Kapitel 1

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Das feuchte Oberteil fühlte sich unangenehm kalt in meinen Händen an, als ich es auf die Wäscheleine hängte. Ich warf einen Blick auf den Wäschekorb, den ich gemeinsam mit meiner Mutter ausräumte. Wir waren zum Glück fast fertig.
„Ich weiß nicht, wie sie so viel Wäsche verursachen können. Sie sind nur vier Personen." flüsterte sie mir zu.
„Psst, man soll nicht schlecht über die eigenen Dienstherren reden. Vor allem wir nicht.", entgegnete ich. Tatsächlich hatten wir großes Glück, dass wir hier arbeiten durften. Auch wenn man es uns äußerlich nicht ansah, kamen wir nicht von hier, sondern aus dem angrenzenden Königreich. Nach dem Tod meines Vaters waren wir des Landes verwiesen worden. Damals war ich noch ein Baby gewesen und kannte kein anderes Leben als dieses. Obwohl ich beide Sprachen perfekt beherrschte, waren wir hier ausgeschlossene. Einfach nur, weil meine Mutter einen leichten Akzent hatte und wir etwas anders aussahen. Meine Haare hatten ein etwas dunkleres blond und meine helle Haut hatte einen leichten, bronzenen Schimmer. Meiner Mutter Maya sah man ihre Herkunft ein wenig stärker an. Sie hatte ihre braunen Haare zu zwei Zöpfen geflochten und hatte gebräunte Haut.
Ich sah nach oben und entdeckte Phil, den Sohn unseres Dienstherren. Wir mochten einander. Er war es auch, der mir Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Kaum hatte er jedoch bemerkt, dass ich ihn sah, trat er von Fenster weg.
„Lass nur. Die erste Liebe ist immer schwierig." Meine Mutter grinste mir schelmisch zu.
„Wir sind nicht ineinander verliebt!", protestierte ich. „Er ist 17, ich bin 21! Und er ist sowas wie mein Auftraggeber!"
„Ja, das sagen..." Sie verstummte unerwartet und schaute über meine Schulter. „Geh rein.", wies sie mich an.
Doch ich drehte mich schon um und erkannte zwei Reiter. Unschwer zu erkennen durch das Emblem des Ersten Königreichs auf dem Wamst, ein Rabe, waren die beiden Soldaten des Königs.
„Was wollen sie hier?", fragte ich und ging nicht auf Mayas Forderung ein, rein zu gehen. Ich würde sie ganz bestimmt nicht mit königlichen Soldaten alleinlassen.
Maya stellte sich beschützend ein Stück weit vor mich, die Arme verschränkt. Die Reiter bremsten ab, als sie uns näherkamen und blieben schließlich stehen. An einem Seil führten sie ein drittes, gesatteltes Pferd mit sich.
„Maya und Kaylie Alastorne?", fragte einer der Reiter grob.
„Ja, das sind wir.", antwortete meine Mutter misstrauisch.
„Also bist du Kaylie?", fragte der zweite Reiter etwas freundlicher. Sein Pferd tänzelte unruhig.
„Ja, das bin ich." Ich musterte ihn.
„Nimm das Mädchen.", meinte der erste Reiter zum zweiten. „Sie ist hübscher, jünger und spricht besser."
Der zweite Mann nickte. Panik stieg in mir hoch. Am liebsten wäre ich weggerannt, stattdessen nahm ich die Hand meiner Mutter.
„Keine Sorge, deine Mutter wird dafür auch Geld bekommen.", brummte der erste Reiter übellaunig. „Komm mit."
„Was? Nein! Wohin denn überhaupt?" Ich drückte die Hand meiner Mutter fester.
„Der König des Zweiten Königreiches kommt hierher, und wir brauchen jemanden, der beide Sprachen fließend einwandfrei beherrscht, aber davon gibt es nicht viele.", antwortete der zweite Reiter. „Ihr seid einige der wenigen Personen, die aus dem Zweiten Königreich hierher gereist sind. Unsere beiden Königreiche haben, wie ihr wisst, seit Jahrhunderten nicht miteinander geredet."
„Aber meine Arbeit..." Besorgt wanderte mein Blick von den Soldaten zu meiner Mutter.
„Sie wird ausreichend bezahlt werden. Du musst nichts mitnehmen. Aber in deinem Kleiderschrank würde sich wahrscheinlich sowieso nichts finden.", fügte der erste Reiter hinzu.
Wütend funkelte ich ihn an. Ich trug zwar keine besonders teure, dafür aber saubere und passende Kleidung.
Der zweite Reiter stieg ab und nahm meine Hand. Er führte mich zu dem dritten Pferd, wobei ich gezwungen war, die Hand meiner Mutter loszulassen.
„Ich will aber nicht mit!", widersprach ich.
„Willst du dem König deinen Gehorsam verweigern?" Er hatte seine Stimme gesenkt.
Meine Schultern sackten nach unten. Wir lebten in einem kleineren Dorf, das die meiste Zeit weder den König, sonst noch irgendwelche einflussreichen Personen interessierte. Aber jetzt fürchtete ich mich vor seiner Autorität.
„Würde ich an deiner Stelle auch nicht.", stimmte er mir leise zu und half mir aufs Pferd. Dann löste er den Strick und stieg selbst auf sein Pferd. Ich warf einen letzten, verzweifelten Blick zu meiner Mutter. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, als würde sie frieren. Ich formte mit meinen Lippen eine Verabschiedung, bevor die beiden Soldaten losritten und mein Pferd ihnen folgte wie ein dämliches Schoßhündchen.

