Kapitel 26

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Obwohl ich ehrlich gesagt nicht wirklich wollte, erzählte ich Liam wirklich alles. Von dem Tag an, als ich die schreckliche Nachricht über dem Tod meiner Eltern erfahren habe, bis zu dem Moment, als ich und Liam Bekanntschaft machten. Er blickte mir durchgehend direkt in meine Augen und zeigte mir, dass er aufmerksam zuhört. Das hat wirklich gut getan, weshalb ich mich ihm auch anvertraut habe. Ich hoffe es war nicht falsch, denn ich habe noch immer ein schwaches Gefühl im Bauch, welches meint, dass ich ihm nicht alles erzählen hätte sollen. Aber was soll's, über das alles zu reden was in letzter Zeit passiert ist, hat meinem Körper auf irgendeine Art und Weise ein befreiendes Gefühl gegeben. Ich fühle mich wirklich besser.

"Amy, das was passiert ist tut mir wahrhaftig leid. Wirklich." kommt es einfühlsam über Liam's Lippen und ich senke meinen Blick etwas.

"Es ist okay. Ich bin vielleicht noch nicht ganz darüber hinweg, doch ich habe gelernt damit zu leben." gebe ich nur als Antwort und zupfe an einer kleinen Pflanze am Waldboden herum. Liam bleibt still und nach einiger Zeit sehe ich wieder zu ihm auf.

"Wie bist du eigentlich in diese ganze Sache geraten?" frage ich vorsichtig und mustere den Braunhaarigen vor mir, welcher nun seinen Kopf gesenkt hat. Sein Brustkorb hebt und senkt sich langsam.

"Harry und ich, wir kennen uns schon eine gefühlte Ewigkeit. Er hat mir aus jedem Mist geholfen, den ich gemacht habe und so bin auch ich ihm zur Seite gestanden. Wie das alles zu Ende geht wissen wir nicht, doch ich habe versprochen ihm zu helfen. Ich mache mir schon lange keine Gedanken mehr über das Ende. Wir müssen für das Hier und Jetzt kämpfen. Danach werden wir sehen, wer der Gewinner ist."
Liam's Worte sinken nur langsam in meinen Kopf und sie bereiten mir auf eine gewisse Art und Weise ein ungutes Gefühl.

"Hast du keine Angst zu sterben?" frage ich mit einer zerbrechlichen Stimme und sein Blick fällt auf mich.

"Wer hat denn keine Angst zu sterben? In solchen Situationen musst du lernen mit diesem Gedanken zu leben, sonst hast du gleich verloren. Lass diese Angst nicht deinen Körper beherrschen."
Ein leichter Schauer läuft über meinen Rücken. Diese Worte brennen sich regelrecht in meinen Kopf und ich bekomme etwas Angst. Ich rühre mich keinen Zentimeter und sitze nur stumm vor dem Braunhaarigen.

"Hab keine Angst Amy, du bist nicht alleine. Ich weiß Harry hat einen wirklich gewöhnungsbedürftigen Charakter, doch du musst wissen, dass er eine wirklich lange und schwere Zeit hinter sich hat. Er weiß nicht mehr, wie er mit diesem Schmerz umgehen soll."
Seine Worte bringen mich zum nachdenken. Irgendwie verstehe ich es ja.

"Erzähl mir, was passiert ist." spreche ich leise. Mir war immer bewusst, dass es zu früh ist, um danach zu fragen, doch meine Neugierde ist zu groß.

Doch Liam schweigt nur.
Es war eigentlich klar, dass er es mir nicht erzählen wird.

"Amy, ich kann das nicht. Das ist Harrys Vergangenheit und er redet wirklich selten darüber." beginnt mir Liam zu erklären.

"Er muss es ja nicht erfahren. Ich will es einfach nur wissen." hake ich weiter nach, doch Liam seufzt nur.

"Bitte." füge ich noch leise hinzu und starre Liam abwartend an. Er atmet tief durch, lässt seinen Kopf hängen und schweigt weiterhin.

Warum will er es mir nicht einfach erzählen. Ist ja nicht so, dass ich etwas böses vorhabe. Ich will es einfach nur wissen und sehe nichts schlimmes daran. Harry muss es ja wirklich nicht erfahren.

"Der Vater von Jack und der von Harry hatten ernste Konflikte, worum es ging wissen wir bis heute nicht." beginnt Liam zu erzählen und ich richte sofort meine gesamte Aufmerksamkeit auf ihn.

"Eines Tages wurde Jack's Vater ermordet. Es gab keine Beweise, nichts - doch insgeheim wussten wir alle, dass es Harry's Vater war. Auch Harry's Mutter wusste es."
Liam macht eine kurze Pause.

"Natürlich wollte Jack Rache und holte somit sämtliche seiner Freunde und stürmte das Haus von Harry und seiner Familie. Er redete die ganze Zeit von irgendeinem Geld, doch keiner wusste wirklich was er meinte. Jack wusste mehr als Harry, was das Verhältnis zwischen ihren Vätern anging. Schlussendlich holte er sich das Geld, doch das war ihm nicht genug."
Liam schluckt schwer und ich kann mir denken, was als nächstes kommt.

"Sie fingen an auf Harry's Eltern einzuprügeln und ermordeten sie. Harry rannte davon und konnte ihnen entkommen. Doch als er dann abends wieder nach Hause kam fand er nur noch die Leichen seiner Eltern - seine Schwester war spurlos verschwunden. Für einige Zeit wohnte Harry bei mir, doch auch dort waren wir beide dann nicht mehr sicher und machten uns schließlich auf die Flucht. Der Hass von Jack stieg immer weiter und er sagte immer wieder er muss das zu Ende bringen, was sein Vater nicht geschafft hat. Er will Harry leiden sehen und ihm alles nehmen, was er hat."
Liam sieht mich an und ich weiß im ersten Moment wirklich nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach nur grauenhaft.

"Aber warum will er Harry ermorden? Er hat ihm persönlich doch nichts getan." kommt es zerbrechlich über meine Lippen.

"Jack meint, es gibt genug Gründe, doch ich wüsste keinen einzigen." spricht Liam und schüttelt nur seinen Kopf.

"Aber, gibt es keine andere Lösung als Mord?"
In meinen Augen sammeln sich ungewollt Tränen. Das alles zu hören ist einfach nur schrecklich und bereitet mir Angst.

"Dieser Typ ist verrückt. Er hat sich selbst nicht mehr unter Kontrolle und wir müssen darunter leiden." spricht Liam und eine einzelne Träne, welche ich nicht zurück halten kann, kullert über meine Wange.

"Amy hör mir zu, was auch immer er zu dir sagt, es ist eine Lüge. Glaub ihm kein Wort." Liam legt seine Hände auf meine Wangen und sieht mir tief in die Augen. Ich wische meine Träne weg und nicke.

"Hab keine Angst." höre ich seine sanfte Stimme und nicke wieder stumm.

Ich senke meinen Kopf und es herrscht Stille, bis ich nach einiger Zeit wieder das Wort ergreife.

"Was ist mit Harrys Schwester passiert?" frage ich vorsichtig, obwohl ich die Antwort schon einigermaßen kenne.

"Ist dir schonmal die Kette mit dem Kreuz - Anhänger aufgefallen, welche Harry immer trägt?" stellt Liam eine Gegenfrage und ich nicke.

"Eines Tages bekam Harry einen Brief mit der Nachricht: Egal was du vor hast, es ist zu spät. Darin befand sich diese Kette - sie gehörte seiner Schwester."

Dieser Satz zerreißt mein Herz und ich könnte nur noch heulen. Wie schrecklich kann ein Mensch eigentlich sein. Niemand hat so etwas verdient, wirklich niemand.
Wenn ich mir diese Geschichte durch den Kopf gehen lasse, kann ich in irgendeiner Weise Harrys Verhalten verstehen. Ich muss auch immer wieder an seine Worte am See denken. Das er keine Liebe mehr verspürt, sondern nur noch Hass, der seinen Körper beherrscht.
Ich würde ihm irgendwie gerne helfen, doch das kann ich nicht. Ich wüsste auch nicht wie. Was sollte so ein schwaches Mädchen wie ich schon groß machen können. Ich würde alles nur schlimmer machen.

Plötzlich höre ich ein Geräusch und sehe sofort auf. Mein Blick schweift in allen Richtungen, bis er an einer Person hängen bleibt. Diese tiefe Stimme dringt in meine Ohren und mein Herz beginnt schneller zu schlagen.

"Liam."

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