Der Rest der Woche vergeht monoton und unspannend. Neben meinen Schichten gehe ich zum Frisör, ins Fitnessstudio und zum Boxen. Ich begleite meine Mutter mit den Hunden in den Wald, wann immer ich die Zeit dazu habe und treffe mich an einem Abend mit Louis und unseren Freunden in einer Soccerhalle zum kicken. Ich tue alles dafür, bloß keine Langeweile aufkommen zu lassen, damit ich nicht an Esmeralda denken muss.
Ich habe trotz allem ein paar gute Momente, doch am Montag überschlagen sich dann die Ereignisse.
Ich hätte ahnen können, dass dies wie immer nur die Ruhe vorm Sturm war.
Ich nippe gerade an meinem ersten Kaffee, den Sam mir netterweise aus der geräumigen Büroküche mitgebracht hat, als Wolf unser Büro betritt.
Dem kräftigen Dienststellenleiter stehen die kurzen grauen Haare heute wüst vom Kopf ab und er hat in der Eile, die ihn zu treiben scheint, noch nicht mal geschafft, die schwarze Lesebrille von der Nase zu nehmen, die er für gewöhnlich nur bei der Bildschirmarbeit trägt. Jetzt zieht er sie ab, steckt sie beiläufig in die Brusttasche seines Hemdes und knallt mir ein Schriftstück auf den Schreibtisch.
"Haftbefehl", steht in großen Druckbuchstaben auf dem weißen Papier.
"Der ist gerade von der Staatsanwaltschaft gekommen", erklärt unser Vorgesetzter und steckt die Hände in die Hosentaschen.
"Nelu Serafin, wohnhaft Henriettenstraße 16 in 47169 Duisburg, geboren am 28.11.2004, Staatsangehörigkeit Rumänisch", lese ich weiter. Die Alarmglocken in meinem Kopf schrillen laut.
"Urteil des Amtsgerichts Duisburg." Ich überfliege die Passagen über Gerichtsurteile und Paragraphen nur grob, bis ich zum entscheidenden Punkt komme. "Erzwingungshaft. Offene Geldstrafe 400 €, Höhe Tagessatz 10 €, Tagessätze 40", steht in einer Tabelle neben den Aktenzeichen und anderen Formalitäten. "Da die verhangene Geldstrafe nicht beglichen wurde, wird die Gesamtsumme von 400 € sofort zu 40 Tagen Freiheitsstrafe umgewandelt zu einem Tagessatz von 10 € pro Tag. Da auch die letzte Frist bereits unwirksam verstrichen ist, wird die Rechtssprechung unwiderruflich durchgeführt."
Ich atme tief durch, erhebe mich von meinem Bürostuhl und reiche den Haftbefehl an Sam weiter.
"Unwiderruflich", wiederhole ich und sehe Wolf aus großen Augen an. "Gibt es keine Chance mehr für den Jungen, das abzuwenden?"
Wolf schüttelt energisch den Kopf. "Wenn, dann müsste er das mit der Staatsanwaltschaft klären, indem er die komplette Summe begleicht, das geht jederzeit. Wir haben den Haftbefehl bekommen und müssen vollstrecken. Ich habe im System gesehen, dass ihr den Jungen sowieso für heute Nachmittag vorgeladen habt. Ich würde euch bitten, ihn zu vernehmen und dann ins Polizeigewahrsam zu bringen. Er kann seine Eltern informieren und wird dann morgen in den Jugendvollzug überführt."
Mein Kopf beginnt zu rattern. Es kann doch nicht sein, dass der schmächtige, introvertierte Jugendliche nun wegen läppischen 400€ in den Knast soll.
Adonis hätte eine solche Erziehungsmaßnahme verdient, wenn nicht gar nötig, um ihn wachzurütteln, aber Nelu ist noch ein Kind und er wird an dem Druck und der Isolation zerbrechen, da bin ich mir sicher.
"Okay Chef", antwortet Sam pflichtbewusst und legt den Brief auf seinem Tisch ab, nachdem er ihn ebenfalls überflogen hat.
"Sagt mir Bescheid, wenn ihr ihn runterbringt", verabschiedet Wolf sich und verlässt unser Büro genau so schnell, wie er es vor wenigen Minuten betreten hat.
Das drohende Unheil, welches sich bereits angekündigt hat, ist also tatsächlich eingetreten. Ich hätte bloß nicht erwartet, dass es ausgerechnet Nelu trifft.
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Esmeralda - Smaragdgrüne Augen
RomansaDas erste, was ich sehe, sind ihre strahlenden Augen. Smaragdgrün, funkelnd wie zwei Edelsteine. Einmal mehr bin ich froh, dass meine Uniform mich nicht nur vor Wind und Wetter schützt und mir eine gewisse Autorität verleiht, sondern dass sie den Po...