Kapitel 30

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Ich weiß zwar wirklich nicht wie er es geschafft hat, doch dank Harry sitze ich nun vor einem angenehm wärmenden Feuer. Dies macht die Stimmung und auch die gesamte Situation - wenn auch nur ein kleines bisschen - angenehmer.

Ich lehne müde gegen einen Baum und halte meinen Blick starr auf die Flammen vor mir gerichtet - meine Beine zur Brust herangezogen. Harry sitzt gegenüber von mir. Wir haben nun schon einige Zeit lang nichts mehr miteinander geredet, was jetzt nicht heißen soll, dass wir schon wieder gestritten haben. Nein, haben wir nicht, auch wenn es mich etwas wundert. Wir können aus der wirklich kleinsten Sache einen großen Streit herausholen.

"Amy?" höre ich Harrys tiefe Stimme und ich sehe zu ihm auf. Sein Blick ist auf das Feuer gerichtet. Er wirkt nachdenklich.

"Hm?" gebe ich nur leise zurück.

"Das ich dich vorhin Schlampe genannt habe tut mir leid." spricht Harry ernst und sieht mir in die Augen. Erst jetzt fällt es mir wieder ein, warum ich überhaupt abgehauen bin. Wir hatten einen Streit und er hat mich Schlampe genannt. Durch die ganze Aufregung und Angst habe ich es ganz vergessen.

"Ich habe es wirklich nicht so gemeint. Du bist keine Schlampe." fügt Harry noch hinzu und sieht mich weiterhin an. Naja, er hat sich entschuldigt und das ist in seinem und auch unserem Fall ein großer Schritt.

"Schon okay." seufze ich und schweife meinen Blick wieder zu dem Feuer. Natürlich hat es mich verletzt, vor allem jetzt, wo ich wieder daran denken muss. Schlampe. Es hört sich einfach so abwertend an.

"Denkst du nicht, dass sich Liam und John Sorgen um uns machen? Was ist, wenn sie uns suchen?" Ich werfe einen kurzen Blick zu Harry.

"Ja was sollen wir denn machen? Willst du weiter stundenlang im Wald herum irren?" stellt der Lockenkopf eine Gegenfrage.

"Nein." murmle ich.

"Glaub mir, Liam kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Er ist nicht umsonst mein Freund. Und John.." Harry macht eine kurze Pause und ich werfe ihm einen warnenden Blick zu. Ich weiß, dass er John nicht leiden kann, trotzdem muss er ihn nicht schlecht machen. Ich mag John.

"Liam wird schon auf ihn aufpassen." beendet Harry seinen Satz und ich schweige. Es wird alles gut sein.

Ich spüre wie meine Augenlider immer schwerer werden und jeden Moment zufallen könnten. Doch irgendetwas hält mich davon ab einzuschlafen. Vielleicht habe ich einfach Angst davor. Immerhin befinden wir uns mitten in einem Wald, weshalb es auch irgendwie verständlich ist. Ich frage mich wie spät es wohl ist.

"Du kannst ruhig schlafen. Ich bleibe wach." kommt es von Harry, als würde er meine Gedanken lesen können.

"Ich weiß nicht." spreche ich leise und wische mit meinen Händen über mein Gesicht.

"Ich sehe doch wie müde du bist. Ich pass' schon auf. Du kannst mir vertrauen." sagt der Lockenkopf ernst und sieht mich an.

Harry und Vertrauen? Ich weiß nicht wirklich, ob ich mich mit diesem Gedanken anfreunden kann. Trotzdem kann ich meine Augen nicht länger offen halten. Es dauert auch nur wenige Minuten und ich falle etwas ungewollt in einen tiefen Schlaf.

...

Als ich wieder langsam erwache öffne ich vorsichtig meine Augen und blicke kurz um mich. Es dauert einige Minuten, bis ich mich wieder an alles erinnern kann, in welcher Situation ich mich befinde. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meinem Rücken hinauf zu meinem Genick, als ich mich versuche aufzurichten. Schmerzhaft strecke ich mich und reibe über mein Gesicht. Mein Blick schweift um mich, doch das einzige was ich sehen kann ist ein ein verkohltes, abgebranntes Lagerfeuer.

Wo ist Harry?

Erst jetzt bemerke ich die Jacke, die um meinen Körper gehüllt ist und mir nötige Wärme schenkt. Es ist Harrys Jacke. Aber wo ist er nur?

"Harry?" spreche ich mit leiser kratziger Stimme und räuspere mich.

"Harry, bist du hier?" wiederhole ich mich nun etwas lauter und sehe in alle Richtungen um mich.

Plötzlich höre ich Schritte hinter mir und schrecke kurz zusammen - obwohl aus welchem Grund auch immer weiß, dass es Harry ist. Hoffe ich zumindest.

"Guten Morgen, Amy. Auch schon wach." Ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Lippen.

"Guten Morgen." murmle ich und muss ebenfalls schmunzeln. "Weißt du wie spät es ist?" frage ich weiter, erwarte jedoch keine Antwort die mir weiter helfen kann.

"Ich habe keine Ahnung." bekomme ich, wie eigentlich erwartet, zurück. "Ich habe mich gerade umgesehen und versucht mich zu orientieren. Bei Tag sieht alles komplett anders aus als bei Nacht. Aber ich bin mir ziemlich sicher wir müssen in diese Richtung." fährt Harry fort und deutet mit seiner Hand.

Ich nicke nur verständlich und versuche mich schließlich auf die Beine zu stellen. Mein Rücken schmerzt übelst. Meine Gedanken fallen wieder auf die Jacke von Harry. Als ich zu ihm sehe, fällt mir auf, dass er nur ein kurzes T-Shirt trägt. Ob ihm nicht kalt ist.

"Uhm, danke Harry für die Jacke." spreche ich leise und ziehe die Weste wieder aus. Irgendwie ist mir diese Situation unangenehm. Schüchtern reiche ich ihm sein Kleidungsstück.

"Kein Problem. Du kannst sie auch noch weiterhin anlassen." kommt es von Harry.

"Nein nein. Ist schon okay." lehne ich dankend ab und schenke ihm ein schwaches Lächeln.

Für einen kurzen Moment sieht mich Harry abwartend an, ob ich es wirklich ernst meine. Schließlich nimmt er die Jacke an sich und zieht sie sich über. Ein Schweigen liegt zwischen uns.

"Gehen wir?" frage ich, um diese Stille zu unterbrechen.
Harry nickt nur leicht, bevor er sich umdreht und sich auf den Weg macht. Mit kleinem Abstand zu dem Lockenkopf folge ich ihm und halte meinen Kopf gesenkt. Ehrlich gesagt fühle ich ich mich einfach schlecht. Meine Klamotten sind von oben bis unten verdreckt und auch meine Haare müssen aussehen als hätte ich sie wochenlang nicht gewaschen, was auch gar nicht so unwahr ist. Mein Rücken und nun auch mein Kopf schmerzen wie die Hölle. Ich weiß nicht wirklich wie lange ich unter diesen Bedingungen noch weiter leben kann.
Ich muss an Liam und John denken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich verdammt viele Sorgen machen. Sie werden bestimmt denken, dass wir entführt wurden. Ich hoffe nur, dass sie sich nicht auf die Suche nach uns gemacht haben und sich dabei selbst gefährdet haben.

"Weißt du wo wir sind?" frage ich vorsichtig an Harry gerichtet und ich nehme nur ein leises Seufzen von seiner Seite wahr.

"Ich bin mir nicht sicher." gibt er zurück und wirkt leicht genervt.
Um nicht das Risiko einzugehen, ihn zu verärgern, belasse ich es dabei und schweige. Ich hoffe einfach nur, dass wir bald zurück sind.

...

Ich bin müde, verdammt hungrig und meine Beine können mich kaum noch tragen. Gefühlte Stunden wandern Harry und ich durch diesen endlosen Wald. Ich kann einfach nicht mehr. Völlig schlapp schlendere ich dem Braunhaarigen ruhig hinterher.
Wir hatten vorhin einen kleinen Streit. Ich habe ihm gesagt, dass ich eine Pause brauche und wollte mich auf den Boden setzten, doch aus was für einem Grund auch immer, wollte Harry auf gar keinen Fall eine Pause machen. Wir haben eine Zeit lang diskutiert, bis ich mich selbst kampfhaft auf meinen Beinen weiter getrieben habe. Seit diesem kleinen Vorfall haben wir nicht wirklich etwas geredet.

Plötzlich belibt Harry stehen und ich sehe auf. Mein Blick folgt seinem und im nächsten Moment fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen.

"Endlich." seufzt Harry und setzt den Weg mit schnellen Schritten fort. Sofort folge ich ihm und auf meinen Lippen bildet sich ein erleichtertes Lächeln. Endlich. Die kleine, bekannte Holzhütte liegt direkt vor uns.
Als wir dort ankommen, ist niemand zu sehen. Total erschöpft lasse ich mich auf der Bank nieder und atme tief durch. Meine Beine hätten mich keine Minute länger mehr getragen.
Die Türe neben mir öffnet sich und Harry tritt aus der Hütte heraus. Sein Blick fällt auf mich und ich sehe ihn abwartend an. Ich kann seinen Blick nicht deuten.

"Liam und John sind verschwunden."

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