50. Kapitel

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Und immer mehr Teile des Puzzles kamen auf mich zu.

Meine Augenlider rissen sich Stück für Stück mehr auf, als ich das Bild meiner Eltern sah. Ein großer, unbeschreiblicher Schock durchfuhr meinen Körper, und ich realisierte, dass das Gesehene wirklich passiert war. Die Hand meines Bruders umklammerte fest meine, er hielt sich somit unter Kontrolle. Er wollte mir Kraft geben. Doch habe ich diese überhaupt? Kann mir eigentlich jemand noch Kraft verleihen, wenn jedes Mal ein weiterer Schicksalsschlag in mein Leben tritt?

»Sie rufen bestimmt gleich hier an, und wollen uns davon erzählen.«, flüsterte ich, und verlor wunderlich keine einzige Träne. Ohne jegliche Emotionen starrte ich schnurstracks nach vorne auf den hellen Bildschirm, und hörte in der fülligen Stille mein Herz gegen meine Brust schlagen.

»Pssshht.«, verlangte seine heisere Stimme und er drückte im nächsten Moment sanft meinen Kopf an seine Brust. »Wer auch immer es war, diejenigen werden in der Hölle verbrennen.« Aus seiner Stimme kam Zurückhaltung hervor. Mein Bruder wollte nicht weinen, er wollte sich zusammenreißen. Um ehrlich zu sein, erlebe ich ihn selten so schwach, doch eins war sicher - er würde immer für mich da sein, egal worum es geht. Ich kniff meine Augen zusammen, um den Tränen keinen Weg freizulassen, da ich mir nie besonders Gedanken darüber gemacht habe, wie meine Eltern eigentlich ermordet wurden. Es ist schlimm zu wissen, dass ich sozusagen live dabei war, und seitdem prägte mich ein Trauma. Genauso wie meinen Bruder, der seinen Tod vortäuschen musste. Es ist alles so verdammt kompliziert, und mein Leben hängt einzig und allein von einem Schicksal ab.

Erneut stellte sich eine Frage in meinem Kopf: Wieso werden erst jetzt Beweise gefunden, und vor allem, wieso erfahre ich diese Nachricht, obwohl mir schon genug auf dem Herzen liegt?

Hatte Merve Recht?, war meine nächste Frage, die sich sammelte, und ich bekam Kopfschmerzen. Eine kleine Träne entwich meinem Auge, und ich drückte mich näher an meinen Bruder. Hatte Sinan's Vater wirklich irgendetwas damit zu tun??

Nein!, schrie mein Herz. Nein, nein, nein! Glaub nicht daran.
Ich konnte es nicht. Sinan ist der Sohn dieses Mannes, dem ich als erstes meine Liebe gestand.
Ist mein Leben wirklich zur Hölle verdammt worden??

Ich spürte, wie Cihan sanft über meinen Rücken strich und oftmals flüsterte er mir beruhigende Worte zu. Sowas wie »Alles wird gut.« waren seine Worte, doch langsam zweifelte ich daran.
Wie soll alles gut werden, wenn ich kein Glück mehr erwarten kann?

Es heißt: »Mit der Zeit heilen die Wunden.«, doch wie sollen sie heilen, wenn sie jedes Mal auf's Neue geöffnet werden?

Meine Atemzüge gingen unregelmäßig mit einem bestimmten Rhythmus, und im nächsten Moment nahm ich wahr, wie nach und nach mehrere Leute das Wohnzimmer betraten. Wie ein letztes Stück Elend saß ich mit meinem Bruder auf der Couch, und zwangen uns selbst, nicht zu weinen, und stark zu bleiben.

Meine Großmutter sagte immer; 'Du bist ein großes Mädchen geworden, mein Engel. Du bist stark genug, um die Hürden des Lebens zu überwinden, auch alleine.'

Damals verstand ich nicht, was sie damit sagen sollte, doch einen Tag später starb sie.

In diesem Moment wünschte ich mir meine Oma wieder, die mich aufmuntern kann, doch niemand der gleichen war hier. Klar, ich hatte meinen Bruder, meine Tante. Auch Sinan, die mich zum Lächeln bringen könnten.

Doch sind die Mutter und der Vater nicht der einzige Lebenssinn eines Kindes?

»Ariana, Cihan, geht nach oben.«, verlangte plötzlich die Stimme meiner Tante, und mein Kopf hob sich. Sofort schaute ich in die Gesichter von Sinan und ihr, die mich mit einem undefinierbaren Blick betrachteten, und auch erst jetzt merkte ich, dass ich doch Tränen verloren hatte. Der Hoodie meines Bruders war nass.

Schicksal führt zusammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt