Kapitel 15

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Nachdenklich blätterte Cayden in dem Buch. Je länger er über das Treffen mit seinem Bruder nachdachte, desto zerrissener war er. Schließlich entschied er sich, ihm einen Brief zu schreiben. Er schrieb nicht viel, nur seine Gedanken und hoffte, dass Rafe Ordnung in diese bringen würde. Diesen übergab er einem Boten, welcher ihn ausliefern würde.

Als er dies getan hatte, konnte er beruhigt atmen und sich wieder seiner Aufgabe widmen. Er schloss sich in den Raum mit den Uraltschriften ein und holte vorsichtig das Buch hervor. Neben dieses legte er das Buch, welches seine Mutter ihm geschenkt hatte. Gewissenhaft schlug er die fehlenden Worte nach und begann den Text zu übersetzen. Zwei Stunden vergingen und er bearbeitete ihn, bis er sich sicher war, dass er stimmte. Dann las er ihn am Stück durch.

»Voll Trauer schauten die Zwillingsgötter auf ihre Schöpfung, die anderen Götter voll Wut. So legten sie erneut die Hände zusammen und sprachen die Worte, die das Schicksal ihrer Schöpfung besiegelte.

Geschaffen aus der tiefen Liebe soll diese euer Fluch werden.

Gequält von dem Durst, der euch verleitet hat, sollt ihr euch nach dem sehnen, was euch nur freiwillig gegeben werden kann. Angst und Hass soll das Blut versäuern.

Gequält von eurem Tier, dem ihr so leicht nachgegeben habt, sollt ihr nach der Ruhe sehnen, die euch nur durch die Nähe anderer gegeben werden kann. Doch es wird nie die vollkommene Ruhe finden.

Atem zu Atem, Blut zu Blut, nur was zusammengehört, kann den Frieden bringen. Nur wenn der Mond und die Sonne sich berühren, soll der Schleier dieses Fluchs fallen.«

Diese Worte beschrieben das, was Sim ihm gesagt hatte. Der Fluch der Vampire, ihr Blutdurst, und der Fluch der Tierwandler, ihre rebellierende Tierhälfte. Aufmerksam las er weiter. Die Geschichte erzählte die Auswirkungen des Fluchs bis sie schließlich am Friedenspakt ankamen. Nun verstand Cayden, wie es zu dem Offering gekommen war. Es war die letzte Hoffnung gewesen, die Spezies der Vampire am Leben zu erhalten. Die Oberhäupter hatten sich damals freiwillig entschieden, einen der ihren zu schicken, unter der Bedingung, dass dieser bis zum Ende seines Lebens friedlich lebte.

Wieso wurde das nicht überliefert? Über die Generationen war dies verloren gegangen und die Vampire hatten geschwiegen. Er blätterte weiter, dann hielt er inne. Er blieb an einer Stelle hängen. Es war ein Bild von einer Sonne, die mit dem Mond überlappte. Darunter stand geschrieben:

»Wenn der Mond und die Sonne sich berühren,

vergeht die Finsternis, getaucht in silbernes Licht.

Der weiße Wolf erwacht in den Farben des Mondes getaucht,

verlässt den tiefen Schlaf.

Gemeinsam vereint er Sonne und Mond,

löst das Band der Verdammnis um die Herzen.«

„Was bei der Göttin Aye?" Er konnte nicht atmen. Das, was er gerade gelesen hatte, war eine uralte Prophezeiung. Diese Prophezeiung war mit der Prophezeiung von Orian verknüpft, das wusste er. Gütige Götter. Erst jetzt bemerkte er das Ausmaß dessen, was die Worte der Prophezeiung in Gang gesetzt hatten.

Er wollte zu Lucas, doch dieser war zu einer Versammlung berufen worden. Bitte komm bald zurück.

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Lucas setzte sich in den Kreis der Versammlung. Die anderen Oberhäupter warteten auf Keir, der als letzter eintraf und sich zwischen Tao und Zane setzte.

Tao machte ein ernstes Gesicht und eröffnete ausnahmsweise die Versammlung, denn sie hatte sie einberufen. „Liebe Brüder, ich habe die Versammlung einberufen, weil sich etwas ereignet hat."

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