian mir half, mich aufzusetzen. Ich sah an mir herunter.

„Wer hat mich umgezogen?", presste ich leicht panisch hervor.

„Das war ich. Ian hatte so ewig mit seinem Anstandsgefühl zu kämpfen, dass ich das übernommen habe. Damit war er zwar nicht unbedingt glücklich, aber er hat sich zu sehr um dich gesorgt, als dass er auf mich böse hätte sein können." Er stellte das Tablett auf meinen Beinen ab. Der wunderbare Duft des Essens stieg mir in die Nase.

„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie fantastisch dieser Moment ist", schwärmte ich genießerisch, ehe ich möglichst würdevoll die Suppe in mich rein löffelte.

„Du hast erzählt, Evangelia wollte dich töten", stellte Verion vorsichtig fest.

Ich nickte.

„Warum hat sie dich dann erst entführt, obwohl sie offensichtlich dazu imstande gewesen wäre, dich zu töten?", hakte er nach.

„Sie wollte mich irgendwas fragen." Ich legte die Stirn in Falten. „Ob ich das Blut des Drachen in mir tragen würde, oder so. Ich habe keine Ahnung, was sie wissen wollte."

„Hast du denn bei mir im Unterricht nicht aufgepasst?", seufzte Verion.

Ich verdrehte die Augen. „Ian, warum hast du so einen unglaublich nervigen Berater?"

„Weil er ein Wissender ist", antwortete Ian. „Und weil er, wenn er will, durchaus nützlich und hilfsbereit sein kann."

„Du bist ein Wissender, und hast es nie für nötig gehalten, es mir zu sagen?", fragte ich ihn entrüstet.

Verion seufzte. „Keiner der Begabten posaunt mit seinen Fähigkeiten herum."

Ich erinnerte mich an seine Unterrichtsstunde. Es gab Wissende, Seher, Fühlende und Erzählende. Wissende, wie Verion, hatten ein perfektes Gedächtnis. Was immer sie sahen, hörten oder lasen, blieb für immer genau so unverändert in ihren Erinnerungen. Seher waren in der Lage, Dinge, die gerade geschahen oder vor Kurzem geschehen waren, in ihren Träumen zu sehen. Allerdings konnten sie ihre Fähigkeiten nicht kontrollieren oder bestimmen, was und ob sie sehen wollten. Fühlende spürten die Emotionen der Menschen in ihrem Umfeld und bemerkten, ob jemand log. Auch sie konnten ihre Fähigkeiten nicht kontrollieren. Erzählende waren die Unheimlichsten unter den Begabten. Sie waren in der Lage, mit Verstorbenen zu kommunizieren.

„Aber zurück zum Thema", meinte Verion.

„Häufig werden die Mitglieder des Hofs Ferion als Drachen bezeichnet", erklärte Ian. „Was genau Evangelia mit dieser Frage meint, kann ich dir nicht sagen."

„Wahrscheinlich kann diese Frage nur noch eine Person beantworten: Maya, meine Mutter", vermutete ich.

„Wir können einen Boten losschicken, damit er sie fragt", schlug Ian vor.

„Gerne", willigte ich ein.

„Angenommen, du würdest das Blut von einem Ferion in dir tragen, könntest du zwar kein Feuer heraufbeschwören oder kontrollieren, und hättest auch keine Flügel, aber du wärst gegen Feuer immun", meinte Verion.

„Ihr habt Flügel? Cool", staunte ich.

„Wir werden nicht umsonst als Drachen bezeichnet." Ian lächelte. Ein Windhauch strich über meine Wange und plötzlich hingen hinter seinem Rücken zwei drachenartige Flügel.

„Wow", hauchte ich fasziniert. Ian ließ sie wieder verschwinden.

„Wir könnten testen, ob sie immun gegen Feuer ist", schlug Verion vor.

„Nein, kommt nicht infrage!", widersprach Ian, doch da hatte Verion schon seine Fingerspitzen entzündet und strich über meinen Arm. Ich zuckte erst zusammen, doch als ich verstand, dass es nicht wehtat, entspannte ich mich. Ich beobachtete Verion, wie er die Flammen ausweitete, und schließlich die ganze Oberseite meines Arms brannte. Doch ich merkte gerade mal eine leichte Wärme.

Verion lehnte sich zurück und die Flammen erloschen. „Damit wäre die Frage geklärt. Sie trägt das Blut eines Drachen in sich."

„Elias hatte recht gute Kontakte zum Hof Ferion", sagte Ian nachdenklich.

„Was genau es damit auf sich hat, kann uns nur Maya sagen." Ich strich ihm eine Strähne aus der Stirn. Er nickte. „Ich werde mich so bald wie möglich darum kümmern. Schlaf jetzt. Verion, bleibst du bei ihr?"

Ich kuschelte mich zusammen. Sobald ich die Augen geschlossen hatte, war ich auch schon eingeschlafen.


Am nächsten Morgen wurde ich von dem Duft von Schokoladenkuchen geweckt. Augenblicklich hellwach schlug ich die Augen auf, und suchte den Raum nach dem Ursprung des Geruchs ab. Ich entdeckte einen Teller mit Obst und besagtem Schokokuchen. Verion war gerade dabei, die Vorhänge zur Seite zu schieben und ein Fenster zu öffnen.

„Gut geschlafen?", fragte er.

„So traumhaft wie schon lange nicht mehr", antwortete ich gut gelaunt.

„Schokokuchen, wie versprochen", schmunzelte er und gab mir den Teller.

„Du bist ein Schatz! An Frühstück im Bett könnte ich mich gewöhnen." Ich schob mir eine Gabel mit Kuchen in den Mund und gab genussvolle Laute von mir.

„Stöhnnicht so laut, das könnte falsch auf andere Leute wirken." Er zog den Stuhl vongestern heran und setzte sich falsch herum darauf. „In einer halben Stundekommt ein Arzt, um die Verbände zu wechseln. Du scheinst ganz gut durchgekommenzu sein, nur dein Knöchel wird eine Weile brauchen."

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt