Kapitel 62

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A  D  E  L  I  N  E

„Guten Morgen.", begrüßt mich Liam, als ich in sein Wagen steige und die Tür hinter mir schließe. „Morgen", erwidere ich murmelnd und kann ein Gähnen hinterher nicht unterdrücken.

Er starrtet das Motor und nach nur einigen Minuten befinden wir uns schon auf den Hauptstraßen von San Francisco. Anders als sein Bruder, der sonst immer wie eine Statur geradeaus schaut, spüre ich ab und zu seine Augen auf mir brennen.

Allerdings macht es mir nichts aus, denn meine Gedanken sind ganz wo anders, um darüber nachzudenken, was an mir so merkwürdig ist, dass er dafür unser Leben riskiert.

Ethan, Aiden. Aiden, Ethan.

Der eine aus meinem Leben verschwunden, der andere wie eine Bombe eingetroffen. Zwei Welten, die auf grauenvolle Weise zueinander geführt haben und ich bin in der Mitte. Weder bin ich bei der einen Welt willkommen, noch bei der anderen. Ich stehe ganz alleine in der Mitte und weiß nicht, wohin mit mir.

„Schlecht geschlafen?", fragt mich Liam diesmal mit Blick auf der Straße. Irgendetwas ist heute anders an seinem Verhalten.

„Kann man so sagen.", antworte ich und schaue aus meinem Fenster raus. Denn eigentlich habe ich den Schlaf nicht eine Sekunde lang gekostet.

Ich höre ihn leise Schnauben und gleich darauf werden wir schneller, was mich erschrocken die Augen aufreißen lässt.

Was zur Hölle stimmt nicht mit ihm?

Reflexartig kralle ich meine Hände in den Sitz und lasse die Minuten, die diesmal viel schneller vergangen sind als das letzte mal, über mich ergehen. Vielleicht weil ich die Zeit damit verschwendet habe zu überlegen, was gleich passieren wird.

Ich hoffe auf eine richtige Erklärung und bete dafür, dass die Enttäuschung möglicherweise etwas sinkt. Nur ein bisschen, damit es endlich aufhört so schrecklich zu schmerzen.

„Wir sind da.", verkündet Liam und steigt daraufhin aus dem Auto, was ich ihm nachmache.
Eine Gänsehaut überflutet meinen ganzen Körper, als ich dieses Gebäude anblicke. Wie lange ist Ethan hier schon eingesperrt? Eine Woche? Vielleicht sogar länger?

„Kommst du?" Der Mann der Aiden viel zu ähnlich aussieht, dafür dass sie gar keine leiblichen Geschwister sind, schaut mich auffordernd an. Nickend schlucke ich, ehe ich ihm dicht folge. Wieder steigen wir die Treppen, bevor wir den altbekannten Flur entlang latschen und ich von einigen Metern schon einen dieser großen Männer entdecke, dessen Aufgabe immer die gleiche ist. Nämlich vor den Türen stehen.

"Liam?"

Ungefähr ein Meter hinter ihn bleibe ich stehen und schiele zu der Tür, wo sich mein Bruder scheinbar befindet. Gerade wo er dem Mann befehlen will, die Tür zu öffnen, dreht er sich fragend zu mir um. Die grauen Kristalle beäugeln mich genaustes, während ich nervös auf meiner Unterlippe herumkaue. "Ja?"

"Könnte ich allein-", "Nein, Adeline. So funktioniert das hier nicht.", unterbricht er mich und schüttelt dabei energisch seinen Kopf.

Noch einen Versuch, na los!

"Nur für zehn Minuten, bitte.", flehe ich ihn nahezu an und zum Glück besitzt er nicht ansatzweise die Sturheit seines Bruders, denn ich kann genau sehen, dass er weich wird.

"Ich habe ihn ganze drei Jahre nicht gesehen. Ich will nur zehn Minuten mit ihm allein. Nur zehn Minuten.", bettele ich weiter und kann schon in seinen Augen sehen, dass ich gewonnen habe. Nun seufzt er und fährt sich einmal durch die Haare, ehe sein Ausdruck ernst wird. "Aiden darf davon nichts wissen, kapiert?" Die Strenge in seinem Unterton ist kaum zu überhören und auch der Zeigefinger, der auf mich zeigt, zeigt mir, wie ernst er das meint. Hastig nicke ich. "Danke"

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