Kapitel 42

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„Endlich." Erleichtert stand ich auf und belastete behutsam meinen Fuß. Ich spürte keine Schmerzen, er war wie neu. Ich nickte dem Arzt dankbar zu und zeigte ihm dadurch auch, dass er entlassen war.

„Stets zu Ihren Diensten, Prinzessin." Er verneigte sich leicht und ging aus dem Zimmer.

„Lust auf einen Spaziergang? Das Wetter ist schön." Ian bot mir seinen Arm an und ich hakte mich bei ihm unter. Amber hatte mir die Haare zu einer Waterfall-Braid geflochten und mir ein schiefergraues Kleid angezogen, das mit roter Spitze verziert war.

Auf den Fluren nickten mir immer wieder Angestellte oder Besucher zu. Anscheinend hatte meine Entführung mich bei anderen sympathischer werden lassen. Als wir den Schlossgarten betraten, atmete ich mit einem Lächeln die frische Luft ein. Der Schlossgarten war belebt, Gärtner brachten die Hecken in Form, auf den Bänken saßen Menschen und redeten, lasen oder beobachteten einfach das Geschehen. Bienen summten angeregt von Blume zu Blume. Blumen aller Farben und Sorten waren kunstvoll in den unzähligen Beeten angelegt worden.

Als ich mit Ian die Wege entlang spazierte, fiel mir auf, dass sich meine Haltung verändert hatte. Ich ging aufrechter und selbstbewusster. Ich wusste, dass ich nicht so leicht zu töten war. Ich hatte etwas überlebt, das den Meisten in ihrem Leben nicht einmal passieren würde. Ich hatte schon mehr die Ausstrahlung einer zukünftigen Königin, weniger von dem Mädchen, das damals von den Soldaten Arans in seinen Palast gebracht wurde.

„Wie steht es mit den anderen Höfen?", fragte ich. „Wie haben sie meine Entführung und Evangelias Tod aufgenommen?"

„Hof Visayis hat sich von Evangelias Taten distanziert. Sie werden sie natürlich beerdigen und um sie trauern, aber dafür kann man sie nicht verurteilen. Allerdings hat dein Überleben dir bei vielen zumindest Respekt verschafft." Er sah mich an. „Das gemeine Volk mochte dich schon immer, dadurch, dass du wie eine von ihnen aufgewachsen bist."


„Ich finde es immer noch ziemlich unfair, dass du nur mit Magie gegen mich kämpfen willst, nachdem wir herausgefunden haben, dass meine Magie nur sehr beschränkte gegen dich nützlich ist." Verion verschränkte spielerisch beleidigt die Arme vor seiner Brust. „Also bin ich dafür, dass du als Ausgleich deine Telekinese nicht einsetzen darfst."

„Und wie soll dann einer von uns gewinnen?", fragte ich zweifelnd. „Indem ich dich mit so vielen Illusionen verwirre, dass du kapitulierst?" Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Du kannst deine Illusionen doch greifbar machen", widersprach er.

„Ja, aber nur immer stellenweise und das auch nur für jeweils kurze Momente. Also, mit Magie und du darfst deinen Körper benutzen", schlug ich vor.

„Wie zuvorkommend." Er verdrehte die Augen und stellte sich auf. Ich tat es ihm gleich. Augenblicklich schossen Flammen auf mich zu, doch ich fürchtete mich nicht mehr vor ihnen. Sie hüllten mich ein, ohne mich zu verletzen. Mir wurde warm, mehr auch nicht. Dann konzentrierte ich mich. Diesen Trick hatte ich in der letzten Zeit, als ich mich nicht viel bewegen konnte, geübt. Ich duplizierte mich selbst, sodass ich schlussendlich fünf Mal da stand. Dann näherte ich mich mit meinen Ebenbildern Verion durch die Flammen. Er erkannte mein erstes Ich und schoss einen Feuerball mit viel Materie auf meine Illusion. Diese verblasste durch die Wucht des Treffers und ich ließ sie verschwinden. Dafür verdoppelte ich die Illusion links der verschwunden, die gerade in Verions Blickfeld trat.

„Dein Ernst, Kaylie? Das ist ein verdammt mieser Trick", fluchte er. Er wusste nicht, wer ich war, und ich verhielt mich unauffällig. Kam er mir zu nahe, verdoppelte ich die Illusionen neben mir, und, damit es nicht auffällig wurde, auch mich. Langsam, durch Verions Flammen sichtgeschützt, näherte ich mich ihm von hinten und tippte ihn am Nacken an.

„Hätte ich eine Klinge gehabt, oder hätte meine Telekinese benutzen dürfen, hätte ich dich besiegt."

„Tja, hast du aber nicht." Er drehte sich um, packte meinen Arm und verdrehte ihn mir auf den Rücken. Ich drehte mich wenig elegant aus dem Griff heraus, wehrte ein paar seine Angriffe ab und wich langsam, aber sicher, unfreiwillig zurück, bis ich mit dem Rücken gegen eine Steinsäule stieß.

Verion nutzte seine Chance und hatte mich nur wenige Sekunden später besiegt. „Nachdem ich dich besiegt habe, darf ich dir jetzt eine Frage stellen." Er grinste frech.

„Das stimmt nicht. In einem wirklichen Kampf hätte ich dich besiegt. Es ist maximal ein unentschieden", protestierte ich.

„Dann darf ich dir und du mir eine Frage stellen", beschloss er, bevor ich protestieren konnte. „Also." Er dachte kurz nach. „Schnarcht Ian?"

„Was?" Ich lachte wegen dieser Frage. „Nicht, soweit ich weiß. Okay, ich bin dran. Hast du meinen restlichen Schokokuchen gegessen?"

„Ich weiß nicht, wovon du redest." Mit einem vielsagenden Grinsen ließ er mich los.

„Verion, ich bekomme demnächst meine Tage. Du weißt doch, was das bedeutet."

Er drehte sich um und ich lächelte ihn unschuldig an. „Ich wollte es nur gesagt haben." Selbstsicher ging ich an ihm vorbei, innerlich lachend.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt