Gegenteil und irgendwie gleich

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Gläser klirren aneinander und ausgelassenes Gelächter hallt überall durch das hell beleuchtete Atelier.
In  der Fensterfront am Eingang spiegelt sich das Innere des großen,  geräumigen Raumes wider, so dunkel ist es mittlerweile draußen geworden  und Spencer kann sich selbst verzerrt sehen, bis er die Augen so sehr  zusammenkneift, das sein Spiegelbild mit einem Baum verschmilzt.
»Warum  noch einmal sind wir hier?«, erkundigt sich Spencer, vermutlich zum  achten Mal seit dem sie vor eineinhalb Stunden durch den Eingang  getreten sind und die Sektgläser entgegengenommen haben.
Ein  prächtiger Sektempfang; die Menschen haben sich zu Grüppchen  zusammengefunden, quatschen miteinander ausgelassen, während wenige  bereits durch das Atelier laufen, um die ausgestellten Bilder zu  begutachten.
Obwohl Rossi von seiner Fragerei genervt ist, antwortet er nach einem Moment: »Um auf andere Gedanken zu kommen.«

Gerne würde Spencer darauf entgegnen, das er nicht hier  herkommen muss, um den Kopf frei zu kriegen und einfach abzuschalten,  die Geschehnisse der vergangenen Wochen hinter sich zu lassen.
Aber er würde lügen, das weiß er und Rossi weiß das genauso.
Wäre  er einfach in die U-Bahn eingestiegen und nach Hause gefahren, säße er  nun auf dem Sofa, den Blick starr aus den Fenstern gerichtet und würde  in Selbstmitleid versinken.
Warum genau er sich allerdings auf einer  Vernissage befindet, hat Rossi ihm immer noch nicht erklärt, doch als  sie von einem weiteren Mann angesprochen werden, der anscheinend  ebenfalls irgendwie mit Rossi bekannt ist, wird Spencer bewusst, das er  auch keine zufriedenstellende Erläuterung bekommen wird.
Ursprünglich  hat Spencer überlegt, einfach wegzugehen, zu Fuß bis zur nächsten  U-Bahn-Station zu gehen, solange bis ihm eingefallen ist, das seine  Arbeitstasche mitsamt Handy und Schlüssel in Rossis Auto liegt.

Diese Vernissage erinnert ihn an die Kunstausstellung vor fünf Jahren, die er gemeinsam mit Gideon besucht hat.
Nur das er diesmal sich nichts Schöneres vorstellen könnte, als einfach zu schlafen.
Trotzdem  nimmt er einen Schluck von seinem bisher zweiten Sektglas und folgt  Rossi zur nächsten Menschengruppe, wo er sich in einem Gespräch mit  einer rothaarigen Frau verliert – dem nach zu urteilen, was sie  miteinander besprechen, gehört der Frau dieses Kunstatelier.
»Mrs Henry, das ist mein Kollege Dr. Spencer Reid.«
Spencer  fühlt sich unwohl, so offensichtlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit  geschoben zu werden, nur damit er ein Gespräch beginnt.
Die Frau allerdings scheint nach einem knappen Lächeln nicht zu bemerken, das er lieber jegliche Konversation vermeiden möchte.
»Interessieren Sie sich für Kunst, Dr. Reid?«, erkundigt sie sich interessiert.
Sie  ist etwas jünger als Rossi selbst, trotzdem schon weit über den  Fünfzigern und legt viel Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild; ihre  Locken sind künstlich gedreht und mit der Schminke versucht sie die  Falten an ihren Augen zu verdecken.
»Eher weniger«, antwortet Spencer kopfschüttelnd.
»Um ehrlich zu sein habe ich nicht den blassesten Schimmer von moderner Kunst.«

Mrs  Henry lacht lediglich, danach wendet sie sich wieder Rossi zu, um zu  fragen, ob er ihr heute irgendein Gemälde abkaufen wird.
»Heute wohl nicht«, gluckst Rossi.
Der  anschließenden Erklärung, wieso, weshalb und warum kann Spencer nicht  ansatzweise folgen, stattdessen betrachtet er das Bild, von dem Mrs  Henry Rossi zu überzeugen versucht.
Kräftige Farben ergeben ein  verschwommenes Portrait einer jungen Frau oder zumindest einer Gestalt,  die etwas Ähnliches darstellen soll.
So genau kann Spencer das nicht  definieren. Von Kunst hat er keine Ahnung, er kann verschiedene Maler  nennen aus allen Epochen, doch mit den modernen Werken kann er einfach  nichts anfangen.

Darum fragt er sich um so mehr, weswegen Rossi ihn ausgerechnet hierher verschleppt hat, auf eine Kunstausstellung von der er absolut keine Ahnung hat.
Vermutlich  ist Spencer es selbst Schuld, immerhin hat er Rossis Angebot, den Abend  mit ihm zu verbringen, etwas Lustiges zu unternehmen, angenommen ohne  zu hinterfragen, was so jemand wie Rossi an einem Freitagabend überhaupt  macht.
Irgendwie hat er wohl einfach angenommen, Rossi würde  irgendeine alte Schallplatte heraussuchen, von dessen Künstler Spencer  zwar gehört hat, aber noch nie ein Lied zu Ohren bekommen hat, und  vielleicht hätte er am Ende ein Taxi gebraucht, weil er zu viel Scotch  intus hatte.
Mit einem Sektempfang in einem Kunstatelier hat er nun wirklich nicht gerechnet.
Nun  versucht er irgendwie von diesem Sekt beschwipst genug zu werden, um  das in den Bildern zu sehen, von dem die munter quatschende Menge  spricht.
Laut Mrs Henry stammt das Bild von einem modernen Künstler  des 20. Jahrhunderts, der nach dem Stil von Les Fauves gemalt hat, wobei  der Maler mit kräftigen Farben und wilden Pinselstrichen arbeitet und  die Themen mit höchster Simplifikation und Abstraktion bearbeitet.
Les Fauves bedeutet wilde Bestie, das Fachwort ist Fauvismus.

Criminal Minds KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt