Kapitel 34

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„Und du willst wirklich mit mir trainieren?", fragte Verion, während er sich in der Trainingshalle die Hände einband.

„Ja, will ich. Keine Magie, keine Waffen. Lance war mir zu gut und Ian würde nicht ernsthaft gegen mich kämpfen, deshalb habe ich dich ausgewählt."

„Autsch", meinte er. „Soll das heißen, ich sei nicht gut?"

„Jedenfalls ist Lance besser als du."

„Tritt halt noch nach, wenn ich eh schon am Boden liege", meinte Verion gespielt verletzt.

Ich breitete die Arme aus. „Du hast gefragt!"

„Ja, schon, aber du hättest diplomatischer sein können. Bist du dir wirklich absolut sicher, dass du gegen mich antreten willst?"

„Ja, bin ich."

„Ach komm schon, mein letzter Übungskampf ist bestimmt schon ein Jahr her!" Er sah mich herzzerreißend an.

„Dann wird es ja mal wieder Zeit. Außerdem kämpfst du gegen ein Mädchen, das erst seit etwa zweieinhalb Monaten überhaupt trainiert." Ich ließ meinen Blick seinen Körper entlangwandern. „Du siehst gar nicht so aus, als läge er schon ein Jahr zurück."

„Danke, ich fühle mich geschmeichelt. Es freut mich, dass mein Fitnesstraining sich bezahlt macht."

„Fitnesstraining?" Ich zog eine Augenbraue hoch. „Mann klingt das weiblich!" Ich lachte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du noch was anderes als Alkohol, Bücher und Frauen im Kopf hättest." Ich ging näher zu ihm, obwohl wir allein in der Halle waren. „Eine Frage. Bist du eigentlich noch Jungfrau?" Neugierig sah ich ihn an.

„Gewinn gegen mich, und ich sage es dir." Er grinste und machte sich bereit.

Langsam gingen wir aufeinander zu. Unvermittelt schlug er zu. Ich duckte mich unter seinem linken Schlag weg und hielt seine rechte Hand mit beiden Händen fest. Dann zog ich mein rechtes Bein hoch und traf ihn im Schritt. Ich konnte förmlich sehen, wie der Schmerz sein Hirn erreichte. Mit einem unterdrückten Wimmern sanken seine Arme zwischen seine Beine und er kippte mit aufgerissenen Augen auf die Knie.

„Tut mir leid", meinte ich, ein Lachen unterdrückend. „Also, ich habe gewonnen."

„Ich habe meine Jungfräulichkeit durch ein Ritual wiederhergestellt", brachte er hervor.

„Du hast – Ach egal, warum habe ich gefragt, wie konnte ich so doof sein?" Ich drehte mich um und ging zurück zu meinem Ausgangsplatz.

„Ich war betrunken!", rechtfertigte er sich.

„Ja, das bist du ständig, etwas anderes hätte mich auch gewundert! Kamst du dir nicht ein wenig dumm vor, wie du so rituell...deine...du-weißt-schon..."

„Natürlich kam ich mir dabei dämlich vor." Er schüttelte seine Hände aus. „Eine Revanche?"

„Okay", stimmte ich zu.

Verion fixierte mich mit seinen Augen und verfolgte jede meiner Bewegungen. Zu schnell für mich ergriff er meine rechte Hand und traf mich mit seiner anderen am Bauch. Es war nur ein leichter Schlag gewesen, das wusste ich. Hätte er gewollt, hätte er mir wahrscheinlich eine Rippe brechen können. Ich wich einen Tritt seinerseits aus, der mir die Füße unter dem Boden hatte wegfegen sollen. Den nächsten Angriff bekam ich kaum mit. Es war ein rasend schnelles Umeinandergreifen, Verheddern ineinander, gegenseitigem Festhalten und endete damit, dass wir Seiten getauscht hatten und ich mit auf den Rücken gedrehten Armen von Verion festgehalten wurde.

„Ich habe gewonnen, also darf ich dir jetzt eine Frage stellen. Wann warst du das erste Mal sturzbetrunken?", fragte er.

Ich stöhnte auf. „Beabsichtigt oder versehentlich?"

„Du hast dir mal versehentlich das Bewusstsein weggesoffen?", fragte Verion überrascht.

„Ich war fünf! Ich sah die Flasche Wodka stehen, konnte nicht lesen, dachte mir Wasser und habe mir ein Glas eingeschenkt. Es war definitiv keiner der glorreichsten Tage in meinem Leben."

„Wow. Das habe selbst ich noch nicht geschafft. Aber das erklärt so einiges." Er ließ mich los und ich rappelte mich auf.

„Was soll das denn bitte schön heißen?" Ich lachte. „Noch eine entscheidende Runde?"

Er nickte. Anfangs hielt ich mich sogar recht gut. Ich wehrte erfolgreich seine Angriffe ab oder wich aus und konnte sogar einige Male selbst angreifen. Zwar erfolglos, aber immerhin. Doch irgendwann ließ für einen kurzen Moment meine Aufmerksamkeit an der falschen Stelle nach und Verion konnte meine beiden Handgelenke packen. Er stellte seinen rechten Fuß hinter meinen Linken und drückte mich nach hinten. Ich stürzte, doch er fing mich noch rechtzeitig auf, indem er mit seinem linken Fuß einen Schritt nach vorne machte und mich festhielt.

„Normalerweise hätte ich gewonnen", meinte er grinsend.

„Ja okay, du hast gewonnen. Stell deine Frage." Ich verdrehte die Augen.

„Was ist dein Lieblingskuchen?", fragte er.

„Ich habe keinen."

„Wie, du hast keinen?" Er schien tatsächlich verwirrt zu sein.

„Meine Mutter war Dienstmagd. Zu meinem Geburtstag gab es Apfelkuchen, ich habe noch nie einen anderen Kuchen gegessen", erklärte ich.

„Oh", meinte er bestürzt. Er richtete sich auf, zog mich hoch und ließ meine Handgelenke los. „So wird das nicht weitergehen. Nicht unter meiner Aufsicht."

Ich grinste und schüttelte den Kopf. Dann sah ich ihn an, ohne zu wissen, was ich sagen sollte. „Danke."

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe Hunger. Das ist wahrscheinlich meine innere Uhr, die mir sagt, dass es gleich Mittagessen geben wird."

„Du hast immer Hunger, Verion. Aber ich bin dabei. Lass uns hochgehen."


Nach dem Essen gingen Ian und ich ein wenig durchs Schloss. Es nieselte heute schon den ganzen Tag, daher wollten wir nicht im Schlossgarten spazieren gehen. Obwohl die Wache hinter uns versuchte, uns nicht zu stören, war ich mir ihrer Anwesenheit bewusst.

„Kaylie, ich denke, du solltest etwas wissen", meinte er. Es schien ihn Überwindung gekostet zu haben, das zu sagen.

„Muss ich mir Sorgen machen?" Besorgt sah ich ihn an.

„Nein." Er schüttelte den Kopf. „Es ist nicht Schlimmes. Es geht darum, wie ich dich aus dem Ersten Königreich hierherbekommen habe." Kurz schwieg er. „Es gibt eine festgelegte Regelung für die Überführung der Bürger von einem Königreich in ein anderes. Ich...ich habe dich als Bürgerin gekauft." Die Situation schien ihm unangenehm zu sein. „Nicht als meine Verlobte, sondern als ganz normale Bürgerin. Ich fand, du solltest das wissen. Nicht, weil es einen Unterschied macht, zumindest für mich nicht, sondern, weil du es verdienst, zu wissen."

Ich nahm seine Hand und blieb stehen. „Und du hattest Angst, dass ich dich verurteilen würde. Weil du mich gekauft hast."

Er antwortete nicht.

„Du hast mich nie zu irgendwas gezwungen." Ich lächelte ihn an. „Danke. Für alles." Ich legte meine Hand in seinen Nacken und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen.

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Wenn ihr findet, dass Ian und Kaylie zu schnulzig sind, dürfen gerne voten! Wenn ihr das nicht findet, sondern die beiden süß findet, dürft ihr das natürlich auch durch das Sternchen zeigen!

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt