Anfangs blieb es ruhig. Wir hatten sicherheitshalber die südlichsten Dörfer evakuiert, allerdings hatte das nicht allzu viel Aufwand verursacht, da es im Süden ohnehin nur wenige Dörfer und Städte gab. Die meisten Siedlungen und Schlösser lagen weiter im Norden. Stattdessen hatten wir in diesen Dörfern und in umliegenden, dafür aufgebauten Zeltlagern unsere Soldaten postiert. Auch wir hatten das Schloss Ferion verlassen und waren nach Ceres, der Stadt, in der das Schloss Rajas lag, gereist. Glücklicherweise war Sommer, sodass wir uns nicht vor den Gewittern hier in Acht nehmen mussten.
Doch nach zweieinhalb Wochen erhielt ich Meldung von den Beobachtern, dass eine Armee unsere Grenze überschritten hatte.
Ich stand auf, sobald ich die Nachricht fertig gelesen hatte, und ging zu Ian und Verion. Wir hatten uns in ein Nobelhotel eingemietet, das ich, wären wir unter anderen Umständen hier gewesen, sehr genossen hätte. Der Boden bestand aus hellem Marmor, ebenso wie die Säulen. Die Türen bestanden aus massivem Holz und waren mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Überall waren große Fenster, sodass alles sehr elegant, offen, hell, freundlich und, vor allem durch die dezenten Goldverzierungen, sehr teuer wirkte.
„Ian, Verion?" Ich lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Männer im Nebenraum auf mich. „Eine Armee aus dem Süden hat unsere Grenze überschritten."
„Wie groß?", fragte Ian besorgt.
Ein Klumpen bildete sich in meinem Magen. „Etwa doppelt so groß, wie unseres."
Verions Blick verdüsterte sich. „Ich denke, jetzt wäre es angebracht, zu fluchen."
„Können wir noch Priester rechtzeitig herholen?", fragte Ian.
Die Priester waren Personen, die, genau wie alle Prinzen und Fürsten, Magie beherrschten, jedoch irgendwann in Stätten des Friedens gegangen waren. Von dort aus boten sie allen Menschen kostenlose, und teils anonyme Hilfe bei psychischen Problemen an, zogen Waisenkinder auf und stellten in ihren Schmieden die Ringe und andere magiebündelnde Dinge her.
„Wir haben sie mit ihren Schützlingen evakuiert. Ich denke einerseits nicht, dass wir es rechtzeitig schaffen, und andererseits sollten sie bei den Kindern bleiben", antwortete Verion.
Ian nickte langsam. „Ich werde mich mit den Heeresführer treffen, um die Taktik zu ändern. Und dann können wir nur hoffen, dass die Reise sie erschöpft hat, unsere Taktik besser ist, und unsere Krieger besser ausgebildet."
„Ich werde allen sagen, wann die Armee vermutlich eintreffen wird", bestimmte Verion. „Kaylie? Wie lange brauchen sie noch?"
Ich legte den Kopf schief. „Wenn man die Zeit abzieht, die die Brieftaube von den Beobachtern zu uns gebraucht hat, noch etwa zwei Tage. Sie werden wahrscheinlich morgen Abend hier ankommen."
„Na gut", seufzte er. „Wir werden unser Bestes geben."
„Ich gehe zu den Soldaten und versuchte, so gut ich kann, zu helfen", beschloss ich, legte den Brief hin, und machte mich auf den Weg.
Den restlichen Tag verbrachte ich damit, Scharniere zu fetten, Kleinigkeiten zu reparieren und mich mit den Soldaten zu unterhalten. Wir mussten uns beeilen, weniger als zwei Tage waren eine kurze Zeit.
Ich legte mich neben Ian ins Bett, kuschelte mich an ihn, und begann, abwesend mit meinem Zeigefinger Kreise auf seinen Oberkörper zu malen.
„Hey", flüsterte Ian mir zu. „Es wird alles gut werden." Sanft gab er mir einen Kuss auf den Scheitel, obwohl er wusste, dass unsere Gewinnchancen für morgen verschwindend gering waren.
„Das kannst du mir nicht versprechen", flüsterte ich kopfschüttelnd zurück.
„Aber ich will es können", murmelte er. Ich wusste nicht, ob ihm bewusst war, dass er das gerade laut ausgesprochen hatte. „Wirst du mitkämpfen?"
„Du wirst morgen nicht ohne mich sein", antwortete ich.
Er lachte leise. „Du weißt schon, dass diese Antwort alles bedeuten kann?"
Ich nickte. „Das weiß ich. Ich bin noch unentschlossen."
Er legte seine Hand an meinen Rücken und begann, gedankenverloren mir mit der Hand über ihn zu fahren. Ich war froh, dass Ian mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich hatte eine Idee, wie wir die Schlacht morgen gewinnen konnten. Ich wusste nur noch nicht, wie viel es mich kosten würde. Aber ich war die Königin dieses Reichs. Ich hatte geschworen, mit Leib und Seele für dieses Königreich einzustehen. Und ich würde meinen Schwur nicht brechen. Ich würde ihn einhalten, um damit das Leben von jenen zu retten, die mir etwas bedeuteten.
Ich schloss meine Augen und spürte die einzelne Träne meine Wange herunterrollen, als ich mich entschied, diesen einen Traum von mir zu opfern.
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Das Zweite Königreich - Kaylie
FantasíaAlle Rechte der Geschichte liegen bei mir Das Titelbild und alle weiteren eventuellen Bilder sind lizenzfreie Bilder aus Pexels/Pixabay -------- Einige Teile von Traditionen, den Leben am Königshof usw. habe ich geändert, weil es mir anders besser g...