Kapitel 48

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Der Abend ging erstaunlich schnell vorbei. Unsere Beschäftigungen waren tanzen, essen, reden und, wenn es sich ermöglichen ließ, kuscheln. Als wir das nächste Mal nach draußen gingen, wurde der Himmel bereits dunkler. Es fing mittlerweile an, abends frisch zu werden, doch noch war es warm.

„Hallo", begrüßte uns eine junge Frau. Ihre goldblonden, gewellten Haare reichten ihr bis zu den Schultern und sie hatte ein etwas zurückhaltendes, aber dennoch freundliches und aufgeschlossenes Gesicht. Sie wirkte sportlich, aber dennoch sehr feminin. Ich mochte sie, und sie kam mir eigenartig bekannt vor.

„Kennen wir uns?", fragte ich höflich.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, aber sie kannten meine Schwester. Ich bin Lucienne Visayis, Evangelias jüngere Schwester."

Ein kalter Stein legte sich in meinen Bauch. Ich stand hier vor der Frau, deren Schwester ich getötet hatte. Ich öffnete den Mund, doch wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Ian legte sanft seine Hand um meine Taille.

„Es ist schon gut, wir sollten heute nicht über Evangelia reden", beruhigte sie uns, als sie bemerkte, dass ich nicht ganz wusste, wie ich damit umgehen sollte.

„Danke." Ich lächelte sie verlegen an.

„Alles Gute zu eurer Hochzeit. Ich hatte bisher noch nicht die Gelegenheit, zu gratulieren. Ich wünsche euch, dass eure Eheversprechen halten. Sie waren sehr schön." Sie lächelte noch einmal, dann verabschiedete sie sich mit einem Nicken.

„Sie ist nett", bemerkte ich.

Ian nickte. „Sie ist die jüngste Tochter des Fürstenpaars Visayis, hat aber noch einen jüngeren Bruder."

„Sie ist komplett anders als Evangelia", gab ich zu bedenken und nahm mir eine Sektflöte vom Tablett eines vorbeilaufenden Kellners.

„Eigentlich war Evangelia die Ausnahme. Das Fürstenpaar, sowie deren anderen Kinder habe ich als sehr freundlich in Erinnerung."


Erst, nachdem sich ein Großteil der Gäste verabschiedet hatten und es bereits sehr spät war, gingen Ian und ich auf unser Zimmer. Ich war innerlich sehr stolz auf mich, dass ich es im Gegensatz zu Verion geschafft hatte, mich nicht zu betrinken.

Nachdem Ian die Tür verschlossen hatte, zog ich mir die Absatzschuhe aus. Vorsichtig bewegte ich meine Füße, da ich es noch nicht gewohnt war, so lange in Absatzschuhen zu laufen, und stellte sie neben dem Schrank ab. Ian tat dasselbe mit seinen Schuhen.

Verliebt schmiegte ich mich an ihn an und küsste ihn. Er legte seine Hand in meinen Nacken und erwiderte den Kuss leidenschaftlich. Atemlos lösten wir uns voneinander. Langsam begann Ian, die Perlen aus meinen Haaren zu ziehen und auf eine kleine Ablage zu legen. Unerwartet kam mir wieder Ambers Erzählung über die Traditionen in der Hochzeitsnacht in den Sinn. Erwartete er jetzt von mir, dass ich mit ihm schlief? Eigentlich schätzte ich Ian nicht so ein, aber was, wenn er dachte, dass es für mich okay wäre?

„Stimmt etwas nicht?" Leicht besorgt legte er den Kopf schräg.

Meine Stimme zitterte leicht. „Ist es wahr, dass das Königspaar in ihrer Hochzeitsnacht miteinander schläft?"

Er fuhr damit fort, meine Frisur zu lösen. „Es wird als Tradition angesehen, aber da praktisch keines der bisherigen Königspaare, was auch verständlich ist, über ihr intimes Verhältnis zueinander gesprochen hat, kann ich nicht bestätigen, dass diese Tradition tatsächlich auch gelebt wird."

„Weißt du, wie es bei deinen Eltern war?", fragte ich neugierig.

„Nein." Ein trauriges Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Ich weiß nur, dass sie sich geliebt haben."

Zärtlich strich ich ihm über die Wange und er lehnte seinen Kopf mit einem sanften Lächeln leicht dagegen.

Ich zog meine Hand vorsichtig wieder weg und biss mir auf die Unterlippe. „Ich kann es noch nicht", erklärte ich, seinem Blick ausweichend. „Es ist mein erstes Mal und ich bin noch nicht so weit."

„Das ist okay", meinte Ian. Inzwischen hatte er meine Haare vollständig gelöst. „Dreh dich um."

Zögerlich drehte ich mich mit dem Rücken zu ihm. Ich spürte seine Finger, die begannen, mein Kleid aufzuschnüren. „Amber wird heute wahrscheinlich nicht mehr kommen und ich habe gehört, dass es schwer sein soll, allein aus diesen Kleidern zu kommen." Ich konnte das Schmunzeln am Ende des Satzes aus seiner Stimme hören.

„Ist es wirklich okay für dich?", hakte ich nach.

„Ich werde nichts tun, was du nicht möchtest." Er war fast oben bei der Schnürung angelangt. „Warum denkst du, dass es für mich nicht in Ordnung wäre?"

„Naja", begann ich verlegen. „Du hast mich ausgewählt, obwohl ich ein Bastard bin. Und jetzt verweigere ich mich dir auch noch."

„Ich habe dich ausgewählt, weil ich dich liebe und du verweigerst dich mir nicht, weil du noch nicht so weit bist. Du bist eine Frau, und jeder Mann von Anstand sollte dich nicht anrühren, egal welche Stellung du innehast. Es gibt so viele Fürsten, die zwar verheiratet sind, dafür aber unglücklich. Du magst vielleicht nicht aus einem Eheverhältnis gezeugt worden sein, dafür bist du aber aus der Liebe entstanden, und das ist mir so unglaublich viel mehr wert." Er zog mir den Stoff des Kleides von den Schultern und half mir aus dem Kleid, das er anschließend ordentlich über einen Stuhl hing.

Unschlüssig stand ich da.

„Gehe schon mal ins Bad. Ich denke, du bist genauso müde wie ich", schlug er vor. Ich nickte und folgte seinem Vorschlag.

Da ich zu meiner Frustration mein Nachthemd nicht finden konnte, suchte ich mir ein langes, lockeres Shirt aus dem Schrank und ließ meine Unterwäsche an.

„Wenn du das absichtlich gemacht hast, Amber, dann haben wir noch ein Hühnchen zu rupfen", murrte ich, bevor ich wieder ins Schlafzimmer ging. Weil ich Ian nicht sehen konnte, vermutete ich, dass er noch im Bad war. Ich tapste zum Bett und ließ mich einfach mit dem Bauch nach unten drauffallen. Wann war ich das letzte Mal so unglaublich müde gewesen? Ich gähnte. Aber wenn ich nicht jetzt aufstand, um die Decke zu richten, würde ich gleich so einschlafen.

Mit einem genervten Stöhnen rollte ich mich von der Decke runter und strampelte umständlich, bis ich die Decke unter mir hervorziehen konnte. Mit einem zufriedenem Seufzten legte ich mich auf die Seite und beobachtete die Tür zu Ians Umkleideraum und Bad, bis er rauskam. Lächelnd legte er sich neben mich und legte seine Hand auf meine Taille. Fast schon spielerisch fuhren seine Finger wenige Zentimeter unter den Stoff. Er beobachtete mich dabei aufmerksam, als würde er schauen wollen, ob er mich damit bedrängte. Als Antwort schloss ich nur die Augen, mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen.

Ich spürte, wie Ian sich neben mir aufrichtete und mich behutsam auf den Bauch drehte. Verwundert legte ich die Stirn in Falten, ließ ihn aber machen. Langsam schob er mein Shirt nach oben.

„Ist das okay für dich?", hauchte er leise in mein Ohr. Ich nickte, auch, wenn es mir nicht ganz geheuer war.

Dann öffnete er den Verschluss meines BHs. „Das auch?"

Ich nickte wieder, wenn auch etwas zögerlicher. Ich spürte seine Hände, die meinen Nacken und Schultern entlangfuhren und anfingen, mich zu massieren. Erleichtert atmete ich aus.

„Ich sagte dir doch, dass ich dich nicht anrühren werde." Er schmunzelte.

„Ich weiß", erwiderte ich flüsternd.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt