Kapitel 12

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Das Flackern der Lampe sorgte dafür, dass die Schatten zu tanzen begannen. Cayden war über das Buch gebeugt, völlig vertieft. Die Worte wandelten sich vor seinen Augen und seine Feder schrieb sie nieder. Das Buch erzählte von den Anfängen der Vampire und Tierwandler, die Geschichte der Schöpfung. Diese war allgemein bekannt, doch die Beschreibung war detaillierter und hatte einen etwas anderen Blickwinkel, als würde sie aus der Sicht einer dritten Partei beschrieben werden.

Immer wieder blieben seine Augen an einer Stelle hängen. Was heißt das? Er konnte es nicht entziffern. Die geschwungenen Buchstaben sprachen stumm etwas, das er nicht verstand - doch das Gefühl, dass dieses wichtig war, nahm stetig zu. Er war an der Stelle angekommen, als die Götter über die Kämpfe zwischen den beiden Rassen erzürnt waren.

»Doch es geschah etwas, womit die Götter nicht rechneten. Die Schöpfung des Sonnengottes, aus seinem Blut geboren, verspürte einen Hunger nach Blut und stillten diesen ohne Zurückhaltung. Ein Krieg brach aus, die Tierwandler kämpften gegen die Vampire. Leben um Leben wurde ausgelöscht.
Voll Trauer schauten die Zwillingsgötter auf ihre Schöpfung, die anderen Götter voll Wut. So legten sie erneut die Hände zusammen und sprachen...«

Weiter kam er nicht. Er konnte die Worte nicht entschlüsseln. Vielleicht stand hier die Lösung des Rätsels und er war nicht in der Lage, es zu lösen. Verdammt. Er brauchte ein Wörterbuch, doch das Einzige, von dem er wusste, dass es so gut wie alle Worte beinhaltete, war an einem Ort, der momentan nicht erreichbar war. Er hatte Sim bereits gefragt, doch in Lucas' Sammlung gab es nur zwei und die waren nicht so umfangreich.

Es hilft nichts. Er stand auf und klappte das Buch mit der Übersetzung zu, um es in einer Box zu verstauen. Das andere hob er vorsichtig mit seinen behandschuhten Händen an und legte es in die Vitrine zurück. Daraufhin verließ er den Raum, schloss ihn ab und suchte seinen Gefährten auf.

Lucas schaute nach oben, als sein Liebster anklopfte und den Kopf durch die Tür streckte. Er legte die Dokumente zur Seite, als dieser mit einem scheuen Lächeln fragte: „Störe ich?"

„Komm her, Chechak. Was bedrückt dich?", erwiderte er mit liebevoller Stimme.

Cayden lief zu diesem und setzte sich ihm gegenüber, senkte etwas den Kopf. Das ließ einige Alarmglocken in Lucas' Kopf schrillen, vor allem als sein Wolf die Hände auf dem Schoß faltete.

„Lucas", begann er, atmete aber noch einmal tief durch. „Ich habe das Buch übersetzt, welches über die Beginne unserer Rassen berichtet. Nein, vielleicht fange ich von vorne an."

Lucas sah, dass sein Liebster sich sortierte. Er hörte ihm aufmerksam zu, denn das schien ihn sehr zu belasten.

„Ich habe dir bisher nicht erzählt, warum ich als Offering auserwählt worden bin. Unsere Familie wäre dieses Jahr gar nicht an der Reihe gewesen, das Offering zu stellen." Diese Worte verwunderten den Vampir. Er wusste, dass die Tierwandler eine strenge Reihenfolge einhielten, um die Fairness zu gewährleisten und so gut wie nie von dieser abwichen. Wieso hatten sie es also in Caydens Fall getan? Nun wusste er, dass das hier ernst war.

„In der Nacht vor der Entsendung hatte unser Seher eine Vision. Göttin Aye ist ihm erschienen und er hat von ihr eine Prophezeiung empfangen.

Die Zeit ist gekommen, in dem sich der Mond und die Sonne berühren. Zwei Herzen aus beiden Welten schlagen in einem Takt, teilen denselben Atem und vereinigen die Seele, verbunden durch das Blut in ihren Adern. Der schlafende Wolf, als Geschenk vergeben, bringt den langersehnten Frieden."

Lucas kniff die Augen zusammen. Der Ernst der Lage wurde immer deutlicher. Eine Prophezeiung eines Seher unabhängig von welchem Clan war eine ernstzunehmende Sache. „Was hat sie zu bedeuten?", fragte er seinen Gefährten.

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