Kapitel 11

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Lucas schritt durch die Gänge. Sein Gesicht zeigte keine Emotion, seine Haltung gab nichts preis. Die Angestellten verbeugten sich, wagten nicht ihren Kopf zu heben oder zu sprechen. Das war auch nicht nötig, denn er wusste, wo sein Ziel war.

Die Türen öffneten sich und er sah Keir schon von weitem. Mit gelassenem Gesichtsausdruck saß dieser auf einem Sofa, nicht wie so oft auf seinem Thron, auf dem er sich so viel einbildete. Macht und Ehrfurcht stecken nicht in einem Möbelstück, auch wenn dieser es anders sah. In der Hand hielte Keir ein Weinglas und trank einen Schluck daraus. „Willkommen in meinem Heim", begrüßte er ihn nach den Regeln der Gastfreundschaft und Lucas setzte sich ihm gegenüber.

Keir schaute zu seinem Gegenüber, suchte nach Hinweisen, doch wie immer fand er nichts. Er ist ein Monster. Die letzten Tage hatte er sich Gedanken gemacht, was ihn erwarten würde, doch er war sich nicht sicher. Ihn aus der Position zu entheben, war unwahrscheinlich, dafür war sein Vergehen zu nichtig. Was ging also in dem hübschen Kopf des Anführers vor? Sollte er erneut einen Blick wagen?

„Ich mache es kurz. Keir, dein Vergehen war das unerlaubte Betreten meines Anwesens", begann Lucas. Das an sich war nicht wirklich ein Vergehen, da es schon öfter vorkam. Es wäre auch keines geworden, hätte er den Vampir und den Wolf nicht verletzt.

„Hinzu kommt das grundlose Vergehen an meinem Hausverwalter und inoffiziellen Stellvertreter, sowie an meinem Offering. Dieser ist so traumatisiert, dass unklar ist, wann dessen Blut wieder genießbar ist." Dies stellte eher ein Problem dar, wobei der Angestellte mehr wog. Jeder wusste, dass Sim von Lucas geschätzt wurde, was Keir persönlich nicht nachvollziehen konnte. Gestorben oder ernsthaft geschädigt war dieser jedoch nicht, also konnte er aufatmen. Das Offering war eher interessant. Welchem Stellenwert würde Lucas diesem beimessen? Die Markierung machte das Ganze undurchsichtig.

„Ich erwarte als Wiedergutmachung eine persönliche Entschuldigung bei Sim und du erhältst eine Sperre für jegliche Offerings in den nächsten zwanzig Jahren. Zudem bist du in meinem Anwesen auf unbestimmte Zeit nicht mehr willkommen", sagte Lucas und Keir ballte die Faust.

An sich war die Strafe nicht schwerwiegend. Die Entschuldigung würde an seinem Stolz kratzen und auf den Besuch bei Lucas konnte er verzichten. Doch der Ausschluss bei den Offerings war hart. Sein Volk würde also die nächsten zwanzig Jahre keine weiteren Nahrungsquellen erhalten und das würde vielen nicht gefallen. Du bist gut, Lucas, aber nicht gut genug.

„Wie geht es dem kleinen Wolf?", fragte er den Vampir, in der Hoffnung eine Reaktion provozieren zu können. „Er scheint dir ja am Herzen zu liegen, sonst hättest du ihn nicht markiert. Ist sein Blut so süß, wie er riecht?"

Keine Regung in Lucas' Gesicht. „Nimmst du deine Strafe an? Wenn nicht, wird es vor dem Rat vorgebracht", antwortete Lucas.

Das schmeckte Keir überhaupt nicht, also machte er eine wegwerfende Geste und stimmte zu.

„Dann sind wir fertig", verabschiedete sich der Anführer der Vampire und ließ Keir zurück. Die Wut brodelte in ihm, doch seine Gedanken waren bei seinem Gefährten und er beruhigte sich. Bald bin ich wieder bei dir, Chechak.

Keir schaute dem Vampir nach. Was versteckst du? Er würde es bald erfahren. Die Vorbereitungen waren bereits im Gange und es gab nichts, was Lucas dagegen würde tun können. Bald.

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Erneut stand Cayden bis zum Bauchnabel im Wasser. Die Strömung des Flusses versuchte ihn umzureißen, doch er hielt stand. Seine Hand schnellte nach vorne und griff nach dem Ast, welcher in der letzten Sekunde einen Sprung nach rechts machte. „Nochmal", sagte er. Sein Blick war auf die Strömung gerichtet. Er verfolgte das Wasser, fühlte die Bewegung, dann warf Sim den nächsten. Seine Hand schnellte nach vorne, machte einen Ruck nach links und schloss sich. Keuchend stand er dort, schaute auf seine Hand, in der er den Widerstand spürte. Ich habe... es geschafft? Euphorie schoss durch seine Adern und er schaute lachend zu seinem Mentor. Er hielt den Zweig nach oben, als wäre es der heilige Gral.

The Offering ✅️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt