Kapitel 50

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A  I  D  E  N

Die Tatsache, dass sie schon mit zwölf Jahren ihre Familie als wahrhaftige Monster betrachtete, lässt mich schlucken.

Irgendetwas in mir schmerzt und ich weiß nicht, ob dies an ihren Augen liegt, welche mit Kummer gefüllt sind und sich auf mich übertragen oder ob es mein Herz ist, das den Leid ihrer Stimme nicht ertragen kann.

Adeline erhöht den Druck auf ihrem Oberschenkel und versucht unauffällig leise zu atmen. Dabei schallt das kaum hörbare Keuchen, das über ihre Lippen kommt so laut in meinen Ohren, dass es mir eine Gänsehaut auf der ganzen Haut beschert.

„Ab dem Moment wurde die Angst ein Teil meines Lebens, denn ich wusste, dass egal was noch passieren mag, mir keiner glauben schenken würde. Sie hielten mich alle für eine Lügnerin... Alle bis auf Ethan."

Ihre Stimme zittert, genauso wie ihre zierliche Hand. Und obwohl mein Verstand sich weigerte seine Feinfühlige Seite nun raushängen zu lassen, handelt mein Körper von alleine. Ich nehme ihre Hand in meine, während sich die andere auf die Stelle legt, wo ihre Narbe ist. Leicht drücke ich zu und schaue daraufhin in glitzernde Augen, welche mich schon verwundert empfangen.

Ich betrachte sie und genieße ihren Anblick. Die Tränen und die Furcht sind es nicht die mich erfreuen. Eher der Anblick wie sie sich durch meine Berührung beruhigt. Etwas, das ich mir stundenlang anschauen könnte.

„Er sagte zwar nicht, dass er mir glaubte und ebenso haben wir nie wieder darüber gesprochen, doch ich wusste, dass er es tat. Er ließ mich nie mit Daniel alleine und bei jedem Alptraum durfte ich zu ihn ins Zimmer.", erzählt sie und ich höre die Unsicherheit, welche ihre Worte umhüllen genauestens raus. Adeline hat Angst vor meiner Reaktion, wenn sie über ihren Bruder redet, da bin ich mir sicher. Vielleicht sollte ich nun auch sauer werden und mich von ihr entfernen, doch das tue ich nicht. In mir kommt ein ungutes Gefühl hoch, das ich nicht unterdrücken kann. Allerdings spielt mein Hass gegenüber Ethan gerade keine Rolle. Das einzige was in dieser Sekunde von Bedeutung ist, ist das entzückende Wesen vor mir, das mir von ihren Ängsten und ihrer Familie erzählt. Alles andere ist nicht von Bedeutung und dies signalisiere ich ihr, indem ich mit meinen Daumen sanft über ihren Oberschenkel streiche.

Ich kann nicht sagen, ob dies eine Masche von Adeline ist, um mich dazu zu bringen, ihr die Antworten zu liefern, die sie sich schon seit längerem wünscht. Was ich jedoch mit fester Überzeugung sagen kann, ist dass alles was sie mir erzählt mit Sicherheit der Wahrheit entspricht.

„An einem Abend ließ er mich mit den Rest der Familie alleine zuhause. Er hatte es eilig und ich kam nicht einmal dazu mit ihn zu reden. Ich wusste, dass etwas komisch war..." Erneut werden ihre Augen feucht und ich spüre, wie ihre Finger sich leicht zu verkrampfen beginnen. So, als würde sie meine Hand gerne fest umklammern, sich aber angestrengt zurückhalten wollen.

„Am nächsten morgen sagte mir Mom, dass er ein Unfall mit dem Auto gebaut hatte." Ihre Stimme wird immer leiser und nun wendet sie ihren Blick ab, um meinen zu entkommen. Einige Male blinzelt sie. „Ich wusste, dass ab da alles anders laufen würde. So gesehen hatte ich meine einzige Familie verloren. Meinen einzigen Freund."

Hart schlucke ich.

Ihre einzige Familie.

Ihren einzigen Freund.

„Ich muss wieder gehen Rose.", sage ich, während ich sie in eine Umarmung ziehe. Mit verengten Augen mustert sie mich, weshalb ich wieder einmal genervt seuftze. „Du gehst zu deiner neuen Familie und lässt mich hier alleine. Schon wieder.", meckert sie zum gefühlt fünften Mal diese Woche, obwohl sie ganz genau weiß, dass die Besuchszeiten vorbei sind und ich gezwungen bin zu gehen. Lachend schüttele ich den Kopf. „Ich habe keine neue Familie. Du bist meine einzige Familie."

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