Während der Reise ging ich im Kopf alles durch, was ich über die beiden Königreiche wusste. Phil hatte mir einmal erzählt, dass es zwei Brüder gab, aber der Jüngere gab sich mit seiner Stellung als Prinz nicht zufrieden, also verließ er mit seinen engsten Vertrauten und Freunden das später sogenannte Erste Königreich und gründete im unbesiedeltem Land östlich des Ersten Königreichs das Zweite Königreich. Im Verlauf mehrerer familiärer Diskussionen und Streitereien grenzten sich beide Königreiche voneinander ab. Irgendwas war noch damit gewesen, dass sie im Zweiten Königreich beschlossen, irgendeine unwichtige Sprache aus dem Ersten Königreich zu sprechen, die heute hier längst vergessen war, aber die Details hatte ich mir nicht merken können. Wozu denn auch?
Nach mehreren Stunden Reiten machten wir eine kurze Pause, in der wir etwas tranken und uns die Beine vertraten, danach ritten wir sofort weiter.
Bei Anbeginn der Nacht erreichten wir unser Ziel. Obwohl ich noch nie in der Hauptstadt gewesen war, erkannte ich es sofort aus den Zeichnungen der Bücher. Die goldenen Zinnen Eduras' erstreckten sich in den immer dunkler werdenden Himmel und die hellen Steine der Häuser der Stadt schienen in der Dunkelheit zu leuchten.
Die Wachleute ließen die beiden Soldaten mit einem Kopfnicken passieren, anscheinend kannten sie einander schon länger. Die Hufe der Pferde klapperten auf der steinernen Straße. Ich verrenkte mich, um möglichst viel von der Stadt zu sehen. Es waren nur noch wenige Personen unterwegs, aber sie hatten eine gesunde Hautfarbe und schienen zufrieden.
Vor dem Palasttor stiegen wir ab und Stallburschen nahmen uns eilig die Pferde ab. Die Soldaten verschwanden, darüber diskutierend, in welche Schenke sie heute gehen wollten. Ein Bote holte mich ab und brachte mich zu einem Flur, wo wir vor einer Tür wartend stehenblieben. Er klopfte und kehrte in seine ursprüngliche Position neben mir zurück.
„Senk den Kopf.", flüsterte er mir zu, den Kopf tief gesenkt.
Ich runzelte die Stirn und senkte den Blick und auch meinen Kopf ein wenig, hielt ihn aber dennoch trotzig noch ein Stück weiter oben. Immerhin war er es, der etwas von mir wollte, und nicht umgekehrt. Schritte auf Teppich ertönten. Die Tür wurde geöffnet. Ich kannte nur seinen Namen. Aran.
„Eure Majestät, Kaylie Alastorne.", sagte der Bote ehrerbietig.
„Kaylie." Seine Stimme klang sanft, aber dennoch furchteinflößend. „Tiefer."
Ich biss die Zähne zusammen und senkte meinen Kopf ein Stück weiter.
„Noch tiefer."
Ich tat wütend, wie geheißen. Als er nicht reagierte, senkte ich ihn widerwillig ganz nach unten. Was ein arroganter Arsch.
„Bring sie auf ein Zimmer. Und sorg dafür, dass sie morgen etwas Anständiges angezogen hat. Ich möchte keinen schlechten Eindruck vor König Ian machen."
„Sehr wohl, eure Majestät." Der Bote verbeugte sich und führte mich demütig von der Tür weg, einem anderen Flur folgend. Ich hörte, wie hinter uns eine Tür geschlossen wurde. Ich kannte den König erst eine Minute, aber ich konnte ihn jetzt schon nicht mehr leiden.

Mein Zimmer war für meine Verhältnisse geräumig, besaß ein Fenster, einen Tisch, einen Kleiderschrank, eine Frisierkommode und ein gemütlich aussehendes Bett. Erst jetzt fiel mir auf, wie müde ich war. Schnell zog ich mich um und schlief unruhig ein, sobald ich mich zugedeckt hatte.

Das Zweite Königreich - KaylieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt