Kapitel 9

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Einige Blätter rascheln unter meinen Fußsolen, während ich immer tiefer in den Wald hinein gelange.

Ich irre schon eine geschätzte halbe Stunde ziellos herum und schaue in alle Richtungen. Mein Körper fühlt sich so leer und schwach an, dass ich mich nur schwer auf meinen Beinen halten kann. Ich habe verdammt großen Hunger und bin nahe am verdursten.

Um mich herum wird es immer dunkler und auch immer kälter. Nurnoch einzelne Sonnenstrahlen dringen durch die dichten Bäume hindurch und verschaffen mir eine ziemlich gute Sicht. Der Wald wirkt endlos und ich drehe mich einmal im Kreis. Hilflos bleibe ich stehen und starre in eine Richtung. Nichts außer Bäume.

Wo ist Harry?
Ich werde ihn hier nie finden.

Was ist, wenn er schon längst meilenweit weg ist?
Was ist wenn ich ihn nicht finde?

"Harry?" rufe ich einmal laut, doch ich bekomme wie geahnt keine Rückmeldung.

"Harry!" schreie ich nun noch lauter, doch es passiert nichts.

Ich werde ihn nicht finden.
Und wenn schon. Warum um alles in der Welt sollte er dann genau mit mir zu diesem kleinen Haus gehen.

Verdammt.
Ich habe Angst - große Angst.

Wenn ich ohne Harry zurück komme, dann werden sie bestimmt sauer sein. Sehr sogar.
Und was ist, wenn sie mir weh tun?

Ich spüre wie sich mein Atem sowohl auch mein Herzschlag verschnellert.

"Harry!" brülle ich nun noch lauter, doch ich kann nichts außer ein kleines Echo meiner eigenen Stimme hören.

Sie werden mich wieder einsperren.

Ich hoffe dir ist klar, dass ich keine Angst habe kleine Mädchen wie dich zu schlagen.

Nein.
Ich will das nicht. Ich will nicht zurück. Ich will nach Hause.

Panisch renne ich so schnell wie möglich los und versuche mich zu orientieren.
Ich will hier weg.
Meine Beine tragen mich immer schneller über den Waldboden, doch ich weiß nicht wohin ich laufe. Ich weiß nicht in welche Richtung ich mich bewege und ob mich diese nicht noch tiefer in den Wald führt.

Ich renne immer schneller, auch wenn meine Beine die Kraft verlieren. Ich will einfach nur weg.

Doch plötzlich merke ich, wie ich mit meinem rechten Fuß hängen bleibe und im nächsten Moment auch schon falle. Mit einem lauten stöhnen knalle ich hart am Boden auf.

"Verdammt!" schluchze ich leise und fasse an mein Knie.

Unbemerkt kullern einige Tränen über meine Wangen und ich bleibe hilflos am Boden liegen.

Ich will nach Hause.

Ohne es zu wollen kommen immer mehr Tränen aus meinen Augen und ich versuche sie alle schnell wieder wegzuwischen.

Mühsam rapple ich mich auf und werfe anschließend schnell einen Blick auf mein Knie. Nur ein kleiner Kratzer, aber es schmerzt ziemlich.
Ich rapple mich wieder ganz auf die Beine und putze meine Kleidung ab.
Danach schaue ich um mich und meine Umgebung sieht traurigerweise immer noch gleich aus wie vor einer halben Stunde.

Doch plötzlich bleibt mein Blick an einer Stelle hängen und ich sehe genauer hin.

Eine Straße!

Etwas erleichtert bewege ich mich schnell darauf zu und merke immerwieder einen kleines Stechen in meine rechten Knie. Doch dies ignoriere ich einfach und maschiere zielsicher geradeaus.

Nur einige Minuten später komme ich auch schon an meinem Ziel an und trete hinaus auf den Asphat. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe zum Himmel hinauf. Es beginnt bereits zu dämmern.

Gedankenlos scanne ich die Straße ab, doch es ist alles wie ausgestorben, bis auf - ein Auto!

Ein kleiner roter Pkw steht verlassen am Waldrand, etwas die Straße hinunter.

Aber Harry hat doch kein Auto. Der Typ hat doch gesagt, dass sie seines kaputt gemacht haben.

Egal. Hauptsache jemand, der mir helfen kann! Ich hoffe es ist jemand hier.

Gedankenlos gehe ich so schnell wie ich kann die kleine Straße entlang und überquere diese dann auch, um zu dem Fahrzeug zu gelangen.
Hoffend sehe ich hinein, doch es ist niemand zu sehen. Doch eins kann ich erkennen - der Radio ist eingeschalten.

"Hallo?" rufe ich laut und drehe mich im Kreis.

"Hallo! Ist hier jemand!" schreie ich, doch es herrscht Stille.

"Bitte. Helft mir." flüstere ich leise und senke meinen Kopf. Ich spüre eine einzelne Tränen, welche sich den Weg über meine Wange bahnt und danach auf den Asphalt tropft. Traurig und ohne jegliche Hoffnungen schließe ich meine Augen.

"Hallo?" höre ich plötzlich eine andere Stimme und sie ist ganz nahe.

Mein Kopf schießt in die Höhe und ich checke sofort meine Umgebung, als ich ihn sehe - Harry.

"Harry!" stelle ich etwas erleichtert fest und er sieht mich nur komisch an.

"Wa-Was machst du denn hier?!" Seine Stirn legt sich in Falten und er kommt langsam auf mich zu.

"I-Ich-.. also.."

Auch wenn Harry vielleicht kriminell ist, kann ich ihn doch nicht einfach verraten oder?

"Was machst du hier? Ich meine, wolltest du nicht zu deiner Familie?" stelle ich eine Gegenfrage und schaukle nervös hin und her.

"Was?"

"Ja. Du hast doch zu John gesagt, dass du zu deiner Familie fährst und-.."

"So ein Schwachsinn! Natürlich fahre ich nicht zu meiner Familie. Das war gelogen. Glaubst du ich erzähle diesem Idioten, dass ich flüchten muss? Es reicht schon, dass du dich einmischen musstest." unterbricht mich der Lockenkopf und ich schweige.

"U-Und was ist mit deinem Auto? Hast du eine Panne?" frage ich letztendlich etwas unsicher und sehe ihn an.

"Nein. Ich musste einfach nur pissen. Und dann bist du gekommen." gibt er kalt als Antwort.

Oh.

"Und jetzt erklärst du mir bitte einmal was du hier machst! Wir sind irgendwo im nirgendwo!" fragt Harry mich nun und ich schlucke schwer.

"A-Also i-ich.." Ich seufze. "Die Typen sind wieder da! Sie haben gemerkt, dass du abgehauen bist und haben mich bedroht. Sie suchen dich überall und ich weiß nicht, was sie vorhaben, doch ich denke nichts gutes. Du musst von hier verschwinden. Und ich auch! Ich habe große Angst, dass sie mir etwas antun!" sprudelt es aus mit heraus und ich sehe verzweifelt in die Augen des Braunhaarigen.

"Was?! So schnell schon?" fragt er etwas überrascht und auch überrumpelt.
Ich nicke.

"Oh man. Ich muss sofort hier weg." Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, hat er sich auch schon in das Auto gesetzt und startet den Motor.

Ich dachte, sie haben sein Auto kaputt gemacht?

"Was?! Du kannst jetzt nicht einfach abhauen! Was soll ich tun? Immerhin haben sie mich auch bedroht." sage ich panisch und der Lockenkopf seufzt.

"Du hast dich da selbst hineingeritten." spricht er kalt.

"Du kannst mich jetzt nicht einfach so hier stehen lassen!" brülle ich entsetzt und Harry atmet tief durch.

"Okay. Komm, steig ein. Dafür, dass du mich vor den Typen gewahrnt hast, bin ich dir etwas schuldig." beschließt er letztendlich und ich atme erleichtert auf.

"Danke." gebe ich von mir und laufe auf die andere Seite des Autos.

Schnell steige ich bei der Beifahrerseite ein und schnalle mich an.

Ich hoffe, das war die richtige Entscheidung.
Ich habe Angst.

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