Kapitel 5

3.7K 262 84
                                    

Wie versprochen tauchte Sim am nächsten Morgen mit einem Tablett und seinem Frühstück auf. Während Cayden aß, betrachtete Sim dessen Silhouette und sein Blick wanderte zu dessen langen hellbraunen Haaren. Es war lange her, dass er solch schöne lange Haare erblickt hatte. Fast wie... „Soll ich dir die Haare flechten?", fragte er freundlich, was den Wolfwandler überraschte.

Rafe hatte Cayden vor seinem Amtsantritt oft die Haare geflochten. Sein großer Bruder hatte es geliebt, das zu tun, weshalb er sie hatte wachsen lassen. Es war ja nicht so, dass sie ihn bei einem Kampf störten – denn seine Unfähigkeit, sich zu wandeln, hatte ihn dafür disqualifiziert. Ein trauriger Blick wanderte auf dessen Gesicht, den Sim missverstand.

„Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Verzeih-"

„Nein, schon gut. Ich habe nur an meinen Bruder gedacht, den ich nicht wiedersehen werde. Er hat mir die Haare immer geflochten", unterbrach Cayden den Vampir, denn er wollte nicht, dass Sim ein schlechtes Gewissen hatte. „Nur zu."

Sim stand auf und nahm eine Bürste, sowie ein dunkelrotes Band aus einer Schublade. Daraufhin setzte er sich hinter den Lobo und nahm dessen Haare sanft in die Hand. Er wollte ihm keine Angst machen, weshalb er weitersprach. „Ich habe früher die Haare meiner kleinen Schwester gebürstet und geflochten", sagte er mit weicher Stimme und fuhr mit der Bürste durch das lange, weiche Haar.

Cayden beendete sein Frühstück und schloss die Augen, denn das Gefühl, wie die Bürste durch seine Haare glitt, war angenehm. „Flechtest du sie ihr nicht mehr?", fragte er.

Eine kurze Stille trat ein. „Nein, sie ist leider verstorben", antwortete Sim ihm mit trauriger Stimme.

Caydens Herz zog sich zusammen. „Das tut mir leid. Ich wollte nicht..."

Ein leises Lachen erklang. „Dann wirst du es wohl wiedergutmachen müssen, indem du mich deine Haare flechten lässt." Die Traurigkeit war aus der Stimme des Vampirs verschwunden und Cayden war erleichtert. Er wollte den einzigen Vertrauten hier nicht vergraulen, oder ihm wehtun.

Die Finger wanderten durch die Haare und nach kurzem verlief ein schöner Flechtzopf über den Rücken des jungen Wolfs. Als sich dieser im Spiegel betrachtete, staunte er, denn die Arbeit war präzise und nahezu perfekt.

Sim stellte sich neben ihm. „Dann wollen wir mit der Führung beginnen."

Vorfreude, das Zimmer endlich verlassen zu können, keimte in Cayden auf und er nickte begeistert. Er lief Sim hinterher und trat aus der Tür. Für einen Moment hielt er inne, denn der Geruch nach Minze mit einer Pfeffernote verflog und er spürte einen leichten Verlust. Dann trat er jedoch hinaus, folgte dem Vampir.

Sie durchquerten gemeinsam das Anwesen. Sim erklärte ihm, dass der Flügel, indem sich Caydens Zimmer befand, der Privatflügel des Hausherrn war. Dann zeigte er ihm das Gemeinschaftszimmer, Empfangszimmer, Teezimmer, Musikzimmer, die Küche und das Esszimmer. Sie hatten zahlreiche Zimmer besucht und Cayden war völlig geplättet. Er wusste, dass Vampire sich ernährten wie die Tierwandler, doch sie ernährten sich auch von Blut. Die Erinnerung an den Biss kam an die Oberfläche und rieb sich über die verblassten Wunden an seiner Schulter.

„Sim. Dieses Zeichen, was hat es zu bedeuten?" Cayden hatte es nach dem Bad gesehen, die schwarzen Linien, die sich über seine Haut zogen, ausgehend von den Bisswunden.

Der Vampir schaute ihn an. „Es ist eine Markierung. Sie bedeutet, dass du jemandem gehörst, somit niemand Hand an dich legen darf, sich nicht von dir nähren darf." Mehr sagte Sim nicht, denn er wusste, dass das Thema heikel war.

Nähren. Erneut kam das Thema Blut auf. Er hatte viel über die Vampire gelesen, doch nach dem letzten Gespräch war er sich sicher, dass er nur einen Bruchteil wusste. Wenn er fliehen wollte, musste er diese besser verstehen. „Wovon nährt ihr euch eigentlich?" Viele gingen davon aus, dass sie sich von Tieren und den eigenen Artgenossen nährten, doch dieses Thema wurde vermieden.

The Offering ✅️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt