Kapitel 61

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A  D  E  L  I  N  E

Ich weiß nicht, wieso er mir das erzählt. Ich weiß nicht einmal, weshalb er sich nochmal umdrehte und sich zu mir gesetzt hat. Aber ich bin dankbar. Ich bin dankbar, dass er mich nicht erneut zurückgelassen hat.

Aiden's Ausdruck ist trüb und von Müdigkeit umgeben. Doch mir scheint es eher, als wäre diese Müdigkeit vielmehr seelisch, als körperlich.
Seine Augen hat er auf irgendeinen Punkt fokussiert, während meine ihn genaustes in Betracht ziehen.

Irgendwas sagt mir, dass er sich selbst die Schuld gibt. Als würde er denken, dieser Streit wäre der Auslöser für ihren Tod gewesen.

Ganz behutsam und so unauffällig wie möglich, um ihn nicht aus seinem Gedankenchaos rauszuzerren, rutsche zu ihn rüber.

„Darf ich etwas dazu sagen?", frage ich vorsichtig nach einer Zeit der Stille. Dabei ziehe ich meine Beine wieder näher an mich ran. Seine Augen lösen sich von dem Fleck, dass er mit seinen Blicken zu verbrennen versucht und widmet sich mir zu. Dieser intensive Farbverlauf und die ganzen Emotionen... das sieht aus, wie ein zerbrochener Spiegel.
Erwartungsvoll wandern seine Brauen nach oben.

„So wie du über sie redest, muss sie bezaubernd gewesen sein."

Ich schlucke. Die Furcht in mir ist klein, dennoch vorhanden. Ich will nicht, dass diese Unterhaltung endet, weil ich mir das Recht genommen habe, über seine Schwester zu reden. Ebenso will ich nicht, dass Aiden sich daran erinnert, wer ich eigentlich bin.

Eine Morgan. Ein Teil der Familie, die er verabscheut. Eine Familie, die ihm seine genommen hat.

Nein, das bin ich nämlich nicht.

„Ja, das war sie.", sagt er nach einer Weile und lehnt seinen Kopf nach hinten. Sein Blick weiterhin auf mich gerichtet. Ich mache ihn nach und spüre gleich darauf die Härte der Lehne.

Der attraktive Mann vor mir atmet tief aus, ehe er auf meine Hände schaut, die ich anfangen habe zu kneten. Ich kann nicht leugnen, dass diese Seite von Aiden mich nervös macht. Möglicherweise, weil sie anders ist. Sanfter und ungewohnt. Etwas, das ich nicht oft sehe. Aber was ich weiß ist, dass ich diese Seite mag.

Nein, ich liebe sie.

„Und auch Ashley ist wunderbar. Man sieht, dass du ihr sehr viel bedeutest." Ein warmes Lächeln ist auf meine Lippen zu sehen, während er mit einem Lachen darauf reagiert. Er fährt sich durch seine zerwühlten Haare und nickt dann. „Sie kann ein Engel sein, ja, aber ihre teuflische Seite willst du nicht erleben. Ich selbst habe vor ihr angst." Den letzten Satz flüstert er, so als wäre sie hier. Mir entflieht ein leises Kichern.

Schweigend schauen wir uns an. Doch diesmal ist es weder Verlangen noch Betrübtheit, was mich innig mustern. Es ist die Emotion, die ich vor einigen Tagen wie ein Schwamm in mich aufsog und die Spuren in mir hinterlassen hat. Sehnsucht.

Zögerlich entfalte ich meine Finger, nachdem ich sie miteinander verkreuzt habe. Langsam schleichen sie von mir weg und sind stattdessen auf der Suche, nach der plötzlichen Wärme, um von der Kälte zu flüchten, die sie gefangen hält.

Kleine Stromschläge wandern meine Fingerspitzen immer höher entlang, als ich seine Hand berühre. Sie kitzeln und jucken zugleich. Als wäre es etwas Süßes, doch gleichzeitig verboten für mich.

Ich beobachte, wie er sie in aller Ruhe umdreht und sie dann öffnet, sodass ich seine Handliniendeutung - Lebenslienie auch genannt - nachfahren kann. Seine Haut fühlt sich rau an, anders als sonst. Die Weichheit, welche ich sonst immer bewundert habe ist nicht vorhanden. Nur die Wärme, die von ihn aus kommt ist mir bekannt.

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