Kapitel 19

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A I  D  E N

Das warme Wasser prasselt auf mich herab und ich schließe genießerisch die Lider. Erschöpft bin ich zwar nicht, aber ganz schön genervt. So wie sich Adeline heute aufgeführt hat, könnte ich sie eigenhändig umbringen. Wären Christina und Daniel nicht zu sehr auf ihr Schauspiel fokussiert gewesen, dann hätten sie von der ersten Sekunde an riechen können, dass etwas nicht stimmt.

Mein Kopf denkt jedoch gerade nur an das Mädchen, welches heute kurz davor war in meine Arme zu zerbrechen, als sie vor ihren Eltern stand.
Daniel's Augen und stille Blicke, sind mir ebenfalls nicht entgangen. Sie sprachen mehr als tausend Worte und spuckten wortwörtlich Feuer, die Adeline beinahe verbrannt hätten.

Ich war noch nie in solch eine Situation und wäre mir das ganze nicht so wichtig, dann würde ich Adeline auch nicht dazu zwingen. Bis vor paar stunden hatte ich immer noch den Gedanken, dass dieses Mädchen uns möglicherweise etwas vormacht. Doch nun bin ich mir zu hundertprozentig sicher, dass dies nicht sein kann. Denn ich sehe allein an ihren unschuldigen Augen, dass sie es nichtmal in deren Nähe aushält. Schließlich habe ich selber mitbekommen, wie sogar ihr ganzer Körper darauf reagierte und sie vor mir fast erstickt wäre. Doch ob sie will oder nicht, sie muss da durch.

Paar Minuten stehe ich noch da und lasse meine Muskeln entspannen, dann steige ich aus der Wanne und gehe in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Gleich danach will ich mich auf den Weg nach unten machen, um zu sehen, ob alle Lichter aus sind, wie Sophia mir meinte. Doch ich stoppe, als ich das Zimmer von Adeline offen sehe. Ich laufe einige Schritte zurück und ziehe meine Augenbrauen verwirrt zusammen. Das Zimmer ist normalerweise nie offen und das Licht ist nicht einmal an. Ich bezweifle sehr, dass Adeline mit offener Tür schlafen würde, geschweige denn, dass sie sie überhaupt offen lässt.

Vor der Tür angekommen bleibe ich stehen und schaue skeptisch durch den Spalt. Leise öffne ich die Tür, während ich dabei das Licht anmache und entsetzt feststelle, dass Adeline auf dem Boden liegt. Mit geschlossenen Augen ist sie an das Bett hinter sich angelehnt, doch schnell lenkt sich meine Aufmerksamkeit auf ihre kleine rechte Hand, die voller Blut ist. Hastig gehe ich auf sie zu und erblicke ihr Bein, welches ebenfalls von Anfang ihres Oberschenkels bis zu ihr Knie blutet. Die rote Farbe glänzt und sieht frisch aus, dabei riecht es auffällig stark in ihrer Nähe. Der unangenehme metallische Geruch ist mir zwar nicht neu und doch, schnaufe ich.

Ohne zu zögern handele ich, schlinge meine Arme um ihre Hüfte und hebe sie mit einem Ruck hoch, um sie dann auf das Bett vorsichtig abzulegen. Mein Atem ist ziemlich schnell und hektisch und ich spüre, wie mein Herz seit langem wieder ein schnelleres Tempo einnimmt. Adeline's Lider sind immer noch zu und auch als ich sie bei ihren Namen rufe, öffnen sie sich nicht. Was hat sie nur da gemacht?

Ich schnappe mir die Tücher, die auf der Kommode liegen und versuche ihr vorsichtig das Blut von den Beinen zu wischen. Währenddessen suche ich sie nach weiteren Verletzungen ab, doch zum Glück scheint es die einzige zu sein.

Minuten vergehen, nachdem ich das ganze Zeug vom Nebenzimmer geholt habe, um ihre Wunde zu säubern und als nun kein Tropfen Blut mehr auf ihrer weichen Haut zu sehen ist, entdecke ich eine große Narbe. Verwundert halte ich in meiner Bewegung inne und schaue sie mir genauestens an. Ich stelle fest, dass sie etwas alt sein muss, denn sie ist weich und ganz verblasst. Und die Wunden, die sich Adeline höchstwahrscheinlich selbst zugefügt hat, sind alle um diese Narbe herum.

Ich stehe auf und gucke auf dem Boden, auf dem sie vorhin lag, jedoch keine Spur von irgendwelchen scharfen Gegenständen, geschweige denn überhaupt etwas dort. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen, wodurch eine kleine Furche entsteht und während ich mich erneut zu ihr wende, fällt mir ihre blutige Hand ein. Hat diese Irre sich ernsthaft selber geschnitten?

Meine Beine bewegen sich wie von alleine wieder in ihre Richtung und langsam platziere ich meinen Hintern neben ihr auf die Matratze. Ich greife nach den Feuchttücher und nehme ihre eisige Hand in meine, um sie gleich danach sauber zu machen. Auch dabei öffnet sie die Augen nicht, was die Besorgnis in mir weckt.

Ihre kleinen zarten Finger sind voll mit Blut und auch unter ihren Nägeln kann man das Blut sehen, welches sich dort gesammelt hat. Ist sie verrückt? Sowas kann man schließlich nicht ausversehen machen.

Während ich ihre Hand weiterhin sauber mache, schiele ich oftmals zu dieser Narbe an ihr Bein. Rote Punkte sammeln sich wieder an die Oberfläche ihrer glatten Haut, die mich einfallen lässt, dass ich die offenen Wunden lieber mit Verband umwickeln sollte.

Nachdem ich letztendlich fertig mit allem war, stehe ich auf und betrachte sie im ganzen. Ihre Augen sind fest zu, allerdings ist ihr Atem laut und auch ein wenig unruhig. Paar mal zuckt sie, doch wach wird sie nicht. Ihr Schlaf sieht allerdings nicht gerade angenehm aus. Die Schminke sieht nicht so aus wie davor und verunstaltet somit das hübsche, strahlende Gesicht von ihr.

Das Kleid ist nach unten verrutscht, weshalb ihre halben Brüste zu sehen sind. Komischerweise präsentiert der Schlitz nun auch beide ihrer Beine und ich spüre, wie kalt ihr dadurch ist. Im Großen und Ganzen sieht das echt nicht gemütlich aus. Doch umziehen werde ich sie sicherlich nicht.

Ich schnappe mir die Decke unter ihren Füßen und ziehe sie bis zu ihren Schultern. Adeline bewegt sich leise und ich begutachte sie, während sie sich auf die linke Seite drehen will. Schmerzhaft stöhnt sie leise und verzieht dabei ihr hübsches Gesicht und wo ich jetzt dachte, sie öffnet ihre Augen, entspannt sie sich plötzlich wieder und schmatz kurz vor sich hin.
Sie sieht aus, wie ein kleines Kind und ich muss mich echt zusammenreißen, um nicht loszulachen.

Eins, zwei Minuten stehe ich noch neben ihr Bett und betrachte sie genauestens, dabei gehen mir mehr als Tausend Gedanken durch den Kopf.

Ich versuche zu verstehen, warum die Beziehung zwischen ihr und ihren Eltern so grausam ist. Zwar hatte sie schon gesagt, dass sie sich in vielen Sachen unterscheiden, dennoch können verschiedene Interessen, wie zum Beispiel Geld und Bücher lesen, nicht dazu führen, dass man sich hasst. Vor allem nicht seine eigene Familie. Doch es war nicht nur Hass, was ich in ihren Augen gesehen habe, es war auch Angst. Adeline strahlte pure Angst aus, als sie vor ihren Eltern stand, dass ich schwören könnte, dass ich diese Furcht spürte.
Und auch wenn ich weiß, dass sie eine zweite Begegnung mit ihnen wirklich nicht schafft, muss ich es dennoch ignorieren. Denn genauso wie sie etwas auf gar kein Fall will, muss ich mir etwas auf jeden Fall holen. Und zwar ihr geliebter Bruder, Ethan.

Ich weiß ebenfalls, dass es mir einigermaßen schwer fallen wird, Adeline nach heute für meinen Ziel zu benutzten, denn auch ich habe nicht so ein grauenhaftes Herz, wie sie denkt.

Doch ich habe keine andere Wahl mehr. Ihre Eltern haben wie die Fische im Meer perfekt zugeschnappt und die Chance lasse ich mir auf keinen Fall entgehen. Die Vorfreude Ethan endlich bald vor mir zu haben, lässt meine Mundwinkel zucken und ich muss mir schwer ein schmunzeln verkneifen.

Seufzend zwinge ich meine Beine sich raus zu bewegen und bevor ich das Licht ausmache und die Tür hinter mir schließe, werfe ich flüchtig einen Blick auf das zierliche Mädchen auf dem Bett.
Ich wasche mir erstmal gründlich die Hände, danach gehe ich runter und mache mir einen Drink, bevor ich mich auf das Sofa schmeiße. Erschöpft und müde bin ich tatsächlich immer noch nicht. Im Gegenteil, nachdem was ich gerade gesehen habe, bin ich noch wacher als davor.

Ich will verstehen, warum Adeline das getan hat. Warum verletzt sie sich selber auf solch eine Art? Ist es wegen Christina und Daniel? Oder wegen mir? Und was ist das für eine große Narbe, welche sie mit sich trägt?

Genervt lehne ich mein Kopf an die Lehne hinter mir und muss ehrlich zugeben, dass dieses Mädchen ziemlich anstrengend ist. Auch wenn es einem so vorkommt, als wäre es einfach für mich mit ihr umzugehen, da ich nichts anderes mache, außer sie zu ignorieren und anzuschreien, doch so ist es nicht. Seitdem Adeline die Schwelle meiner Haustür betreten hat, bin ich jedes mal überfordert mit meinen Taten und Worten ihr gegenüber. Es ist anstrengend. Mehr als nur anstrengend, weil ich sonst nie acht darauf gebe, wie ich mit Menschen spreche oder umgehe. All das passiert automatisch und ich denke nicht einmal davor darüber nach, jedoch habe ich tatsächlich fast schon Angst bei Adeline etwas grobes zu tun oder zu sagen, ehe sie mir davon zerbricht.

Zugegebenermaßen kann ich mich oftmals nicht kontrollieren, doch so sehr ich mich auch zusammenreißen möchte, manchmal klappt es einfach nicht. Denn wie schon gesagt, sie ist mehr als nur anstrengend. Ihr Geheule, ihre Nervosität und ihre Angst, die sie ständig begleiten und nicht alleine lassen, rauben mir schon fast alle Nerven.

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