Kapitel 11

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A D E L I N E

Aiden ist vor ungefähr eine Viertelstunde aus dem Zimmer rausgegangen, was mich um einiges beruhigt. Wenn ich mich jedoch wieder an seine Blicke erinner, kriecht die Nervosität in mir hoch.
Diese herablassenden und demütigen Blicke jagen mir eine abscheuliche Gänsehaut auf meinen Körper. Sie treiben die Tränen in meinen Augen hervor und bringen Gefühle in mir hoch, die ich lange nicht mehr gespürt habe. Lange, bis ich auf Aiden traf.

Vielleicht ist er aber auch nur so zu mir, weil ich nicht auf seinem Niveau bin. Schließlich kann ich mich gut daran erinnern, wie meine Eltern oder Geschwister andere Leute, sowie ihre Mitarbeiter oder normale Passanten behandelten. Sie dachten, sie wären etwas viel besseres und schauten auf die Menschen mit hoher Nase herab. Vielleicht behandelt mich Aiden ja deswegen so.

Bevor ich aber lange meine Zeit mit den Gedanken verschwenden kann, höre ich wie sich Aiden mit jemanden unterhaltet. Wahrscheinlich ist es endlich Liam. Kurze Zeit später wird die Tür aufgeschlossen und wie erwartet, tretet Liam hervor. Direkt begleitet von Aiden.

Mist, ich dachte, er würde mich mit seinem Bruder alleine lassen. Wie auf Knopfdruck verdoppelt sich mein Herzschlag und ich lasse meine Augen gesenkt. Trotzdessen kann ich sehen, wie die zwei Richtung Sofa laufen. Es ist direkt gegenüber vom Bett auf dem ich sitze, nur zum Glück einige Meter entfernt.

Beruhigen würde sich mein Herz dennoch nicht, denn allein seine Anwesenheit lässt die Angst in mir die Oberhand gewinnen.

„Hallo, Adeline.", begrüßt mich Liam ruhig, als er sich hinsetzt. Aiden direkt neben ihn. „Hallo.", erwidere ich, befürchte aber sehr, dass sie es nicht gehört haben.

Eigentlich war ich mir davor ziemlich sicher, dass ich mit Liam darüber reden will, jedoch bin ich es nicht mehr so ganz. Ich traue mich nichts zu sagen. So wie jedes mal, wenn Aiden da ist. Ich verliere die Konzentration und lasse mich von den ganzen anderen Emotionen die mich in dem Moment durchströmen ablenken.

Angst, Nervosität, Scham und sogar Trauer rauben mir die Wörter.

„Willst du auch mal anfangen zu reden?", werde ich von seiner starken Stimme aus meinen Gedanken gerissen. Ich erlaube mir einen flüchtigen Blick zu den zwei Brüdern. Liam verdreht nur seine Augen und schaut mich gleich danach ermutigend an. Aiden jedoch scheint wütend zu sein. Ein Mensch, der so etwas wie Geduld besitzt, scheint er ganz und gar nicht zu sein.

Bitte reiß dich diesmal zusammen Adeline und mach ihn nicht noch wütender, als er es schon ist.

„Du meintest, dass mein Bruder, Ethan noch lebt.", fange ich mit bebender Stimme an und schaue direkt zu Liam. „Stimmt's?", füge ich hastig hinzu und strenge mich an auch nur zu Liam zu schauen, was mir eindeutig schwerfällt.

Aiden's Blicke scheinen mich gleich erdolchen zu wollen. So als wolle er irgendwas an meinen Bewegungen und Worte rausfinden. Meine Atmung ist immer noch sehr unruhig, hoffe aber trotzdem, dass ich gut dabei bleibe und mich nicht von den langsam hochkommenden Gefühlen ablenken lasse. Liam nickt, was mich schlucken lässt. Glauben tue ich es nämlich immer noch nicht. Oder besser gesagt, ich will es nicht so leicht glauben.

„Und... woher soll ich wissen, ob du mich nicht einfach... na ja anlügst?", frage ich ihn sehr langsam und ängstlich etwas falsches zu sagen.
Vom Augenwinkel sehe ich, wie sich Aiden anspannt und auch Liam schielt zu ihn. Genau wo er mir antworten will, zischt mich sein Bruder voller Wut an. „Wir haben keinen Grund, um zu lügen. Die Frage ist doch eher, ob du uns nicht was vormachst."
Seine Stimme ist laut und aggressiv. Sie jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken und für Sekunden schließe ich meine Augen und hoffe, dass die Angst in mir sich nicht auffällig machen würde. Warum wird er überhaupt immer so schnell sauer? Diese Grobheit und Aggression sind doch kaum auszuhalten. Und bei was sollte ich ihnen denn was vormachen? Ich bin nicht freiwillig hier, falls er es vergessen hat.

„Adeline, hör zu.", verlangt Liam nun ganz vorsichtig und ruhig, wie schon die ganze Zeit. Seine Geduld ist viel ausreichender, als die seines Bruders. Meine Augen schauen langsam in seine grauen Kristalle, die in diesem Licht und der weiten Entfernung, nicht mehr so stark leuchten. Trotz dessen spüre ich die Wärme in ihnen.

„Vielleicht glaubst du uns ja nicht, aber was ist, wenn es dir deine Eltern selbst sagen?„, fragt er, doch ich verstehe nicht worauf er hinaus will. Als er das bemerkt, führt er fort. „Glaubst du es dann?"
Ich bin überfordert, denn ich weiß nicht genau, was hinter diese Worte stecken.

Sicherlich würde ich es ihnen dann glauben. Wie denn auch nicht, aber sie waren doch die, die mir damals von Ethan's Tod berichteten. Wie könnten sie dann bei so einem Thema lügen und wieso sollten sie überhaupt?

In meinem Kopf geht vieles los und darin befindet sich ein reines Chaos. Die zwei müssen es bemerkt haben, denn sie mustern mich beide ziemlich aufmerksam. Von mir kommt allerdings kein Ton raus, stattdessen zucke ich mit den Schultern.

„Dann hilf uns.", spricht er nun ernst. Es klingt aber nicht nach einem Befehl, es war etwas anderes. Eine Emotion, die ich weder deuten noch von seinen Augen ablesen kann. „Bitte, Adeline.", bittet er mich.

Ich bin überrascht, denn seitdem ich mich hier in diesen großen Haus befinde, bin ich diejenige, die sie um etwas bittet und anfleht. Nun tut es Liam und jetzt wird es mir deutlich. Es ist die pure Verzweiflung die ihn umgibt. Nur leider verstehe ich immer noch nicht, bei was ich helfen soll.

Ich bin selber Hilflos, wie kann ich dann anderen helfen. Aber die noch wichtigere Frage ist, warum wollen solche Leute von eine wie mir Hilfe.
Ängstlich und auch verwirrt von dem was jetzt kommt, traue ich mich etwas dazu zu sagen.

„Bei... also bei was soll ich euch denn genau helfen?", frage ich vorsichtig. Meine Augen schweifen für Sekunden zu Aiden, der immer noch da wie versteinert sitzt und sein Augen nicht einmal von mir abgewendet hat. Er guckt aber nicht mehr so wüten wie davor, durchforscht mich jedoch gründlich von unten angefangen bis nach oben. Als nun mein und sein Braun sich vereinen, schelle ich mein Kopf hastig zu Liam, der wieder bereit ist zu reden.

„Hilf uns dein Bruder zu finden, Adeline."

Die Wörter verlassen seinen Mund klar und deutlich, trotzdem bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, ob ich es richtig verstanden habe. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und mein Blick schweift zum Boden. Ethan lebt bestimmt nicht. Es kann nicht sein. Das ist unmöglich, er würde mir sowas nicht antun.

Tränen sammeln sich erneut an die Oberfläche, als ich abermals daran denke, dass mich mein Bruder verraten hat. Er hat mich in eine Lüge leben lassen und ist einfach so gegangen. Natürlich falls dies, was sie sagen auch so stimmt.

Eine einsame Träne rollte meine heiße Wange entlang, die ich schnaubend mit meiner Rückhand wegwische. Was wollen sie überhaupt von Ethan?

„Wie?", frage ich und versuche die Trauer, die mich plötzlich übernommen hat zu ignorieren. Liam schaut rüber zu Aiden, welcher mich immer noch leise anstarrt. Es ist mir echt wohl genug, dass er nichts sagt, aber diese Blicke machen es mir auch nicht gerade einfach. Sie bringen mich zum schwitzen und lassen die Nervosität in mir mit jede Sekunde weiter aufsteigen. Es bildet sich ein Kloß in mein Hals, den ich versuche runterzuschlucken, jedoch scheint es mir nicht so zu gelingen. Liam widmet sich mir wieder zu.

„Komm deiner Familie wieder näher."

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