Kapitel 18

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Ohne weiter darüber nachzudenken, setze ich mich in Bewegung und laufe so schnell ich kann los. Ich drehe mich nicht um, da ich viel zu große Angst habe und renne einfach in irgendeine Richtung. Immer schneller.

Doch schon nach wenigen Metern bleibe ich wieder stehen und sehe mich um.
Wohin muss ich gehen?
Ich drehe mich einmal im Kreis, doch es sieht alles gleich aus. Alles schwarz.

Plötzlich höre ich wieder ein Knirschen.
Sofort zucke ich zusammen und drehe mich ängstlich in die Richtung, von der das Geräusch gekommen ist. Ich nehme eindeutige Schritte wahr, welcher immer schneller werden und immer näher auf mich zu kommen.
Mein Herz hämmert wild gegen meine Brust und ich gehe Schritt für Schritt immer weiter zurück.

"Ich bin's." höre ich plötzlich eine Stimme sprechen, welche ich sofort erkenne. Harry.

Ich atme einmal tief durch, doch ich weiß nicht wirklich, ob ich mich jetzt freuen soll oder nicht. Lieber bleibe ich alleine im Wald, als jetzt bei ihm zu sein.

"Sag bloß, du hast mich gesucht." sage ich kalt und drehe meinen Kopf zur Seite.
Harry bleibt vor mir stehen, doch ich würdige ihm keinen Blick.

"Du kannst doch nicht einfach mitten in der Nacht abhauen." gibt er einfach nur zurück und ich lache kurz.

"Ach, kann ich nicht? Jetzt tu nicht so, als würde dich das interessieren." fauche ich und werfe ihn einen genervten Blick zu.

"Man jetzt sei nicht so stur ich-.."

"Was?! Ich soll nicht stur sein? Oh ja, tut mir leid, wenn ich mich einmal so benehme wie du dich die ganze Zeit! Tut mir wirklich leid!" unterbreche ich ihn und werde immer lauter.

"Amy. Jetzt beruhig dich mal. Okay ich geb's ja zu, dass es nicht wirklich nett war, was ich gesagt habe." spricht er mit einer ruhigen Stimme, doch ich kann mich gerade nicht beruhigen. Auch wenn ich es will - oder vielleicht auch nicht. In mir kommt gerade alles hoch und es tut ehrlichgesagt gut das alles rauszulassen.

"Nicht wirklich nett?! Verdammt Harry du redest mit mir als wäre ich der letzte Dreck!" brülle ich schon fast.

Harry öffnet seinen Mund, um etwas zu sagen, doch er schließt ihn wieder und schweigt.

"Hast du vielleicht irgendwann an meine Gefühle gedacht? Nein natürlich nicht, wieso denn auch! Du weißt doch nichteinmal wie es in mir aussieht! Glaubst du für mich ist diese ganze Situation einfach? Weißt du eigentlich wie es sich anfühlt wenn deine Eltern von einen Tag auf den nächsten sterben und du dann umziehen musst, weil du dir das Haus nicht leisten kannst? Und dann wirst du auch noch von fremden Typen entführt, von denen du dann fliehen musst und versteckst dich dann wer weiß wie lange in einer kleinen Hütte mitten in einem Wald mit einem Typen der dich nichteinmal leiden kann?!" brülle ich und merke, wie eine Träne aus meinem Auge kullert. Wieso muss ich genau jetzt heulen?

Sofort wische ich sie mit meiner Hand wieder weg und atme tief durch.
Harry steht einfach nur regunslos vor mir und sagt nichts. Mal ganz was Neues.

"Oh, weißt du jetzt mal nicht was du sagen sollst? Was für ein Wunder. Aber eins kann ich dir sagen - es fühlt sich wirklich schrecklich an. Aber das ist ja egal, bin ja nur ich." spreche ich nun wieder leiser und schluchze kurz.
"Und jetzt lass mich bitte in Ruhe." füge ich noch leise hinzu und gehe an Harry vorbei.
Auf schwachen Beinen schlendere ich voran und es kullern immer mehr Tränen über meine Wangen. Ich senke meinen Kopf und schluchze leise vor mich hin.

Nach nur wenigen Sekunden gelange ich wieder zu dem kleinen See von vorhin und lasse mich am Ufer nieder. Ich ziehe meine Beine an meinem Körper und lege meinen Kopf darauf ab, meinen Blick zum Mond gerichtet. Immer wieder kullern einzelne Tränen über meine Wangen und ich denke über so einiges nach.

Plötzlich merke ich, dass sich jemand neben mich setzt, doch ich lasse meinen Blick auf die andere Seite gerichtet und bewege mich keinen Zentimeter. Wieso kann er nicht einfach abhauen?

Es herrscht für einige Zeit lang Stille zwischen uns, was ich ehrlichgesagt auch besser so finde, da ich wirklich nicht mit ihm sprechen will. Ich wundere mich sowieso warum er mir gefolgt ist. Ich dachte er ist froh wenn ich endlich weg bin.

"Ich weiß wie du dich fühlst." beginnt Harry neben mir leise, doch ich reagiere nicht auf ihn. Trotzdem mache ich mir einige Gedanken über seinen Satz. Sind seine Eltern auch gestorben?

"Ich habe auch keine Eltern mehr. Und ich weiß wie schrecklich sich das anfühlt." fährt er fort, womit meine Frage beantwortet wird. Doch ich schweige weiterhin.

"Ich kenne keine Liebe. Nicht mehr. In mir herrscht so viel Wut und Hass. Ich kann dir das alles nicht erklären und du wirst es auch nie verstehen." spricht er weiter und ich lausche seinen Worten.
Wieso kann er es mir nicht erklären?

"Ich versuche mich unter Kontrolle zu halten, doch das ist nicht leicht. Es ist zu viel passiert." fährt er fort und ich kann nur an seiner Stimme erkennen, dass er in Gedanken versunken ist.
Was ist passiert?

"Diese Wut übernimmt mich einfach und ich lasse sie an Menschen aus die es nicht verdient haben. Du bist nicht die Einzige Amy. Ich verhalte mich allen gegenüber gleich. So bin ich eben." sagt er mit einer so ruhigen und sanften Stimme, dass man meinen könnte, eine andere Person sitzt neben mir.

Es entsteht Stille zwischen uns und ich weiß nicht wirklich was ich machen soll. Irgendwie berühren mich seine Worte. Irgendwie tut er mir leid.

Ich kenne keine Liebe. Nicht mehr.

Es muss etwas in seiner Vergangenheit passiert sein. Etwas Schreckliches.
Doch ich glaube nicht, dass ich es je erfahren werde. Irgendwie habe ich auch Angst davor.

Es ist zu viel passiert.

Ob es etwas mit Jack zutun hat?
Könnte gut möglich sein.
Es gibt so viele Fragen auf die ich gerne eine Antwort hätte. Doch ich glaube nicht, dass ich jemals alle finden werde.

"Glaub mir, ich arbeite an mir selbst." unterbricht der Braunhaarige die Stille und ich drehe meinen Kopf langsam zu ihm.
Ich sehe ihm direkt in die Augen, doch ich kann seinen Blick nicht deuten. Er sieht mich einfach nur an. Ohne jegliche Emotionen.

"Dann sag mir, warum dich diese Typen verfolgen."

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