Kapitel 22

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Amber hatte Recht gehabt, der nächste Monat wurde ziemlich anstrengend. Zusätzlich zu meinem Unterricht in theoretischer und praktischer Magie lernte ich die Grundlagen meines Verhaltens auf Bällen und nahm Tanzstunden. Viel Zeit für Ian oder mich allein blieb nicht. Abends schlief ich beinahe augenblicklich ein. Morgens wurde ich immer pünktlich von Amber geweckt, die mich anschließend jeden Tag mit neuer Motivation hübsch machte.

„Wirklich Amber, ich habe keinen blassen Schimmer, wie du es schaffst, jeden Tag pünktlich wach zu sein.", meinte ich verschlafen, während sie im Ankleidezimmer mir gerade die Haare hochsteckte.

„Naja, das ist der Vorteil, wenn man direkt über der Küche schläft.", meinte sie lächelnd.

„Und wie schaffen es die Köche, immer rechtzeitig wach zu sein?", fragte ich.

„Ich vermute mal, die Stalljungen werden vom Hahn geweckt, reißen dadurch die Küchenjungen aus dem Schlaf, die dann alle anderen der Küchenangestellten aufwecken.", antwortete sie schmunzelnd.

„Das heißt, wenn der Hahn über Nacht geklaut wird, komme ich zu spät zum Frühstück, weil du verschlafen hast, da dich die Küchenangestellten durch ihr Topfgeklapper nicht geweckt haben, weil die Küchenjungen nicht durch die Stalljungen aufgeweckt wurden?", hakte ich nach.

Amber lachte. „Das ist etwas kompliziert formuliert, trifft es aber recht gut." Sie trat vor dem Kunstwerk weg, das sie aus meinen Haaren gemacht hatte.

„Danke, Amy." Ich stand auf.

„Amy?" Sie zog eine Augenbraue nach oben.

„Wenn du willst, kann ich dich auch wieder Amber nennen.", bot ich verunsichert an.

„Nein!" Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich finde den Spitznamen toll. Und jetzt beeil dich, damit du nicht trotz des nicht geklauten Hahns zu spät kommst."

Ich lachte. „Okay, ich gehe ja schon."


„Bist du bereit für die Abreise?", fragte Ian mich beim Frühstück.

„Ich denke schon. Nur vor dem Ball habe ich ein wenig Bammel." Ich schob mir einen Löffel Joghurt in den Mund.

„Du schaffst das schon. Du hattest jetzt quasi vier Wochen Intensivtraining.", meinte Verion grinsend. Nachdem Ians Familie abgereist war, hatte er wieder begonnen, mit uns zu frühstücken. „Und im Schloss habt ihr beide ja dann noch mal die Möglichkeit, alles im Schnelldurchlauf durchzugehen."

Ich nickte. Morgen war der Ball, wir würden heute aber schon direkt nach dem Frühstück aufbrechen, damit wir am späten Abend ankommen würden.


Meine Koffer waren bereits gepackt und in eine der Kutschen geladen worden. Ich würde mit Ian und Verion in einer Kutsche reisen. Amber würde uns zum Glück auch begleiten. Ruhig, aber ein wenig nervös zog ich mir die weißen Handschuhe über, die Amber mir gegeben hatte. Ein dicker, elegant geschnittener und hochgeschlossener Umhang schützte mich vor dem Wind und der Kälte.

Bei der schwarzen Kutsche hielt Ian mir die Hand hin. Dankbar nahm ich sie an und stütze mich auf ihm ab, während ich einstieg. Neben uns saßen bereits mehrere Wachen auf ihren Pferden, deren Atem leichte Nebelwolken bildete, obwohl der Winter bereits abklang und der Frühling sich langsam schon ankündigte. Ich war froh darum. Ich mochte den Winter nicht so sehr.

Kurz darauf fuhren wir los. Da es eine lange Fahrt werden würde, hatte ich mir mehrere Bücher mitgenommen. Ich griff in meine Tasche und holte das Buch Fortgeschrittene Ritual- und Fluchritualmagie Band II hervor.

„Du bist schon beim zweiten Teil der Fortgeschrittenen? Unterfordert dich mein Unterricht?" Belustigt zog Verion eine Augenbraue hoch.

„Nein, überhaupt nicht. Nur interessiert mich Ritual- und Fluchritualmagie eben. Und es fällt mir leicht. Ich habe mir auch Abwandlungen und Variationen von Ritualen und Fluchritualen und Die Abhandlung der Fluchrituale mitgenommen."

Er pfiff anerkennend. „Zäher Stoff. Da habe selbst ich ein paar Wochen dran gesessen."

Ich schüttelte den Kopf. „Wenn man es einmal verstanden hat, ist es sehr logisch. Es ist so, als hätte man eine Sprache gelernt und jedes Buch bringt dir neue Vokabeln bei."

„Wohl eher komplett neue grammatikalische Regeln und die Version der Sprache vor 500 Jahren, ansonsten stimme ich dir zu." Er lächelte.

Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf.


Ich las und machte mir Notizen, Verion und Ian unterhielten sich, während an uns Wälder, Felder, Wiesen, Seen, Dörfer und Weiden an uns vorbeizogen. Die Sonne stieg erst, dann irgendwann begann sie, sich zu senken und die Welt wieder dunkler werden zu lassen.

Ich legte mein Buch erst zur Seite, als Verion begeistert eine Kanne mit Punsch und eine mit Tee herausholte. Er umfasste das Gefäß mit beiden Händen und schon bald begann die Flüssigkeit zu dampfen.

„Das Feuer zu beherrschen ist manchmal echt hilfreich.", meinte er, während er Ian und mir Tee einschenkte.

Mit einem verzauberten Gesichtsausdruck nahm er sich den Punsch, heizte diesen auch auf und schenkte sich selbst eine Tasse ein.

„Verion? Ist da Alkohol drin?", fragte ich.

„Was? Alkohol? Neeein...", meinte er unglaubwürdig.

Ich winkte mit meiner Hand und die Kanne flog zu mir. Sofort stieg mir der beißende Geruch des Alkohols in die Nase. Trotz der edlen Weine, Sektsorten, Schnäpse und was sonst an alkoholischen Getränkten im Schloss Ferion verfügbar waren, konnte ich dem Geschmack des Alkohols gar nichts abgewinnen.

„Was hatten wir zu Alkohol auf Reisen gesagt?" Ich hob meine Augenbrauen und sah ihn streng an.

„Ach komm schon, nur dieses eine Mal. Ich muss doch sowieso nur hier drinsitzen.", jammerte er.

„Wie viel Prozent sind da drin?", bohrte ich nach. „Ich schätze auf 20, so heftig wie man den riecht."

„Ach bitte, Schnaps hat ungefähr 40%, da ist dieser Punsch noch harmlos." Er hatte ein bettelnd-verzweifelnden Gesichtsausdruck.

„Du weißt schon, dass normaler Glühwein einen Alkoholgehalt zwischen fünf und zwölf Prozent hat? 20 liegen da dezent drüber." Ich hielt die Kanne weiter weg, als er danach greifen wollte.

„Woher weißt du sowas Unnötiges? Außerdem gibt's keine Regelung zum Alkoholgehalt von Punsch."

„Wenn du vorhast, was ich sehr von dir denke, diese gesamte Kanne bis zum Ende unserer Fahrt auszutrinken, wirst du bei unserer Ankunft sturzbesoffen sein. Es ist mein erster Auftritt bei einem fremden Schloss als zukünftige Königin, da sollte meine Begleitung keine Fahne haben und auf gar keinen Fall betrunken sein!"

„Das ist mal wieder typisch. Die ganze Zeit bist du am Lesen, aber kaum packt man mal Alkohol aus, bist du wieder hellwach."

Ian schnipste und auf einmal züngelte eine Flamme auf Verions Getränk. Er schrie auf und schüttete den Inhalt aus dem Fenster.

Ian lachte und schüttelte den Kopf. „Verion, du bist ein Feuerbändiger, doch dann brennt einmal dein Getränk und du gerätst in Panik."

„Das ist nicht witzig!", schmollte er. „Und jetzt gib mir schon den Punsch her, ich habe Ewigkeiten und meine gesamten Verführungskünste gebraucht, bis ich die Köchin dazu überreden konnte, mir eine Kanne und eine gesamte Flasche Wodka zu überlassen."

„Du hast Wodka in den Punsch geschüttet?", fragte ich ungläubig.

Ian wandte sich mir zu, sein Blick wanderte auf die Kanne, die ich in der Hand hielt, und Flammen entstanden auf der Oberfläche des Getränks.

„Nein! Der schöne Alkohol verbrennt!", jammerte Verion und versuchte offensichtlich, die Flammen zu löschen, doch gegen die Macht seines Cousins kam er nicht an.

„Warte noch ein paar Minuten, dann hat sich der Alkohol vielleicht auf eine Menge reduziert, mit der Verion sich nicht mehr betrinken kann.", meinte Ian grinsend.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt