Kapitel 24

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Am nächsten Morgen wurde ich von Amber geweckt. Sie zog gnadenlos die Vorhänge beiseite, um das Licht hereinzulassen.

„Muss ich wirklich schon aufstehen?", stöhnte ich.

„Jammern hilft nicht! Ich erkläre die kurz den Zeitplan. Nach dem in einer dreiviertel Stunde beginnenden Frühstück haben Ian und du Zeit, den Eröffnungstanz vorzubereiten. Etwa zwei Stunden nach dem Mittagessen beginnt der Ball, der bis spät in die Nacht gehen wird. Die Zeit werden wir aber auch brauchen, um dich anzukleiden, zu frisieren und zu schminken."

Ich war schlagartig wach und setzte mich aufrecht hin. „Eröffnungstanz? Was für ein Eröffnungstanz? Niemand hat mir was davon gesagt!"

„Ich habe es dem Tanzlehrer immer wieder gesagt!" Amber wirkte verärgert. „Ich habe ihm gesagt, dass es einen Eröffnungstanz geben wird, aber er immer nur so Nein, Hof Ceria meinte, dass sie, um Rücksicht auf Caelia zu nehmen, keinen Eröffnungstanz erwarten werden, obwohl das von Anfang an klar war! Sie haben jetzt angeblich „umgeplant". Sie wollen doch nur, dass du dich blamierst!", schimpfte sie vor sich hin.

„Amber, Ian und ich bekommen das schon irgendwie hin. Im schnellen Walzer werden ohnehin vergleichsweise wenige Figuren getanzt und ich beherrsche den Grundschritt inzwischen im Schlaf. Das wird schon."

Sie nickte. „Das hoffe ich auch. Wenigstens bist du optimistisch, das ist ein enormer Vorteil. Kleiner Tipp von mir, wenn du mit Ian den Ball dann eröffnest: Vergiss die Leute. Blende sie aus und konzentriere dich nur auf dich und Ian. Er wird dich führen und das Tempo bestimmen, du musst ihm nur folgen und dich führen lassen."

„Ich weiß schon, Amy. Ich habe meinen Tanzunterricht nicht vergessen." Ich stand auf und folgte ihr ins Ankleidezimmer.


Nach dem Frühstück gingen Ian und ich in einen kleinen Spiegelsaal, in dem wir ungestört waren. Ian hielt mich an der Hand, führte mich in die Mitte des Raumes und drehte sich zu mir um. Ich schluckte, als er seine rechte Hand an mein Schulterblatt legte und mit der anderen Hand meine rechte nahm. Ich lehnte meinen Oberkörper zurück und drehte meinen Kopf etwas nach rechts, so, wie mein Tanzlehrer es mir beigebracht hatte. Mein Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen. Was, wenn ich stolperte, mit seinem Tempo nicht mitkam oder mit den Schritten durcheinanderkam? Ich wollte mich nicht blamieren.

„Entspann dich, du schaffst das", ermutigte Ian mich und lächelte mich an. Ich lächelte zurück und atmete einmal tief durch.

Nach schätzungsweise einer Stunde machten wir eine Pause. Ian schaute nachdenklich die Wand an. Bisher war es recht gut gelaufen. Er führte so gut, dass mir die ganzen Figuren einfach fielen, mit denen ich im Unterricht zu kämpfen gehabt hatte.

„Was ist?", fragte ich und sah ihn an.

„Weißt du, ich denke, wir sollten den Eröffnungstanz etwas weniger...traditionell machen. Sie wollten, dass wir uns blamieren, aber ich habe eine Idee, wie wir ihn ziemlich beeindruckend machen können."

Gespannt sah ich ihn an. „Das klingt verdammt gut."

Er lachte, stand auf und hielt mir seine Hand hin. „Ein kleiner Streich meinerseits und schon fängst du an, zu fluchen."

Ich verdrehte die Augen und ließ mich von ihm hochziehen.


Ich hatte Mühe, nicht vor Aufregung rum zu hüpfen. Amber hatte weit über eine Stunde gebraucht, bis mein Aussehen ihren Ansprüchen genügte. Ich trug ein rotes, schulterfreies Kleid, dessen Träger waagerecht an meinen Oberarmen anlagen, und das an der Hüfte mit silbernen Steinchen verziert war. Mein Gesicht war recht natürlich geblieben, bis auf die Smokey Eyes und einen zu meinem Kleid passenden matten, roten Lippenstift. Meine Haare hatte sie hochgeflochten und ein silbernes Diadem mit eingeflochten. Sie hatte sich gegen Handschuhe oder weiteren Schmuck entschieden.

„Kaylie, kann ich dir noch einen Rat geben?", fragte Amber unruhig.

„Klar." Verwirrt sah ich sie an.

„Halte dich von Lauryn fern, falls er da sein sollte. Und das ist er ziemlich wahrscheinlich."

„Warum?" Nervös spielte ich mit meinem Verlobungsring. Amber setzte zu einer Antwort an, aber in diesem Moment klopfte es an der Tür und Ian trat ein. Auffordernd hielt er mir seinen Arm hin. Ich stand auf und hakte mich bei ihm unter.

„Bis später, Amber!", verabschiedete ich mich und ließ mich von Ian nach draußen führen.

„Du siehst wunderschön aus", raunte er mir zu.

Ein verknalltes Lächeln stahl sich in mein Gesicht. „Danke."

Überall auf den Gängen liefen Personen in schmuckvollen Gewändern. Beinahe jeder war in Begleitung, nur vereinzelt sah man Personen allein. Sobald sie mich und Ian erkannten, verfolgten mich ihre Blicke, bis ich aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Ich atmete tief aus, um mich zu beruhigen, dann straffte ich die Schultern und hob meinen Kopf. Ich lächelte selbstbewusst und betrat den riesigen Ballsaal.

Fasziniert sah ich mich um. Der Raum bestand aus weißem Stein und hatte an zwei Seiten große Rundbogenfenster. Der Boden bestand aus Holz und von der Decke hingen mehrere eindrucksvolle Kronleuchter mit durchsichtigen Edelsteinen. Aus dem Stein waren kunstvolle Verzierungen herausgearbeitet worden. An der kurzen fensterlosen Seite des Ballsaals befand sich eine Erhöhung, wahrscheinlich eine Art Minibühne oder -podest, an der langen fensterlosen Seite standen auf Tischen mit weißen Tischdecken Unmengen an Obst, Süßigkeiten, Champagner und anderen Snacks, sowie Getränken. Das würde mein Ziel sein, sobald ich mich von der Tanzfläche stehlen konnte.

Ian begann, mich unauffällig zur rechten Seite des Podestes zu dirigieren. „Ich denke, dass das Fürstenpaar den Ball in einer halben Stunde eröffnen wird."

„Und was tun wir bis dahin?"

„Wir reden mit allen möglichen einflussreichen Personen", antwortete er und schmunzelte.

Na toll. Ich war noch nie gut im Reden gewesen. Eigentlich ziemlich doof, wenn man bedachte, dass ich die einflussreichste Frau in diesem Königreich werden sollte. Worte hatten halt für mich schon immer eine geringere Bedeutung als Taten gehabt.

„König Ian, Prinzessin Caelia." Ein Mann mit kurzen, schwarzen Haaren verbeugte sich vor uns. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenlernen zu dürfen." Er hielt mir die Hand hin. „Ich bin Lauryn Sirion, Fürst des Hofs Sirion und Ihr Halbbruder."

Kurz war ich geschockt, dann überwand ich mich und gab ihm ebenfalls meine Hand. Er trug schwarze Handschuhe. „Die Freude ist ganz meinerseits", gab ich zurück. Ich gab mir alle Mühe, mich zusammenzureißen. Er hatte allen Grund, mich zu hassen. Sein Vater war ihm mit meiner Mutter fremdgegangen und wurde später getötet, als er mit mir zu fliehen versucht hatte. Wollte mich Amber deshalb vor ihm warnen? War er auf Rache aus? Eigentlich konnte ich ja nichts dafür, aber das musste ihn nicht zwangsweise daran hindern, seinen angestauten Frust an mir auszulassen.

„Sie sprechen perfekt unsere Sprache? Wie kommt es dazu?", fragte er. Irgendwas an seiner Art störte mich. Es war einfach grundlegend falsch.

„Meine Adoptivmutter zog mich zweisprachig auf", antwortete ich knapp.

Er nickte, während er mich musterte. Ich fühlte mich unwohl in seiner Gegenwart.

„Haben Sie noch weitere engere Verwandte?", fragte ich ihn aus.

„Eine Schwester." Antwortete er gedehnt. „Ich denke, ich werde dann wieder meine Begleitung suchen. Es war schön, Ihre Bekanntschaft zu machen."

Ich nickte ihm zu, da ich nicht unhöflich wirken, aber auch nicht lügen wollte.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt