Kapitel 17

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„Rituale funktionieren im Grunde genommen alle gleich.", erklärte Verion. „Du zeichnest einen Kreis samt Bannsymbolen außen rum mit einer Farbe, stellst dich hinein, konzentrierst dich auf dein Ziel und wirkst Magie, die du in deinen Kreis fließen lässt."

„Warte kurz.", bremste ich ihn. „Diese Bannsymbole, was sind das?"

„Sie sammeln deine Energie und wandeln deine aufgewendete Magie in dein Ziel um. Außerdem schützen sie alle um dich herum, dadurch, dass keine Magie entrinnen kann, und sie absorbieren alle überschüssige Energie. Die Bannsymbole stehen übrigens auch in dem Buch, das ich dir gegeben habe und sind immer dieselben, außer bei Fluchritualen, aber die werde ich dir noch nicht jetzt beibringen."

„Und wie genau kann ich mir so ein Ritual mit Vorbereitung, Durchführung und so weiter vorstellen?" Ich stützte meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel und warf einen Blick auf Das Handbuch der Ritualmagie. Ich saß auf einem Tisch in einem Lehrsaal in der Nähe der Bibliothek. Der Raum war hell mit großen Fenstern, mit weißen Möbeln ausgestattet und hatte eine Tafel. Die Wände waren mit roten Edelsteinen verziert und einzelne Teile dekorativ vergoldet.

„Als erstes kommt der immer gleichbleibende Teil, in welchem du mit Farbe, Blut, dünnen Eisenketten oder was auch immer du da hast, einen geschlossenen Kreis samt Bannsymbolen zeichnest. Ich würde dir allerdings raten, nichts, was leicht davongeweht werden kann oder solche Sachen wie Kreide zu wählen, ebenso wenig, wie einen Kreis aus aneinandergereihten Gegenständen zu wählen. Dann kommt der komplizierte Teil, in dem du dich auf dein Vorhaben konzentrieren und es dir vorstellen musst und deine magische Energie in den Kreis fließen lässt. Wenn du das gut gemacht hast und weiterhin konzentriert bleibst, erledigt sich der Rest fast von selbst. Aber nur fast. Und nur, wenn du wirklich gut bist. Zum Beispiel kannst du dir vorstellen, ein Buch in eine Blume verwandeln zu wollen, dann konzentrierst du dich auf das Buch, die Verwandlung, deine Energie und deine Zielform, die Blume."

„Warum sollte ich ein Buch in eine Blume verwandeln wollen?", fragte ich misstrauisch.

„Dann verwandle halt dich selber, wenn dir das nicht interessant genug ist. Blumen sind cool.", versetzte Verion.

„Entschuldigen, Sir Blume." Ich verdrehte die Augen.

„Blumen sind hübsch, duften meistens, bieten Nahrung für Insekten, machen zufrieden ihre Photosynthese und halten ihre Klappe." Er breitete die Arme aus.

„Du magst also Blumen, weil sie niemanden mit ihren Problemen zureden?", stichelte ich ihn.

„Warum reden wir darüber, warum ich Blumen mag? Los, denk dir ein Ritual aus und zeige mir, wie du es tun würdest.", pflaumte er mich an und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

„Okay, ich würde gerne die Schokolade aus der Küche in mein Schlafzimmer zaubern."

„Pfft. Erste Regel, sag niemals zaubern. Das klingt peinlich. Und zweitens, du beschwerst dich über meine Blume? Bei deiner Ritualidee?"

„Hey, die Schokolade herholen, ohne laufen zu müssen, ist viel besser als ein Buch in eine Blume zu verwandeln. Das Buch hat dir überhaupt nichts getan!", entgegnete ich.

Die restliche Unterrichtsstunde verlief genauso. Verion brachte mir zwar alles verständlich bei, aber wir waren uns dennoch bei allen möglichen Kleinigkeiten uneins. Er verstand meine Frage nicht, warum man keine permanenten Ritualkreise irgendwo einbaute, ebenso wenig, wie ich seine Argumentation verstand, warum man es nicht tat.

„Warte noch Kaylie, bevor du gehst, sollte ich dir noch das hier geben. Zusätzlich zu dem Buch." Er schob mir ein kleines und ein mittleres Kästchen rüber.

Ich nahm das kleinere und öffnete es. Darin befanden sich drei Ringe aus Weißgold. „Ich bin schon verlobt, Verion."

„Das sind keine Verlobungsringe, du Depp. Und sie sind nicht von mir."

„Wenn Ian mir Ringe schenken würde, würde er sie mir persönlich geben.", widersprach ich.

Er stöhnte. „Du bist wirklich nicht die hellste Kerze auf der Torte. Denk mal scharf nach. Wofür benutzen Magienutzende speziell angefertigte Ringe?"

„Ah!" Mir ging ein Licht auf. „Das sind diese Hilfsmittel, von denen Amber mir erzählt hat."

„Jaaa!" Er schüttelte den Kopf. „Das hat aber gedauert."

„Tschuldigung." Ich verdrehte die Augen. „Und ich darf sie schon tragen?"

„Nein, du sollst sie essen. Natürlich sollst du sie tragen. Los, mach schon."

Behutsam streifte ich die Ringe über. Jetzt befanden sich an meinen Händen, einschließlich des Verlobungsrings, vier Ringe. In dem mittleren Kästchen lag ein wunderschönes, dezentes Armband, das ich beinahe ehrfurchtsvoll ebenfalls anlegte. An der Oberseite befand sich ein hellroter, ovaler Edelstein.

„Ich denke, irgendjemand wird dir schon zeigen, wie man damit umgeht." Locker sprang Verion von seiner Tischkante und machte Anstalten, zur Tür zu gehen.

„Warte!", hielt ich ihn auf. „Was ist, wenn ich aus Versehen etwas damit kaputtmache?"

Er zuckte mit den Schultern. „Solange du keine Magie wirkst, kann nichts passieren."


Keine Stunde später holte Ian mich von meinem Zimmer ab. Ich hatte zwei der Ringe und das Armband abgelegt, sodass ich nur noch den Verlobungsring und einen Ring am linken Mittelfinger trug.

„Es tut mir leid, dass ich es dir erst jetzt, so kurzfristig, sagen kann, aber ich habe es auch gerade eben erst erfahren. Meine Familie ist heute angereist und du wirst sie beim Essen kennenlernen."

Fast wäre ich gestolpert, hätte Ian mich nicht festgehalten. „Wow.", meinte ich. „Das ist tatsächlich kurzfristig. Und mit Essen meinst du in einer Minute?"

Er nickte und sah mich an. „Wie gesagt, ich habe auch gerade eben erst davon erfahren."

„Nein, nein, es ist nicht deine Schuld. Es ist alles gut. Ich bin nur nervös. Wer ist alles deine Familie?"

„Mein Bruder Theor, meine Schwester Gwen und ihr Mann Magnus."

Ich atmete nervös aus.

„Sie werden dich mögen. Mach dir keine Gedanken.", beruhigte er mich sanft.

Ich nickte. „Ja. Natürlich. Aber was, wenn sie denken, dass ich deine Macht aufgrund meiner Vergangenheit getrübt habe? Was ist, wenn sie mich für die Fehler meiner Eltern verurteilen?"

„Du bist kein Fehler, Kaylie." Seine Stimme berührte mich tief in mir, wie eine darüberstreichende Feder. „Und das wirst du auch niemals sein. Meine Geschwister werden dich nicht verurteilen. Gwen ist nicht gerade der politisch interessierte Mensch, ihr Mann hält sich sowieso mit seinen Meinungen zurück und mein Bruder vertraut meiner Entscheidungsfähigkeit."

Ich drückte als Antwort seine Hand. „Ich dir auch."

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt