Kapitel 54

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„Danke, dass ihr gekommen seid. Kann ich euch irgendetwas anbieten? Wasser, Tee?", begrüßte ich die drei Frauen, die vor mir saßen.

„Danke, für mich nichts", meinte die Frau ganz links. Antonia Niva, sie war mit dem Fürsten von Niva als Versöhnung des Streits zwischen den Höfen Niva und Visayis verheiratet worden. Sie war eine der jüngeren Geschwister von Evangelia gewesen, doch Ian hatte Recht gehabt. Evangelia schien das schwarze Schaf der Familie gewesen zu sein. Antonia schien mir eher wie ein durchweg optimistisch-naiver Mensch.

„Für uns beide auch nichts", lehnte Marlen ab. Sie war mit ihrer Schwester Ala hierhergekommen. Marlen war mit einem rangniedrigeren Prinzen von Rajas, und Ala mit dem Letztgeboren von Ceria verheiratet worden.

Ich setzte mich gegenüber der drei Frauen auf einen Sessel. „Der Grund, warum ich euch hergebeten habe, ist, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob arrangierte Hochzeiten noch zeitgemäß sind. Ich wollte euch fragen, was ihr von Zwangsheirat haltet, oder, was euch daran stört. Einfach im Allgemeinen, wie ihr dazu steht."

Antonia kicherte so heftig los, dass ich schon befürchtete, sie würde gleich ihren Fächer fallen lassen. Die Zwillinge beäugten sie ebenfalls kritisch. „Das ist so verrückt", kicherte sie. „Evangelia war nahezu versessen darauf, verheiratet zu werden, und jetzt sitze ich, ihre Schwester hier, und sage aus, was mich daran stört."

Verwundert betrachtete ich sie, wie sie weiterkicherte. Ich bezweifelte, dass ihr bewusst war, dass sie negativ über eine Tote redete. Sie realisierte es einfach nicht.

„Und was stört Sie daran?", hakte ich nach, um sie endlich dazu zu bringen, aufzuhören, zu kichern.

Sie beruhigte sich glücklicherweise einigermaßen. „Es ist nicht so schlimm. Bei mir, jedenfalls. Issak behandelt mich gut. Ich bin in dem Wissen aufgewachsen, einmal verheiratet zu werden. Wir steigern dadurch unseren Einfluss."

„Es stimmt. Man lernt, sich zu lieben, wenn der Mann einen gut behandelt", fügte Marlen leiser hinzu.

„Das Problem ist in der Regel nicht, mit ihm verheiratet zu werden, sondern, dass die Frauen den Männern untergeordnet sind. Wenn man Pech hat, wird man mit einem Mann verheiratet, der Frauen nicht als gleichberechtigt ansieht und schlägt."

„Also wäre euer erstes Ziel, nicht, die Zwangsehen zu beenden, sondern die Frauen in den Ehen zu schützen?", fragte ich. Alle nickten. Was sie gesagt hatte, gab mir zu Denken. Männer konnten die Frauen herumkommandieren, misshandeln oder was auch immer. Frauen waren weniger wert. Kalte Gänsehaut entstand auf meinen Rücken.


Dieses Wissen beschäftigte mich immer noch, als ich in Schlafsachen ins Schlafzimmer kam. Ian war gerade dabei, die Vorhänge zuzuziehen und beobachtete mich.

Nachdenklich setzte ich mich auf die Bettkante.

„Was beschäftigt dich, Kaylie?", fragte Ian.

„Ich habe mich heute mit Antonia, Marlen und Ala getroffen. Sie haben mir erzählt, dass sie den Männern untergeordnet sind. Aber, was genau bedeutet das? Dass die Männer mit ihnen tun können, was auch immer sie wollen? Ich meine, immerhin sind sie auch noch Adelige, denen Respekt entgegengebracht werden muss." Beinahe hilfesuchend sah ich Ian an.

„Genau das meinten sie damit", bestätigte er ruhig. „Ich könnte dich dazu zwingen, mir ein Kind zu geben, gleich hier und jetzt, egal ob du willst, oder nicht. Egal wie sehr du schreien und dich wehren würdest, die Wachen würden dir nicht zur Hilfe kommen. Ich dürfte dich rechtlich gesehen sogar schlagen. Frauen sind der Meinung mancher Männer nur Eigentum und dazu da, ihnen Macht zu geben, Kinder zu gebären und großzuziehen. Abgesehen von ein paar Traditionen, der einzelnen Höfe, betreffend des Geschlechtsverkehrt vor der Verlobung, nach der Verlobung oder nach der Hochzeit gibt es nichts, was Frauen in dieser Hinsicht schützt." Obwohl er seine Stimme nicht gehoben hatte, sondern absolut ruhig geblieben war, fühlte ich mich auf einmal unwohl. Beklommen presste ich meine Beine zusammen und legte meine Hände auf sie.

Ian schien das zu bemerken, denn er kam zu mir, kniete sich vor mir nieder und nahm meine Hände. „Du weißt, dass ich das niemals tun würde. Ich liebe dich, Kaylie, und könnte dir nie etwas antun, das du nicht willst."

Ich schaffte es, ein kleines Lächeln hervorzubringen, als ich ihn zaghaft ansah. „Und was denkst du?"

Er lächelte ebenfalls. „Ich denke, dass Frauen das wertvollste Geschenk sind, dass Männer jemals in ihrem Leben bekommen." Zärtlich gab er mir einen federleichten Kuss auf meinen Handrücken, bevor er aufstand und sich schlafen legte. Ich tat es ihm gleich und kroch unter die Decke.

„Da wir nicht alles auf einmal ändern können, wo willst du anfangen?", fragte Ian, nachdem er das Feuer hatte erlöschen lassen.

„Ich will damit anfangen, dass Männer die Frauen nicht mehr schlagen dürfen", antwortete ich geflüstert und robbte ein Stück näher zu ihm ran.

Er schlang einen Arm um meine Taille. Dass er dabei unter mein Oberteil rutschte und somit meine bloße Haut berührte, störte mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ich genoss seine Berührung.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt