Kapitel 21

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Total in Gedanken versunken sitze ich im Schneidersitz auf der kleinen Bank vor der Hütte und starre vor mich hin. Meine Augen kann ich nur schwer offen halten und mein Magen kann man bereits von Weitem knurren hören. Meine Klamotten sind total verschmutzt und meine Haare habe ich zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden.
Ich schrecke hoch als sich die Türe neben mir mit einem Quietschen öffnet und richte meinen Blick auf den müde wirkenden Harry, welcher heraustritt.

"Morgen." grummelt er vor sich hin und richtet mit einer Hand seine zerzausten Haare. "Warum bist du schon wach? Du schläfst ja sonst immer so lange." Seine Stirn legt sich etwas in Falten und er lässt sich neben mir auf die Bank nieder.

"Du bist derjenige, der hier lange geschlafen hat. Es ist bereits Mittag." lache ich leise und sehe den Braunhaarigen an.

"Was?! Ich habe so lange geschlafen?" fragt Harry entsetzt und weitet seine Augen.

"Ja. Kein Wunder für deinen gestrigen Zustand." Ich ziehe meine Beine an meinen Körper heran und lege meinen Kopf auf den Knien ab. Harry neben mir schweigt nur.

"Warum hast du dich so betrunken?" murmle ich emotionslos und halte meinen Blick auf den Boden gerichtet.

"Ich weiß nicht. Es hat gut getan. Der Alkohol verdrängt den Schmerz." antwortet Harry nur und ich bleibe still sitzen. Es breiten sich viele Fragen in meinen Kopf aus, die ich Harry gerne stellen würde, doch ich weiß, dass er diese nicht zulassen wird. Die Wörter werden an seiner kalten Fassade abprallen und wie Staub zerfallen. Das Einzige, das ich damit erreichen kann, ist ein sturer und wütender Harry. Doch ich weiß, dass sich hinter dieser Fassade ein gefühlvoller und auch zerbrechlicher Mensch befindet.

"Ist es wegen deiner Familie?" frage ich nach einer kurzen Zeit der Stille und bereue es anschließend. Ich presse meine Lippen zusammen, damit ich keine weiteren Fragen mehr stellen kann und hoffe, dass Harry jetzt nicht gleich ausflippt.

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und sehe neben mir nur einen schweigenden jungen Mann, welcher seinen Blick zu Boden gesenkt hat. Ich überlege, ob ich etwas sagen soll, doch lasse es letztendlich lieber. Nach langem Zögern hebe ich meine Hand, um sie auf seine Schulter zu legen, doch Harry steht blitzschnell auf und verschwindet zurück in die Hütte.

Irgendwie tut er mir leid und ich würde ihm gerne helfen, doch ich weiß, dass er meine Hilfe niemals annehmen wird. Er ist viel zu stur. Er wird sich von niemanden helfen lassen.

Plötzlich nehme ich ein Rumpeln wahr und setze mich ruckartig auf. Ich lasse meinen Blick um mich schweifen und stehe langsam auf. Vorsichtig luge ich um die Ecke und gehe Schritt für Schritt voran. Ein ungutes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit und ich schlucke schwer. Ängstlich gucke ich um die nächste Ecke der Hütte, doch kann glücklicherweise wieder nichts erkennen. Etwas erleichtert atme ich auf, doch plötzlich packt mich jemand fest von hinten und ich schreie laut auf. Mir wird ein Tuch fest ins Gesicht gedrückt und ich halte sofort die Luft an. Mit Händen und Füßen versuche ich mich zu befreien, doch er ist zu stark. Ich nehme Harrys Stimme wahr und versuche zu schreien - erfolglos. Es dauert nicht lange, bis ich wieder Luft holen muss und diesen bekannten Geruch einatme. Ich spüre wie mein Körper immer schwächer wird, bis ich ganz zusammenbreche.

...

Als ich wieder zu mir komme ist alles dunkel. Die Luft ist ziemlich kalt und ich bekomme leichte Gänsehaut. Langsam setze ich mich gerade hin, als ich merke, dass meine Hände wieder an den Stuhl, auf dem ich sitze, gebunden sind. Ohne nur zu versuchen mich zu befreien, senke ich meinen Kopf und schließe meine Augen. Meinem Mund entflieht ein leises Schluchzen und eine einzelne Träne kullert über meine Wange.

"Amy?" höre ich plötzlich eine leise Stimme und hebe meinen Kopf.

"Harry?" gebe ich weinerlich zurück und warte auf eine Rückmeldung.

"Geht es dir gut?" fragt mich der Braunhaarige und ich atme kurz durch.

"Nein."

Plötzlich erhellt ein schwaches Licht den Raum und ich sehe mich um. Es ist nicht der gleiche Ort wie letztes mal. Ein lauter Knall ist zu hören und ich vermute, dass eine Türe zugefallen ist. Ich beginne leicht zu zittern und bekomme große Angst.

"Egal was jetzt kommt, du sagst kein Wort und überlässt mir das Reden. Und du tust auf keinen Fall was er sagt, verstanden?" befiehlt mir Harry in einem ernsten Ton. Gerade als ich antworten will, wird die Türe geöffnet und ich zucke zusammen.
Langsam drehe ich meinen Kopf zur Seite und ich kann nicht glauben, was ich da sehe.

"John!" rufe ich laut und setze mich auf. "Du glaubst nicht wie froh ich bin dich zu sehen!" füge ich hinzu und sehe ihn an.

Der Mann schließt hinter sich die Türe wieder und richtet seinen Blick zu mir. Er kommt langsam Schritt für Schritt auf uns zu und ich wende meinen Blick nicht ab.

"Solche Typen haben uns hier gefangen genommen und du musst uns helfen. Sie haben uns an den Stühlen gefesselt." erkläre ich ihm etwas unruhig.
John bleibt direkt vor mir stehen und sieht mit einem emotionslosen Blick zu mir herab.

"Wir müssen uns aber beeilen bevor sie kommen!" spreche ich weiter und rüttle an meinen Fesseln.

Als nach einige Sekunden noch immer nichts passiert, sehe ich wieder zu dem Mann hinauf, welcher nur regungslos vor mir steht.

"John?" frage ich leise, doch er antwortet nicht. "John bitte, du musst uns befreien! Hörst du mir überhaupt zu?" Meine Stimme wird immer lauter und ich werde immer unruhiger.

"Diese Typen können jeden Moment ko-.."

"Amy." unterbricht mich der Mann vor mir und senkt seinen Kopf. "Es tut mir leid."

"Wa-Was?" frage ich leise und bleibe still sitzen. "Was meinst du damit es tut dir leid?" Eine Träne bahnt sich den Weg meine Wange hinunter und seine Worte sickern langsam in meinen Kopf.

"Ich kann euch nicht befreien." fährt John fort und sieht mich mit einem mitleidenden Blick an.

"Was? Natürlich kannst du uns befreien! Du musst einfach nur die Fesseln-.."

"Amy!" unterbricht mich nun eine andere Stimme, doch ich werde immer unruhiger.

"Bitte John! Du bist unsere einzige Chance, du musst uns helfen!" brülle ich immer lauter und die Tränen werden immer mehr.

"Amy!" schreit eine Stimme hinter mir und ich schweige. Weinend schließe ich meine Augen und senke meinen Kopf.

"Er wird uns nicht helfen." spricht Harry, doch ich verdränge seine Worte sofort.

"Doch! John bitt-.."

"Nein! Die haben ihm irgendetwas verabreicht oder was weiß ich." erklärt mir Harry, doch ich will es nicht wahr haben.

"Sie erpressen mich." kommt es von John und ich sehe wieder zu ihm auf.

"Lass dich nicht von ihnen erpressen! Du kannst mit uns kommen und-.."

"Es tut mir leid Amy, aber ich muss Jack holen." unterbricht mich John erneut und dreht sich um.

"Nein! Das kannst du nicht machen!" brülle ich ihm Tränen überströmt hinterher, doch er reagiert nicht darauf.

"Tu es nicht!" schreie ich mit letzter Kraft, bevor es einen lauten Knall gibt und die Türe wieder geschlossen ist.

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