Kapitel 27

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A D E L I N E

Zehn Minuten sind schon vergangen, die sich wie gefühlte zehn Stunden anfühlen. Unwohl sitze ich hier an dem Tisch neben Aiden und muss mir nun zum zweiten Mal anhören, wie hübsch ich doch geworden sei und wie sehr sie mich vermisst haben.„Ich habe heute extra dein Lieblingsessen gemacht, Adeline. Ich hoffe du magst das auch, Aiden.", spricht meine Mutter aufgeregt, während ich mich zusammenreißen muss, meine Augenbrauen nicht zusammenzuziehen. Schon damals sagte sie immer, dass Ente mit gebratenen Kartoffeln mein Lieblingsessen wäre, doch das war es nicht. Ich weiß nicht, welcher Vollidtiot das jemals gesagt hat und sie das geglaubt hat. Aber wenigstens gibt es Lasagne. „Dankeschön, Christina. Es riecht schon sehr köstlich.", bedankt sich Aiden, woraufhin ich meine Mutter einfach nur anlächle und sie dabei beobachte, wie sie sich wegen Aiden's Worte geschmeichelt fühlt. Am liebsten hätte ich spöttisch aufgelacht, da ich ganz genau weiß, dass nicht sie es gekocht hat, sondern Marlen, deren Köchin, falls sie hier noch arbeitet. Meine Mutter hatte nie ihre Hände in irgendwas angerührt. Weder beim Kochen, noch beim Putzen. Das einzige, was sie konnte, war es Befehle zu erteilen. „Adeline, erzähl mal so... wie geht es dir? Du hast dich lange nicht bei uns gemeldet. Ich dachte schon, du hättest uns vergessen.", meldet sich nun zum ersten Mal die Stimme meiner hübschen Schwester und lacht zum Ende hin. Sie ignoriert die warnenden Blicke meiner Mutter gekonnt und klimpert mir mit ihren langen Wimpern entgegen. Kalea mochte mich nie besonders und wollte in allem immer die bessere sein. Obwohl ich ihr nie eine Konkurrenz war und es mir relativ egal war, ob sie die bessere war. Doch wir waren Kinder, sowas spielt für mich heute keine Rolle mehr. Nur sitzt es mir noch tief im Herzen, denn ich wollte schon immer eine Schwester, mit der ich all meine Geheimnisse teilte, wie die anderen. Dafür hatte ich aber Ethan, der heute nicht an unseren Tisch mit sitzt. Ich verlangsame das Kauen und erinnere mich, an das, was Aiden mir im Auto meinte. Vom Augenwinkel kann ich sehen, wie er sich mit der Serviette den Mund abwischt und in meine Richtung schaut. Wie nun alle anderen jetzt auch. Ich versuche die Nervosität bei Seite zu drängen und schlucke mein Essen, mit der Angst, die mir aufgestiegen ist, runter. „Mir geht es gut. Ich hatte nur eine kleine Pause von allem gebraucht, um mich auf mein Studium besser zu konzentrieren.", spreche ich und stelle erstaunt fest, dass ich kein einziges Mal gestottert habe. Zwar war meine Stimme leise, doch das ist nichts Neues für mich. „Und natürlich habe ich euch nicht vergessen. Wie könnte ich denn?", lache auch ich zum Schluss und merke, dass es eigentlich Wut ist, die mich so sprechen lässt. Es ist kein ehrliches Lächeln gewesen, eher ein fieses, was mich verwundert auf mein Teller blicken lässt.
Was ist nur los mit mir? Seit wann traue ich mich so zu reden? Es hatte mich nur wütend gemacht, wie sie mich wieder einmal runterziehen wollte, wobei sie es doch sind, die mich vergessen haben. Sie waren doch endlich glücklich und zufrieden, als ich meine Sachen gepackt habe. Aus welchen Grund will sie mich dann wieder mal so runter machen?
Das räuspern von Daniel lässt mich aufblicken und gleich darauf mein Puls schneller schlagen. Ich schaue in keine Gesichter, Schneide das Fleisch mit dem Messer und lausche gleich darauf, der rauchigen Stimme des alten Mannes gegenüber von mir. „Aiden, wie geht es deinem alten Herren? Ich hab gehört, du wolltest nicht in seine Fußstapfen treten." Rau lacht er auf und alle am Tisch tuen es ihn gleich, außer mir. Mir jagt es nur eine eklige Gänsehaut auf meinem Körper und lässt mich hart schlucken. Neben mir höre ich Aiden's tiefe Lache und ich erschaudere. Langsam schiele ich zu ihn rüber und betrachte die weißen Zähne die zum Vorschein kommen und die kleinen Grübchen an seinen Wangen. Es ist das erste mal, dass ich ihn lachen höre und irgendwie bin ich kurz davor zu schmunzeln. Aiden's Schönheit ist nicht der rede wert dazu schüchtert er einen mit seiner Ausstrahlung in weniger als Sekunden ein, doch so sieht er noch viel besser aus. „Ja, die Immobilienbranche war wohl nichts für mich.", erklärt er. Gerade als ich mich frage, um was es eigentlich geht, stellt Kalea diese Frage. „Entschuldige Aiden, ich verfolge das ganze nicht so. Was arbeitest du denn?", fragt sie und streicht sich die blonden Haare nach hinten, auf denen ich schon immer neidisch war. Sie legt ihr Dekollete frei und drückt ihren Oberkörper ein wenig nach vorne, weshalb ich verwundert eine Augenbraue hebe. Versucht sie ihn da grade allen Ernstes zu verführen? Ich muss mir ein Lachen verkneifen, denn ich frag mich tatsächlich, was das soll. So gut ich mich erinnern kann, hatte Kalea ein Freund, bevor ich gegangen war. Wie es aussieht wurde wohl nichts draus. „Mein Bruder und ich führen die Rose's World Krankenhäuser in San Francisco und das Waisenhaus in San Diego.", erzählt er ihr und schaut ihr starr in die Augen. Es ist erstaunlich, dass er nicht einmal mit seinen Augen irgendwo anders gesehen hat. Selbst ich konnte nicht anders und hab ab und zu runter geschielt. Allerdings lassen mich Aiden's Worte mehr Erstaunen. Es erwärmt mein Herz und ich muss ehrlich sagen, damit hätte ich nicht gerechnet. Moment mal... ist er jetzt Arzt oder sowas? Da ich mir nun nicht anmerken lassen will, dass ich das hier zum ersten Mal alles höre, wende ich hastig mein Blick ab und widme mich dem Essen erneut zu. Ich höre Kalea's hohe Stimme nur noch gedämpft, denn als ich merke, wie mich der Mann mir gegenüber anstarrt, gefriert mein Blut in den Adern. Ich halte augenblicklich den Atem an und schließe für Sekunden meine Lider, in der Hoffnung mich zu beruhigen. Doch da irre ich mich, denn mein Herz beginnt gegen mein Brustkorb zu klopfen und mein Herzschlag kann ich laut und deutlich hören. Bestimmt würden die anderen ihn gleich ebenfalls bemerken. Es ist wie, als würde ich in einer Blase sitzen. Nur mit ihn. Nur er und ich sind da. Die anderen höre ich nur ganz leise und plötzlich taucht eine altbekannte Erinnerung in mein inneres Auge auf.

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